Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Bodo E. Hell (Bild: ORF)
BODO HELL
Bodo Hell
Der österreichische Autor Bodo Hell trug einen Text über den Gesellschaftskörper Mensch zwischen "Stadt Land Berg" vor. Er las - mit musikalischer Unterstützung einer Maultrommel - auf Einladung Ilma Rakusas in Klagenfurt vor. Die Jury sah sich in zwei Lager geteilt.
Bodo Hell, Autor (Bild: Johannes Puch)
Bodo E. Hell
Klaus Nüchtern "Literatur des kontrollierten Kontrollverlustes"
Klaus Nüchtern meinte: "Dieser Text ist selbstpromiskuitiv wie ein Birkhan". Er liefere sich dem "Sprachmüll" des Alltags lustvoll aus und demonstriere, dass man "keine Angst davor haben müsse, etwas zu wissen". Dieser Text beweise, so Nüchtern, dass sich Anarchie sehr wohl mit Präzision verbinden lasse.

Mit Hells Text habe man es mit einer "Literatur des kontrollierten Kontrollverlustes" zu tun, der großes "Vertrauen in die Sprache" aufweise.

"Dieser Text spricht von der unglaublichen Kompliziertheit des Menschseins". Und stellte einen "Nationalitätenunterschied zwischen den Juroren" fest: Den Österreichern sei es möglich, die "Poesie des Blödsinns" zu genießen.
Bodo Hell, Autor (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel "Witzig und lehrreich" - Ende "sehr schade"
"Dieser Text bedient sich aus dem Fundus der Populärwissenschaft, der Beratungsliteratur, der Werbesprüche, aus alten Chroniken und Bauernregeln - das ist seine Methode und sein Prinzip", stellte Martin Ebel gleich zu Beginn fest. Er behandle den Umstand, dass man durch tagtäglich durch die Sprache "zugemüllt" und der "täglichen Informationsflut nicht Herr werden könne".

"Bodo Hell hat nicht davor kapituliert, sondern Zäune der Wort-Willkür gezogen." Das angewandte "Random-Prinzip" habe große literarische Tradition, allerdings sei die Frage nach dem Fortgang des Textes zu stellen. Dieser sei stellenweise kolossal witzig und lehrreich, allerdings verfalle man nach einiger Zeit in eine "wohlige Müdigkeit". Das Ende lasse den Zuhörer dann wieder aufschrecken: "Das Wuff am Ende finde ich sehr schade", schloss Ebel.
Karl Corino Fehlende Struktur und Spannung
Karl Corino zog eine Parallele zwischen der Literatur Karl Kraus und Bodo Hells Text: "Es ist eine alte österreichische Tradition, die Zeit als satirische Halbfertigware der Zeitung zu entnehmen. Karl Kraus hat das mit seiner Fackel vorgemacht. Diese Tradition lässt sich natürlich fortführen, zumal sich die sprachliche Entartung ins Unermessliche potenziert hat".

Dies sei ein Text mit "Dutzenden von Textsorten" aus allen möglichen Bereichen: Von der Werbesprache über die Bauernsprache zur Bergsteigerprosa bis hin zu Liebeszauber und Lacan sei alles im Text enthalten, allerdings schaffe es dieser nicht, sich seinem eigenen "Unsinn" zu widersetzen und Struktur zu entwickeln.

Corino bemängelte die "fehlende Spannung": "Ich bin ein großer Freund der Maultrommel, bin aber der Meinung, dass der Text nicht auf der Höhe der Maultrommel steht."
Karl Corino, Juror (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino
Ursula März "Als Leser fühlt man sich hineingelegt"
Ursula März meinte: "Der Text schafft es, die Kritiker in die blödeste aller Rollen zu zwingen: die des Spielverderbers". Man könne sich als Leser des Eindruckes nicht erwehren, vom Text vorgeführt zu werden: "Man fühlt sich hineingelegt", so März.

"Der Revolutionär genießt das System, ich nehme ihm seinen Anarchismus nicht ab", kritisierte März.
Ilma Rakusa "Charaktervoll" mit "sehr humorvollem" Ende
Ilma Rakusa lobte die hohe Vortragskunst Hells. Es gebe nur wenige Autoren, die mit gleicher "Variationsbreite" am selben Projekt arbeiten würden.

Die Montagetechnik bedinge gewisse Brüche und Leerläufe, ohne die der Text "gar nicht zu ertragen" sei. Dieser sei in einem "witzig-ernsten" Ton gehalten, die angewandte Technik werde von Hell geschickt genützt, ohne zur Routine zu verkommen.

Den von Ebel kritisierten Schluss fand Rakusa im Gegenzug "sehr humorvoll": "Großes Work in Progress und ein sehr charaktervoller Text", schloss diese ihr Plädoyer.
Ilma Rakusa, Jurorin (Bild: Johannes Puch)
Ilma Rakusa
Daniela Strigl "Genießerisches Prinzip" als Pluspunkt
Daniela Strigl lobte das "genießerische Prinzip" als größten Reiz dieses "Avantgarde-Textes", dieser zeige die "spielerische Lust an der Literatur als Enzyklopädie".

Die Welt erscheine in ihrer "verwirrender Vielstimmigkeit", zwischen der man sich im Alltag scheinbar mühelos bewege.
Heinrich Detering Kritik an "typographischem Gefuchtel"
Heinrich Detering konnte sich dem nicht anschließen und meinte: "Ich muss mich gegen die Heiterkeit der Kollegen humorlos äußern".

Der Text erfordere ein hohes Maß an "Aufmerksamkeitsmanagement". "Für meinen Geschmack redet der Text zu viel", kritisierte Detering. Hier werde "gekonnt vor sich hin geblödelt" aber: "Avantgardistische Trivialliteratur mag ich nicht so gerne", obwohl ich vor 30 Jahre wohl anders geredet hätte. Das ist "typographisches Gefuchtel", meinte Detering abschließend.
Iris Radisch Unschlüssig wegen "absurder Augenblicke"
Vorsitzende Radisch meinte, dem Text dessen "große Lust am Trash" anzumerken und gab sich unsicher: "Ich weiß nicht, zu welcher Seite ich überlaufen soll".

Das Verzweifeln an der "Fertigsprache" sei verstehbar und gelinge auf weiten Strecken des Textes. Dieser eigne sich die Sprache durch Überbietung wieder an. Dessen "absurde Augenblicke" würden einen "dritten und vierten Sinn" ergeben. "Das geht auf eine halbe Stunde gut, drei Tage lang ist das für mich nicht vorstellbar", so Radisch.