Bachmannpreis ORF.at Autoren
FR | 11.02 | 15:52
Natalie
Balkow
Lobeshymnen für Balkow
Natalie Balkow las auf Vorschlag Klaus Nüchterns aus einer Erzählung mit dem Titel "Oben, wo nichts mehr ist". Die Liebesgeschichte wurde von der Jury mit einhelliger Begeisterung besprochen.
Eine junge Frau lebt in einer Mietwohnung. Als die alte Nachbarin stirbt, zieht ein neuer Bewohner ein, der zunächst verborgen bleibt. Eines Abends klopft er an ihrer Tür, um sich eine Flasche Sekt auszuborgen. Tags darauf bringt er Sekt zurück, und wenig später landen die beiden im Bett. Ob daraus eine langfristige Beziehung wird, lässt die Autorin offen, deutet es aber an.
Natalie Balkow
Natalie Balkow (Bild: Johannes Puch)
Ursula März "Hochallegorische Sachlichkeit"
Ursula März erklärte, besondere Qualität des Textes sei es, eine "religiöse Perspektive einzunehmen, ohne eigentlich religiös zu sein", wobei unter der von ihr festgestellten "Religiosität" eine "feste Perspektive" zu verstehen sei, von dem aus die Wirklichkeit betrachtet würde.

Die Welt gerate von einem Punkt aus ins "Blickfeld", wobei vor allem die "große Sachlichkeit" am Textes zu loben sei.  Gleichzeitig sei dessen Sprache "hochallegorisch", schaffe es aber, dies in den "Alltag" zu integrieren.

Diese Verschränkung von Realität und Allegorie bilde eine der ganz großen Leistungen des Textes, wobei dessen Stil unglaublich "zeitgenössisch und modern" zu nennen sei.
Martin Ebel
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
"Eine besondere Liebesgeschichte!"
Der Text brauche eine Form der "schlichteren Lektüre", so Martin Ebel. Der Text erzähle in sehr subtiler Weise von der "behutsamen Annäherung zweier Figuren, die irgendwie aus der Welt gefallen sind".

Das "Lösen der Zwänge" der Hauptfigur gehe mit dieser Begegnung zwischen Mann und Frau einher, was von der Autorin "ganz wunderbar geschildert" werde: "Eine besondere und sehr zarte Liebesgeschichte!"
Daniela Strigl "Faszinierend, aber unökonomisch"
Daniela Strigl sah mit Balkows Text die Tendenz in der deutschsprachigen Literatur zur Form der "erotischen Nachbarschaftsgeschichte" bestätigt. Dieses berge ein "ungeheures erotisches Potential."

Allerdings gehe der Text ein wenig unökonomisch mit seinen inhaltlichen Mitteln um, da die Geschichte der alten Frau zu Beginn des Textes zuviel Raum einnehme.
Iris Radisch "Ein sehr, sehr guter Text"
Vorsitzende Radisch lobte am Text dessen "Detailgenauigkeit", der "umgekehrte Blick ins Mikroskop" schaffe eine Horizontverengung.

Ganz im Sinne Ursula März' sei hier von einer "Neuen deutschen Sachlichkeit" zu sprechen. "Ein sehr, sehr guter Text!", so Radisch.
Heinrich Detering
Heinrich Detering, Ernst A. Grandits (Bild: Johannes Puch)
"Rätselhaft und wunderschön"
Heinrich Detering sprach von "Tiefsinnigkeit auf der Oberfläche", allerdings bemängelte auch er den etwas unökonomischen Aufbau.

Trotzdem: In seiner Klarheit sei der Text ganz rätselhaft und dadurch  wunderschön. Überhaupt habe man nicht den Eindruck, dass der Text "einem vor der Nase rumfuchtelt, Oh ich habe ein Mysterium!"
Ilma Rakusa "Eine Wahrnehmungskünstlerin"
Ilma Rakusa nannte die Autorin eine "Wahrnehmungskünstlerin", lobte die Detailgenauigkeit und die unprätentiösen Lyrismen der Autorin: "Es kommt darauf an, was man aus dem Alltäglichen macht!", so Rakusa.
Burkhard Spinnen "Schöner Text, schönes T-Shirt"
Burkhard Spinnen meinte "vollkommen wehrlos" ohne Umschweife lapidar: "Ich schließe mich den Urteilen mit einem netten Kompliment für das T-Shirt der Autorin an!"
Klaus Nüchtern "Empathie durch Sachlichkeit"
Klaus Nüchtern konnte sich dem Lob der Kollegen für "seine Autorin" nur noch anschließen.
Wettlesen auch für die Zuschauer
Ihm habe am Text vor allem die "raffinierte Zeit und Temporegie" imponiert, da Monate "so hererzählt" würden, ohne dass der Leser sich gehetzt fühle: "Dieser Text ist sehr souverän gemacht. Man wird dünnhäutig beim Lesen", so Nüchtern.

Ursula März Urteil über die Verschränkung von "Alltag und Allegorie" sei "sehr treffend" gewesen. Überhaupt erinnere der Text an den Vorjahrestext von Arne Ross: Auch in Balkows Text werde "Empathie durch Sachlichkeit" hergestellt.

Zusammenfassung: Barbara J. Frank