Bachmannpreis ORF.at Autoren
FR | 11.02 | 15:52
Sabine Schiffner (Bild: Johannes Puch)
Sabine
Schiffner
Schlechte Kritik für "Kindbettfieber"
Sabine Schiffner las auf Vorschlag Martin Ebels aus dem Romanauszug "Kindbettfieber" vor. Außer Ebel fand der Text bei keinem Jurymitglied Anklang.
Verbrennen der Erinnerungen
"Wofür man sich schämen muss im Nachhinein" wird von einem Ehepaar in Form von Fotos und Briefen in einer Osternacht verbrannt, um jene Namen und Bilder zu bannen, die sich als dunkler Faden durch das Jahrhundert einer Familiegeschichte ziehen.

Der Text changiert zwischen 1981 und 1941. Der Blick auf eines der Fotos bringt eine Rückblende in das Jahr 1941, endend im Luftalarm, garniert mit einigen Bezügen zur Nazizeit.
Sabine Schiffner
Sabine Schiffner (Bild: Johannes Puch)
Heinrich Detering "Ich glaube, das geht so nicht"
"Ich glaube das könnte gehen, aber ich glaube das geht so nicht!", begann Heinrich Detering seine Kritik.

Zwar werde hier ein riskantes Unternehmen begonnen, aus der Perspektive zweier älterer Personen zu erzählen - dennoch fehle eine prägnante Gegenstimme im Text. Die Außenperspektive fehle dem Text und lasse ihn auf eine Verklärung von Geschichte hinauslaufen.

Heinrich Detering betonte, der Text wäre sehr kunstvoll gemacht, allerdings gebe es ein "Kardinalproblem": Der elegische Ton der Erzählung unterstreiche dessen Behäbigkeit.
Iris Radisch
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
"Sehr merkwürdig, das alles"
Iris Radisch erklärte sich "ganz einverstanden" mit Deterings Auffassung. Allerdings sehe sie den Versuch, im Text eine Gegenperspektive aufzumachen - was sie jedoch weiter verwirrt gemacht habe.

"Ich verstehe die Rahmenhandlung nicht, und warum das verräterische Memorabilien sein sollen", kritisierte Radisch.

Hier würden die Motive nicht genug "ausgeführt" um verständlich zu werden. Die Rahmenhandlung fange die zu erzählende Geschichte nicht auf. "Sehr merkwürdig, das alles!", schloss Radisch.
Burkhard Spinnen "Ein fünffacher Flop"
Burkhard Spinnen lenkte die Aufmerksamkeit auf den in der Literatur oft getätigten Versuch, "Weltgeschichte als Individualgeschichte" zu erzählen.

Der familiäre Raum würde durch das äußere Geschehen nur partiell unterbrochen, was das Ganze oft "zu idyllisch" geraten lasse.

Die Autorin Schiffner versuche das Gegenteil: Hier werde die Familie zum "autarken Bollwerk" gegen die Geschichte erklärt.

Aber, so Spinnen: "Das kann man aber nicht, ich kann das so nicht lesen! Das ist wie ein fünffacher Flop oder so!" Die ästhetischen Gesetze widersprächen der Errichtung einer solchen Privatheit und Idylle "inmitten der Katastrophe".
Ilma Rakusa
Ilma Rakusa (Bild: Johannes Puch)
"Ästhetisch geht es so nicht!"
"Ich stimme Herrn Spinnen zu", begann Ilma Rakusa. Hier entstehe Idylle. Aber das Problem liege auch im Romanauszug selbst, allerdings sei nur das "hier Sichtbare" beurteilbar.

Der Text leide an der "Ungebrochenheit seiner Perspektive". "Der Kontrapunkt fehlt. Ästhetisch geht es so nicht", so Rakusa. Deshalb gerate der Text zu behäbig und erinnere an "100 andere Sachen, die man irgendwo gelesen hat".
Daniela Strigl "Permanentes Biedermeier"
Auch Daniela Strigl konnte dem Text in seiner vorliegenden Form nichts abgewinnen. Als positives "Gegenbeispiel" nannte sie den Vorjahrestext Arno Geigers.

"Das ist permanentes Biedermeier. Die Figuren scheinen wie auf eine Kulisse geschraubt, die nicht ernst zu nehmen ist", meinte Strigl.

Darüber hinaus würden bereits in kleinen Details "Fehlstellungen" hinsichtlich seiner geschichtlichen Glaubwürdigkeit sichtbar.
Martin Ebel
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
"Unglaublich geschickte Bauart"
Martin Ebel, auf dessen Einladung Schiffner eingeladen worden war, verwies auf die literarische Verwandtschaft des Textes mit Kempowski. Auch diesem sei der Vorwurf gemacht worden: "Wo bleibt das Negative?" Sowohl dort als auch bei diesem Text sei jedoch die Geschichte als "Negativfolie" vorhanden.

In seiner unglaublich geschickten Bauart sei der Text alles andere als "bieder". Hier werde die Geschichte einer Bremer Bürgerfamilie erzählt, die versuche, in einer "verkehrten Welt" ihre Tradition aufrechtzuerhalten.

Das Ehepaar vollende die "Zerstörung" unter dessen Signum das Jahrhundert stehe im Verbrennen ihrer Erinnerung.
Ursula März, Norbert Miller
Ursula März, Norbert Miller (Bild: Johannes Puch)
Norbert Miller "Es bleibt Ratlosigkeit über"
"Diese Mimikry macht mir Kopfzerbrechen", äußerte sich Norbert Miller.

Sein Missbehagen am Text liege in der Furcht, dass die verbrannten Erinnerungen "in Wirklichkeit nicht Geschichte, sondern den Nachnamen von Richard preisgeben würden".

Dessen "Stimmigkeit" im Detail sei äußerst zweifelhaft. "Es bleibt Ratlosigkeit über!", so Miller.
Ursula März "Üble Kulturschieberei"
Ursula März äußerte einen "noch schärferen Verdacht" gegen dieses "ästhetische Unterfangen": Möglicherweise werde hier Geschichte auf einen privaten "Mikrokosmos" reduziert. 

Die an sich beschädigte Geschichte des 20. Jahrhunderts werde im schlechtesten Fall in eine unbeschädigte Naturgeschichte umgewandelt: "Das ist üble Kulturschieberei! Mir wird tiefmulmig dabei", so März.
Klaus Nüchtern "Ein Schlaflied!"
Klaus Nüchtern plädierte auf diesen Vorstoß mit der Bitte, sich doch mit dem "Text, wie er da liegt" zu befassen. Aber auch er konnte diesem nichts Positives abgewinnen.

Dieser werde in jedem Detail unheimlich "breit", wo der vorherige Text alles sehr komprimiert erzählt habe: "Ein Schlaflied!"

Darüber hinaus sei die Binnenrahmung nicht stimmig, wobei der Text ihm "zu gemütlich und betulich" sei: "Ein Schlaflied!"