Michael Fehr, BERN (CH)

Geboren 1982 in Gümligen bei Bern, lebt in Bern. Studium am Schweizerischen Literaturinstitut und an der Hochschule der Künste Bern, Master in Contemporary Arts Practice. Er liest auf Einladung von Juri Steiner.

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Michael Fehr: Simeliberg (Auszüge)
Erstes Kapitel

Grau
nass
trüb
ein Schweizer Wetter
ziemlich ab vom Schuss
nur über einen pflotschigen Karrweg von oben herab zu erreichen
in einem Krachen ein wüstes
tristes Bauernhaus mit ungestümem Dach
ein zerklüfteter Haufen aus grauen und schwarzen Tupfen
unter dem ein Haufen blinder Fenster leer in die Öde starrt
in der wenig heiteren Stube hocket der Landmann mit dem Rücken zur Fensterzeile
nach der drückenden Stille
mit der das Gebälk lastet und den Raum niedrig hält
der einzige Mann und Mensch im Haus
draussen motort es schwankend von oben herab zum Haus heran
Zweites Kapitel (Auszug)
Nachdem er eine Weile bei abgeschaltetem Motor und allmählich erkaltendem
Wagenschlag geradeaus aufs Haus starrend sitzen geblieben ist
steigt aus dem Landrover
der untenherum verkotet ist
eigentlich aber graue Militärfarbe hätte
wie man der Dachpartie ansieht
Griese
Gemeindsverwalter
als solcher wegen der hiesigen Abgelegenheit betraut mit allen möglichen behördlichen Aufgaben
die örtlich anfallen
auch als eine Art Abgeordneter obrigkeitlicher
kantonaler Fürsorge für den ganzen Flecken zunächst einmal zuständig für alle
denen der Sinn zur Selbstverwaltung aus blossem Bildungsmangel
aus Verwahrlosung
Krankheit oder sonstigem Irrsinn zu sehr abgeht
als dass man sie auf sich beruhen lassen könnte
in dreckigen Gummistiefeln
sonst anständig
trägt Schnauz
der seine Widerstandsfähigkeit als jemand mit dem Vornamen Anatol
der ihn sofort als einen
der aus dem grossen Kanton zugewandert ist
und ergo nicht Hiesigen markiert
verbessert
klatscht die vordere Wagentür ins Schloss
öffnet die hintere
nimmt vom Sitz einen frechen Jägerhut und mit Sympathie für Auswanderer vom Boden ein
Gewehr
dessen Ladung er gewissenhaft überprüft
eine Bauerundwaldschratrepetierbüchse
eine Art Familienfabrikat
Vater und Schwiegersohn probierten zu ihrer Zeit im Ausland ihr Glück
ersannen schnellhin einen Heavyleadhunter
ein unverwüstliches Eisen zur Fuchsjagd
welches damals auf ganz markante Distanz einen Fuchs zerflederte
und das repetiert
was auch nötig war
da zu ungenau
um auf einen Hasen zu pfeffern
jedoch kräftig genug
um ein Pferd zu durchschlagen und zu fällen
und da die spassigen Jagdhorden den rassigen Pelz lieber am Stück mochten
ging die Kompanie bald ein und verloren
jedoch der HLHrepetierer
unaufdringlich und schnittig
jedoch mit Nachdruck in der Stimme
der keinen Widerspruch duldet
war halt etliche Mal gebaut und eben wegen seiner Kraft verkauft
vertrauenerweckendes Stück
prüft auch die Sicherung
entsichert
legt die Waffe sorgfältig auf den nackten Wagenboden zurück
Metall auf Metall
schweres Mordgerät passt gut zu schwerem Arbeitsgerät
lehnt diese Tür nur an
ohne sie einrasten zu lassen
watet über den kotigen Hausplatz
meidet die Stelle
wo sich ungefähr ehemals der Mist türmte
beugt den Kopf
schiebt die Schultern unter dem Dachtrauf hindurch
wobei ihn durch den Hemdkragen hindurch die Krawatte würgt
steht unversehens vor der Türe
deren obere Hälfte aus sechs Glasscheiben besteht
linst hinein
Schatten
Licht am Ende des Gangs
der schmale Korridor verläuft über die ganze Breite auf die andere Seite des Hauses
wo wieder eine gleiche Türe ist und Licht einfällt
er horcht
klatscht die flache Hand paar Mal gegen den Holzrahmen
in dem die Scheiblein klirren
nichts
probiert die Türe
es ist offen
er tritt hinein
in den Schatten
etwas verhalten wegen der dreckigen Gummistiefel
besinnt sich dann
darauf kommt es nun auch nicht an
legt dann festen Schrittes die paar Schritte zurück
bis vom Korridor links die Türe zur Stube abgeht
Türe zu
gern würde er doch noch umkehren und aus dem Landrover die Handlampe in grauer Militärfarbe holen
noch ein Stück Metall
er hält an sich
wäre ja gelacht
„Schwarz“
sagt er jetzt zum ersten Mal
die Stimme krächzt
räuspert sich
„Schwarz“
dann fester
„es ist offen“
Zehntes Kapitel
Er zieht das Telefon aus der Manteltasche
„Griese
grüss euch
Frau Weiss
wie bitte
die Polizei vorbeigeschickt
was soll das denn jetzt
und warum sagt mir niemand etwas davon
nein
das wüsste ich auch nicht
was ich beitragen könnte
aber immerhin habe ich den Mann vorbeigebracht gestern
weil niemand kommen wollte
weil man mir gesagt hat
auf der Sozialbehörde sei nicht jeden Tag Sonntag
um aufs Land zu fahren
ob ich den Mann nicht selber bringen könne
wo ich doch den Fall schon kenne
das weiss ich
dass es nicht mein Fall ist
ich wollte ihn auch nicht haben
das weiss ich
dass man mich nicht gezwungen hat
aber was soll ich tun
wenn niemand kommt und mir das Dorf im Nacken hockt
das weiss ich
dass Ihr dafür nichts könnt
aber ich muss doch verdammt nochmal informiert werden
wenn jetzt plötzlich die Polizei kommt
ja
jetzt werde ich offenbar informiert
das weiss ich
dass das Sache der Sozialhilfebehörde ist
aber wenn verdammt noch einmal kein Schwein kommt und man mir nichts dir nichts abgefertigt wird am Telefon
das ist mir gleich
ob Ihr glaubt
dass das sein kann
es war so und fertig
und dann hat man wenigstens ein Recht
informiert zu werden
und zwar rechtzeitig
die hocken mir im Genick hier
man habe die Frau nicht mehr gesehen
da sei etwas faul im Loch unten
da müsse man nachsehen
der sei nicht geheuer
der Alte da unten
der sei unsauber
aber sicher
am Ende habe der der Frau etwas angetan
man glaube es
da müsse man hingehen
wenigstens um sicherzugehen
dass da noch jemand ist
wenn der Alte allein sei
müsse man den holen
den könne man nicht allein lassen
da müsse die Gemeinde zusehen
das sei Sache der Gemeinde
jetzt müsse einer von der Gemeinde da hin
um nachzusehen
ich mache hier den Dreck für die ganzen Dorftrotteln
dann rufe ich immerhin auf der Behörde an
ich weiss um die Zuständigkeiten
dann hat man mir da ein dummes Maul
dann hole ich ihn auch noch selber und bringe ihn vorbei
und dann wird man nicht einmal rechtzeitig informiert
das weiss ich
verdammt
dass ich der Polizei nicht helfen kann
aber jetzt gebt mir Bescheid
wer wann wo ist
ich bin ruhig
und warum kommt jetzt plötzlich die Polizei
ich habe gemeint
es sei nichts weiter festzustellen als Weltraumeuphorie
der Arzt meint
um sicherzugehen
und wie kommt der drauf
Schwarz sagte ihm
wenn jemand stürbe
müsse man den begraben
die Frau begraben
und jetzt will man
um sicherzugehen
nachsehen
mir ist das Wurst
ich fahre jetzt los
wenn man mich hin und her jagen kann
dann kann man mich auch fragen“
Fünfzehntes Kapitel (Auszug)
Hinter einem Felsen
halb liegend
im Rücken die ersten Bäume des Waldes
den Lauf über den Stein weg in die Tiefe gerichtet
linst Griese durch das neu installierte Fernrohr in den tristen Graben hinunter
unten alles gestochen scharf
was macht Ihr da
verdammt
Jungmannschaft
ein Trupp junger Mannen in schwarzen Uniformen
anscheinend Klüfte einer Studentenverbindung
die Bewegungen zu bübisch
ein Trupp Affen in uniformen Kostümen
in der Tiefe rollt eine halbbatzige Studentenverbindung
sechs Mann
schwarz angestrichene Ölfässer rund ums ehemalige Beschüttloch herum über den Platz
zum Haus hin
wo die Fässer darin verschwinden
die Kerle rollen zu zweit oder zu dritt
wo der Morast ein Fass halb schluckt
während dann die anderen Fässer vorübergehend im Stich gelassen werden
zwei sind drin
drei unterwegs
und das eine oder andere könnte noch kommen
auf dem Platz steht ein weisser Landrover
bei zwei der aufgeschossenen Buben knicken beim Stossen und Ziehen die Knie nach innen
stramm ist das nicht
„habe ich es doch gewusst
dass da etwas stinkt“
brümmelt er vor sich hin
und beim Einatmen riecht er Metall und Waffenöl
„und jetzt lässt du die Waffe los
zeigst mir die Hände und drehst dich zu mir um
du Landjäger
habe ich dich erwischt“
Griese lässt das Gewehr fahren
schreckt herum
behält das Maul offen
das Gewehr scheppert neben dem Stein auf die Erde
keine drei Schritt vor ihm steht Einer vor der Baumkulisse
eine kurze
gedrungene
schwarze Waffe exakt auf ihn gerichtet
eine Maschinenpistole
denkt Griese
eine Maschinenpistole in echt
damit braucht einer nicht zu zielen
nur zu streuen
Anton
denkt Griese
„Anton“
macht er
der Andere in schwarzer Uniform
in einer Haltung
die er wohl einstudiert hat
die aber auch zeigt
dass er abdrücken kann
„was hast du hier verloren
Arschloch“
wieder Griese
„Anton
was machst du hier
gehts noch
was soll das“
der vor den Bäumen
„hast du noch nie gehört
dass der die Fragen stellt
der schiessen kann“
„mach kein dummes Zeug
Anton“
„für dich bin ich jetzt Herr Wyss
Scheisser
Verräter
verstanden“
„Anton
sei vernünftig“
„Herr Wyss
ich bin Herr Wyss
und jetzt rutsch von der Flinte weg
dass ich sie nehmen kann“
„es ist eine Büchse und nein
die geb ich nicht
das ist meine“
„jetzt rutschst du auf die Seite und machst Platz
sonst mache ich Ernst“
dieser Anton Wyss macht etwas an der Waffe
dass es verdächtig klickt
das genügt
Griese rutscht auf die Seite
und von der wenigen Bewegung fängt er unbändig an zu schwitzen
„das ist aber ein heiteres Eisen“
der Junge
der dazu gesprungen ist
„ein schöner Zuwachs bei uns“
„Anton
hör bitte auf“
„sag Herr Wyss
sag es
sonst“
„Herr Wyss
hört doch bitte auf
das macht doch keinen Sinn so
was wollt Ihr von mir“
„oben
im Wald hab ich doch sofort gesehen
dass das dein Auto ist
wo wir vorbeigefahren sind
Scheisser
da habe ich gemeldet
ich steige oben aus und werde dem Scheisser eine Lehre geben
der muss da unten irgendwo sein
und siehst du
schon habe ich dich
willst noch mehr herumschnüffeln
reicht dir nicht
an der Türe zu kratzen
willst herein
Hund
immerhin hast du aufgedeckt
wenn du auch zu blöd bist
um das zu merken
was Schwarz für einer ist
der Sauhund
verdammte
Verräter
dem haben wir das ganze Geld zugeschaufelt
und der hat uns erklärt
wie es eine neue Ordnung geben würde im Land
in diesem Land
und von diesem aus bald auch in anderen
wie alles anders komme
und wie bald die Starken und Schweren obenauf schwimmen werden
und alles leichte Gesindel unterfür zermalmt werde
wenn man ihm nur folgen würde
wenn man ihm nur dazu verhelfen würde
zu machen
wie er wolle
und wollte nichts als abhauen
allein abhauen
der Volksverräter
und jetzt werden wir es ihm geben
und zwar dass er es nicht überlebt
dann kann er auffahren
wohin er will
aber tot muss er sein
das schwöre ich“
„aber was wollt Ihr“