Bachmannpreis ORF.at Autoren
FR | 11.02 | 15:52
Christoph Simon (Bild: Johannes Puch)
Christoph
Simon
Ein "zielloser Schelmenroman"
"Ein Schelmenroman" eröffnete den zweiten Lesetag. Der Schweizer Autor Christoph Simon las auf Vorschlag Martin Ebels aus "Planet Obrist". Die Jury störte sich an der "Ziellosigkeit" des Textes.
Ein Dachs als Haustier
Ein junger Schweizer, Franz Obrist, beschließt, gemeinsam mit seinem zahmen Dachs auszuwandern - zu Fuß, mit einer Umhängetasche und ein paar Franken. Wohin er auswandern will, weiß er noch nicht so genau. Allzu weit kommt der Protagonist nicht, lässt sich eher treiben und führt absurd anmutende Dialoge mit seinem Dachs. Das Fragment endet mit einer Übernachtung unter Obdachlosen.
Christoph Simon
Christoph Simon (Bild: Johannes Puch)
Klaus Nüchtern "Bin ein Dachs-Fan"
Klaus Nüchtern: "Sieht man von Tapiren und Ameisenbären ab, dann ist der Dachs das dritte Tier, dessen Eleganz und Tapsigkeit mich ungeheuer einzunehmen vermag. Der zweite Grund, diesen Text zu mögen liegt in dem Umstand, dass ich selbst ein sensibler Gymnasiast gewesen bin."

Hier werde Ironie gezeigt, so Nüchtern, die die Sehnsucht nicht verrate um in bloßen Kitsch abzugleiten. Allerdings sei es zweifelhaft, dass der dargebrachte Stoff, auf Romanlänge ausgedehnt, noch überzeugen könne. Das Urteil: Leicht "überthematisiert", aber sehr sympathisch gemacht.
Heinrich Detering
Heinrich Detering (Bild: Johannes Puch)
"Ziellose Reise des Helden"
Auch Heinrich Detering meinte, im Text sei - vor allem durch den gesiezten Dachs - großes komisches Potential angelegt. Dennoch bemängelte Detering die "ziellose Reise" des Helden, die endlich in "ziellose Prosa" umschlage.
Das Ganze sei recht "hübsch", leide aber an einem grundlegenden ästhetischen Problem: "Die lächerliche Glücksuche wird kaputt, sobald sie versucht, sich selbst zu erklären!"
Daniela Strigl "Geschichte mit Reiz"
Daniela Strigl wies darauf hin, die unbewegte Miene des Schweizer Autors  beim Vorlesen hätte das tragikomische Element des Textes etwas "verdeckt".

In der durch Detering kritisierten Ziellosigkeit des Textes meinte Strigl jedoch ein notwendiges Element des literarischen Sujets, der im "Ausbruch vom alltäglichen Leben" angelegt sei, zu erkennen. Eine Geschichte mit Reiz, so Strigl.
Iris Radisch
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
"Literarische Tiere zu possierlich"
Für Iris Radisch ist das "Auftauchen von Tieren" in der Literatur problematisch: "Das rutscht so leicht ins possierliche." Die Geschichte besitze für sie eine zu "dandyhafte Exzentrik".

Der Text komme nie aus seiner "humorigen Welt" raus, überdies sei die dargestellte Welt "zu kleinteilig". Überdies forderte Radisch von der Literatur eine "Öffnung" der Welt, die keiner künstlichen Vereinfachung bedürfe.
Burkhard Spinnen "Orgie der Komplettierung"
Burkhard Spinnen kritisierte den "zu flachen Vortrag des Autors": "Die Schweizer sollten den Ball nicht so flach halten!" Dennoch habe auch er das "Sympathische am Text" deutlich empfunden.
Allerdings gerate dieser zu einer "Orgie der Komplettierung eines Genrebildes":" Ein Ravensburger-Puzzle mit 1.500 Teilen wird hier zügig komplettiert, und komplettiert, und... "

Das Bild des Lesers werde so "immer enger". Juror Detering sei somit in seiner Kritik Recht zu geben.
Ursula März "Fantasiereich, aber matt"
Ursula März schloss sich Detering und Spinnen in ihrer Kritik an. Der Text verrate einen sehr begabten und fantasiereichen Autor - trotzdem hinterlasse er bei ihr einen "matten Eindruck".

März verortete das Problem in der "Haltung" des Textes, dessen zu große "Lässigkeit" den schmalen Grad zur "Indifferenz" zu oft überschreite und dadurch "beliebig" würde.
Publikum (Bild: Johannes Puch)
Interessierte Zuhörer: Kultureferent Vizebgm. Mario Canori und ORF-Landesdirektor Willy Mitsche
Norbert Miller "Alles schon gehabt"
Norbert Miller fand alles "liebenswürdig und hübsch gemacht". Beunruhigend am Rande sei nur der Umstand, "dass alles schon gehabt zu haben".
Ilma Rakusa "Unschlüssig und zu viel erklärt"
Ilma Rakusa betonte den Umstand, dass Schweizer Leser sicher "mehr Assoziationen" in den Text hineinlesen würden, als Herr Spinnen, "der in Münster lebt".

Sehr hübsche Details, so Rakusa. Allerdings sei ihr die Haltung "zu unschlüssig", wobei darüber hinaus "zuviel erklärt" würde. Dennoch verortete sie "großes Potential für das Absurde".
Martin Ebel "Monotonie als Konzept"
Martin Ebel, der den Autor eingeladen hatte, meinte abschließend, die kritisierte "Unschlüssigkeit" des Textes sei "Programm". Die "episodische Form" des Textes liege in der Tradition des Schelmenromans.

Zusammenfassung: Barbara J. Frank