Nikola Anne Mehlhorn (D) Jurydiskussion

Die Deutsche Nikola Anne Mehlhorn war die letzte Autorin der TDDL 2013 und wurde von Jury Steiner nominiert. Sie las den Text "Requiem der Vierzigjährigen", der von der Jury sehr verrissen wurde.

Nikola Anne Mehlhorn (Bild: Johannes Puch)Nikola Anne Mehlhorn (Bild: Johannes Puch)

Die Jury fasste sich zum ersten Mal in diesem Jahr extrem kurz bei der Beurteilung. „INTROITUS oder Spaghetti horrori“ heißt das Kapitel, das Nikola Anne Mehlhorn für Klagenfurt vorgesehen hatte: Kara sammelt Teebeutel mit Lebensweisheiten und mischt ihrem Mann Rupert zerhackte Regenwürmer unter das Essen, bis ihr Sohn Ade nicht von einem Kindergartenausflug zurückkehrt.

Feßmann: Text vollkommen verunglückt

Meike Feßmann erklärte (gemünzt auf den vorherigen Text Benjamin Maacks und Hubert Winkels Ausführungen), dass Liebeserklärungen in Zeiten der Postmoderne nur noch unter Anführungszeichen gelesen werden könnten. Hier komme noch etwas anderes Moment hinzu, nämlich: Was passiert mit Leuten, die sich Rechenschaft über ihr bisheriges Leben abgeben. Leider sei der Text "vollkommen verunglückt", so Feßmann, weil er sich nicht entscheiden könne ob er seine Figuren als Typen oder doch lieber als etwas Besonderes darstellen solle. Die Figur der Kara sei zwar skurril, „aber warum tut sie das alles?“ Schließlich laufe der Plot auf das Verschwinden des Sohnes hinaus und, dass der eigentliche Partner nicht dessen Vater sei. „Das Ganze bewegt auf dem Niveau von Teebeutelsprüchen und wird im Text viel zu explizit abgehandelt, wirklich verunglückt“.

Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)

Keller: Spannendes Motiv, nicht fortgeführt

Mit „Requiem“, „Introitus“ und Kyrie“ solle wohl das „strukturelle Gerüst“ des Textes vorgezeigt werden, erklärte Hildegard Elisabeth Keller. Ein enorm hoher Ton, ein „Tusch in Moll“, der hier angeschlagen werde. Gleich einer Partitur, in die Inhalte „gefüllt werden“ würden allerhand Elemente ausgestreut. Spannend sei dabei das Motiv der „bösen Köchin“, was aber nicht wirklich fortgeführt werde, so Keller. Immerhin gebe es das Motiv der „Rache durch Essen“ schon seit dem Mittelalter, wenn etwa der betrogene Ehemann seiner Frau das gekochte Herz des Liebhabers zur Speise vorsetze. "Hier ist der Text noch ganz unfertig und lose - viel zu breit gezimmert."

Strigl sah Missgriffe in den Bildern

„Zu viel Musik kann auch ein Problem sein“, griff Daniela Strigl den Faden auf, die gern ein Gegengewicht zu den kritischen Stimmen gebildet hätte, angesichts dieses „Jahrtausendkatarrhs“ sei ihr das aber nicht möglich. Verschiedenste Dinge würden in den Text gepackt, der Rückblick auf das Millennium etwa, der etwas vom kollektiven Hang der deutschsprachigen Literatur zur Selbstbespiegelung verrate. Essayistisch angelegt und nicht durch die Figuren beglaubigt, gehe das aber schief. Die Jurorin sah außerdem „Missgriffe bei den Bildern“: diese würden sich erst durch Wikipedia-Lektüre erschließen, wo sie doch eigentlich Assoziationen beim Leser hervorrufen sollten. „INTROITUS oder Spaghetti horrori“ solle wohl witzig klingen, dadurch werde jedoch nur der Hass zwischen den Personen „auf unangenehme Art verniedlicht“. Der Text wolle „große Gefühle vermitteln“, das sei aber „nicht aufgegangen“.

Jandl: Der Text langweilt sich selbst

Paul Jandl wusste nichts Positiveres zu sagen als: „Der Text langweilt sich selbst. Man hat das Gefühl, jeder zweit Satz beginn mit Kara“. „Sturz-Langweilige Teebeutel-Prosa“ sei das. Diese Ehe mag wie das All durchlöchert sein, für mich ist das nicht mehr interessant“.
„Was noch nicht gesagt wurde“, kam schließlich von Juri Steiner, der den Text eingeladen hatte und zu diesem Zeitpunkt schon erkannt hatte, dass Verteidigungsreden an der negativen Einschätzung der Kollegen wenig bis nichts ändern würden. Im Gegensatz zu Katja Petrowskajas Text „Vielleicht Esther“ habe man es hier mit einem „Trotzdem“-Text zu tun. Eine Biographie beginne vielversprechend und werde schließlich Stück für Stück zerstört. Kleine Hoffnungsphasen, die schließlich in sich zusammenbrechen würden. Der „surreale Ton im Unterbewussten“ habe ihn beschäftigt, so Steiner, der sich an Boris Villon erinnert fühlte: An der Oberfläche gehe es banal zu, darunter geheimnisvoll.

Burkhart Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhart Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Spinnen bedauerte, dass er kein Rettungsnetz spannen könne

Burkhard Spinnen bedauerte, „das große Rettungsnetz“ nicht aufspannen zu können. Das Scheitern der im Text beschriebenen künstlerischen Laufbahn sei wohl interessant, das Scheitern auf hohem Niveau jedoch umso bitterer, wenn alles in eine „Mittelstandswelt“ abgleite. Das zentrale Problem des Textes sei aber ein anderes, so Spinnen: „Ohne die abgrundtiefe Liebe des Autors zu seinen Figuren wird es nicht gehen.“ Der Text könne sonst nicht bis zum Ende „aussagekräftig“ bleiben. „Die Figuren sind hier nah davor, verraten und ausgeliefert zu werden. Oliver und Kara werden der Typik geopfert – hier aber falle ich dann vom Text ab.“

„Ich denke es ist alles gesagt worden. Es muss nicht von jedem gesagt werden“, hieß es dann noch von Hubert Winkels, der die Diskussion damit zu einem kurzen, wenn auch schmerzvollen Ende brachte.