Bachmannpreis ORF.at Autoren
FR | 11.02 | 15:52

Sasa Stanisic
Polarisierende Kriegsgeschichte
Der 27-jährige Sasa Stanisic, eingeladen von Ilma Rakusa, beschreibt in seiner Erzählung die Einnahme seiner Heimatstadt im Bosnien-Krieg aus der Sicht eines Kindes. Für die Kinderperspektive gab es Lob und Kritik.
Iris Radisch "Effekt: Langeweile!"
Jury-Vorsitzende Iris Radisch konstatierte, dieser Krieg spiegle sich im interessanten Text "wie in einem Paralleluniversum" wider. Alle "Absurditäten des Nationalismus" würden in der Kinderseele des Protagonisten "zurechtgemacht". 

Zudem funktioniere der Text nicht: Der Versuch, die Wirklichkeit so wahrheitsgemäß nachzuerzählen, gerate zu einem "langweiligen Effekt." Reines Abbilden der Wirklichkeit sei ungenügend für einen literarischen Text.
Sasa Stanisic
Sasa Stanisic (Bild: Johannes Puch)
Sasa Stanisic las auf Vorschlag von Ilma Rakusa aus einer titellosen Erzählung. Der in Bosnien geborene Autor lebt mittlerweile in Deutschland. Sein Text handelt vom Krieg in "Ex -Jugoslawien", geschildert aus der Perspektive eines Kindes.
Ursula März "Pseudokindlichkeit"
Ursula März schloss sich in ihrer Kritik Radisch an. Die Problematik des Textes sah März sowohl technisch als auch inhaltlich bedingt.

Das Grausame des Krieges raube dem kindlichen Ich in der Norm seine unschuldige Perspektive, während diese hier weiter ausgeführt sei.

Der Stoff gehe durch diesen Umstand letztlich verloren, werde "entdramatisiert" und werde so langweilig.
Martin Ebel
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
"Kein falscher Ton"
Juror Martin Ebel wunderte sich gar nicht über Radischs Kritk: "Die Kinderperspektive wird von ihnen notorisch nicht gemocht!"

Hier werde der Krieg zur "Normalität" erklärt, gerate zum Spiel. Ebel: "Das verschlägt einem die Sprache!" Kein falscher Ton finde sich darin, da die Kinderperspektive von Anfang bis Ende konsequent durchgehalten sei.
Daniela Strigl "Das Spiel kippt ins Reale"
Für Daniela Strigl ist die Geschichte auch angesichts des "riesigen Themas" sehr kompakt durchgeführt.

Die Kinder im Text würden den Krieg spielen wie andere auf der Welt - nur dass hier das Spiel sehr schnell in Realität umschlage, was die Bedrohlichkeit des Textes ausmache.

Strigl zog eine Parallele zu Ilse Aichingers Text "Die größere Hoffnung", der als Folie im Hintergrund der Erzählung wahrnehmbar sei.
Kritik am Perspektivenwechsel
Auch Juror Detering lobte die "Einfachheit, Klarheit und Geradlinigkeit" des Textes, der, soweit bei diesem Thema sagbar, "sympathisch rüberkomme".

Als Problem des Textes kritisierte Detering dessen Wechsel zwischen Erwachsenen- und Kinderperspektive: "Die hochpoetischen Ausdrücke des Rückblicks maskieren sich hier als Kind, dass von allem nichts weiß. Beide zusammen gehen nicht richtig."
Ilma Rakusa, Heinrich Detering
Ilma Rakusa, Heinrich Detering (Bild: Johannes Puch)
"Einnehmendes Understatement"
Für Ilma Rakusa, die den Autor vorgeschlagen hatte, ist die große Leistung des Textes, "en detail" vorzugehen und auf die große geschichtliche Darstellung zu verzichten.

Diesem sei so ein "Understatement" eigen, das nirgends pathetisch werde. Einnehmend am Text sei vielmehr der Umstand, das "große Drama" nicht wiederzugeben: "Er nimmt sich nicht zuviel vor!"
Klaus Nüchtern "Fingiert und herbeigeschrieben" 
Klaus Nüchtern schloss sich in seinem Lektüreerlebnis an jenes von Radisch und März an. Das poetische Moment der Erzählung lasse die Kinderperspektive "fingiert und herbeigeschrieben erscheinen."
Norbert Miller "Es war sehr wohl so!"
Norbert Miller wiederum betonte den realistischen Gehalt der Erzählung, indem er auf sein eigenes kindliches Erleben im Krieg verwies: "Es war sehr wohl so!"

Der Text "plage" einen zwar an manchen Stellen, außerdem stimme die evozierte Atmosphäre oft nicht mit den dafür gebrauchten Bildern überein. Im Ganzen betrachtet kennzeichne diesen Text jedoch eine Linearität, die bestechend sei.
Publikum (Bild: Johannes Puch)
Das Publikum zeigte unterschiedliche Begeisterung, als der Text fertig gelesen war.
Burkhard Spinnen "Große Historie fehlt"
Burkhard Spinnen lenkte die Aufmerksamkeit auf das "moralische Problem", in welchem sich die Kritik angesichts so eines Textes befinde. Dem Text sei quasi als Subtext die historische Wirklichkeit zur Seite gestellt.

Damit verlange dieser eine "stille Evokation des Wissens". Der Erzählung fehle neben dem individuellen Schicksal die große Historie.

Zusammenfassung: Barbara J. Frank