Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Sigrid Behrens (Bild: ORF)
SIGRID BEHRENS
Lob und Kritik für Sigrid Behrens
Der Bachmannpreis wurde Donnerstagvormittag mit dem Debüttext "Diskrete Momente" der deutsch-französischen Autorin Sigrid Behrens eröffnet. Diese war der Einladung des erkrankten Jurors Norbert Miller gefolgt.
Über das Abschiednehmen eines Schaffners
Der Text-Auszug sprach über das "aus Zeit heraus gefallene Leben" eines Schaffners, der im "fortlaufenden Abschiednehmen" verharrt und deshalb die Liebe seines Lebens verliert.
Sigrid Behrens, Iris Radisch (Bild: ORF)
Sigrid Behrens, Iris Radisch
Heinrich Detering "Text stilistisch zwischen Brecht und Handke"
Heinrich Detering lobte die "zarte Feinheit" des Textes, der ihm "ausgesprochen gut gefallen habe". Der "abgekühlte Ton", der "Sound" sei bis zum Ende konsequent durchgehalten.

Dennoch: Dem Text unterliefen Nachlässigkeiten, der unsichtbare Chor, der über den Schaffner gleichsam "zu Gericht sitze", gerate aus dem Blick.

Die "kalkulierte Künstlichkeit" werde hier zum Programm erklärt. "Ein Text bewegt sich stilistisch zwischen Brecht und Handke", so die Bewertung Deterings.
Iris Radisch "Tapsige" 70er-Jahre-Lyrismen
Vorsitzende Radisch kritisierte, dass die Themen des Textes nicht größer gewählt werden hätten können.

Dies sei der Bericht eines Scheiterns, eines "Fischens im Trüben". Einer Therapiesitzung gleich werde das "leerlaufende Leben im Hamsterrad" aufgerollt.

Diese Beichte misslinge, weil sich der Text unentwegt "selbst kommentiere". Der Ton sei "geschwollen und gestelzt", die Liebesgeschichte verliere sich in "Gequatsche".

Hier werden in 70er-Jahre-Lyrismen "unoriginelle Bilder" erzeugt. Die Vorsitzende warf die Frage auf, ob der Ton des Textes gut sei. Radischs Antwort fiel klar gegen den Text aus: "zu tapsig, zu wabernd das alles".
Klaus Nüchtern "Kluger" Bericht über "Leben an der Grenze"
Klaus Nüchtern meinte, hinsichtlich seines "literarischen Verständnisses" sei dieser Text "klug" zu nennen.

Hier sei keine Beichte verfasst worden – vielmehr erzähle die Autorin über ein "Leben an der Grenze". Literatur ermögliche die "Sicht von außen auf sich selbst", das sei dem Text nicht vorwerfbar.

Allein dessen "Absturz in halbabstrakte Begrifflichkeiten" sei laut Nüchtern zu bemängeln.
Klaus Nüchtern, Juror (Bild: Johannes Puch)
Klaus Nüchtern
Ursula März Ausführung könnte "schärfer" sein
Ursula März meinte, etwas Wesentliches nicht verstanden zu haben: Habe man es hier mit einer Parodie zu tun, oder nicht? Falls der Text ernst gemeint sei, sei das "fatal" zu nennen.

Ein kleiner Mann in einem kleinen Leben in einer kleinen Wohnung lege sich ein Ego zu, weil er von außen dazu aufgefordert werde, und "erfinde sich eine Sprache".

Diese erinnere sie an die Bühnensprache des 18. Jahrhunderts. "Liliput im Idiom eines Elefanten!", müsse, so März, viel "schärfer ausgeführt" werden.
Martin Ebel Zu "aufgeschwemmt"
Martin Ebel sagte, ihm sei der Text "nicht so ganz klar geworden", obgleich er ihn "gerne verstehen" wolle.

Die Ortlosigkeit der Figur gerate zur "zwanghaften Fixierung". Ebel warf dem Text dessen Manieriertheit vor, dennoch sei der "Rhythmus, der Jargon der 50er Jahre, oft gelungen". Aber alles in allem: Der Text sei zu "aufgeschwemmt".
Martin Ebel, Juror (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel
Ilma Rakusa Durch und durch "französisch"
Ilma Rakusa spürte der französischen Machart des Textes nach: Man habe es mit einem "sensiblen Text im Beckett-Ton" zu tun, der "französisch bis ins Syntaktische" sei.

Die französische Sprache scheine durch die Grammatik des deutschen Textes hindurch. Allerdings sei der Text in seiner "pointierten Artifizialität" zu hinterfragen, sie strapaziere den Leser.

Hier werde "viel Aufwand um wenig betrieben", was an und für sich nicht störend zu nennen sei. Sie, Rakusa, störe der manieristische Ton nicht, obwohl das Deutsch dadurch etwas "geschwollen" erscheine.
Daniela Strigl "Durchkonstruiert" und "überstrapaziert"
Daniela Strigl zog die Parallele zum Ambros-Lied "Schaffnerlos" und wollte dies durchaus mehrdeutig verstanden wissen. Die Figur sei in dieser Form "sicher nicht bei der ÖBB zu finden".

Es sei aber nicht die erste Figur, die "in einen einfachen Beruf geflüchtet ist, um nicht da auch noch denken zu müssen".

Der Text seziere die Anatomie der Liebe, die Handlung kreise um Wörter wie Grenze, Terminus und Schlüssel – was die Durchkonstruiertheit des Textes unterstreiche. Allerdings sei die Bildlichkeit "überstrapaziert" zu nennen.
Burkhart Spinnen Thema bereits "oft erprobt"
"Eisenbahnexperte" Burkhart Spinnen konnte dem Text wenig abgewinnen. Dieser sei mit "Wehmut, Ortlosigkeit und dergleichen mehr geradezu vollgestopft", der Text habe sich selbst zum Gegner.

Er ringe dem Thema "schöne Sachen" ab, aber: "Ist hier eine Eisenbahn, die ich vorher noch nicht gekannt habe?" Das Thema sei schon oft erprobt worden.
Karl Corino, Juror (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino
Karl Corino "Studie über Mann ohne Eigenschaften"
Karl Corino meinte über sein Adoptivkind, die Autorin habe die "riskante Grundsatzentscheidung" getroffen, seinen Grundton durchzuhalten.

Die Personen erhielten zu Gunsten des "hohen Tons" keine eigene Stimme. Dieser kontrastiere mit dem banalen Ende. "Eine Studie über einen Mann ohne Eigenschaften", meinte Corino.