Bachmannpreis ORF.at Information
FR | 11.02 | 15:52
Hanns-Josef Ortheil (Bild: Peter von Felbert)
Warum wir Klagenfurt so lieben
Die Klagenfurter Rede zur Literatur
von Hanns-Josef Ortheil
Ein großes, sommerliches Zimmer in einer mittelgroßen Stadt Österreichs, der Schweiz, Deutschlands. Es ist Donnerstag, der 28. Juni 2007, 8.30 Uhr. Einige Jungautorinnen und Jungautoren im Alter zwischen 20 und 25 Jahren sitzen vor dem Fernseher und warten auf den Beginn der 3sat-Übertragungen vom Ingeborg Bachmann-Preis 2007. Es läuft das "Alpenpanorama".
Hanns-Josef Ortheil (Bild: Johannes Puch)
- Ich liebe das Alpenpanorama, manchmal kann ich mich frühmorgens gar nicht davon losreißen, all diese still vor sich hinschnurrenden Bergbahnen, diese Sommerrodelecken und sonnenumfluteten Berggipfel und menschenleeren Thermalbäder...

- Stimmt, das Alpenpanorama ist fantastisch, beim Zusehen wirst Du vollkommen ruhig, es ist wie Meditation, wie Zen: Die ganze Gipfel-Welt, lässig in sich ruhend und nirgends ein einziger Mensch.

- Heute ist es fünf Minuten kürzer, um 8.55 Uhr geht es los im ORF-Theater in Klagenfurt, wir schalten um, jetzt gibt es stundenlang Literatur live.

- Ja, genau, aber Sie schalten nicht direkt um in das Theater, sondern zu den 3sat-Reportern vor Ort, die sich meist im Freien, vor dem Theater, eingenistet haben. Die 3sat-Reporter, das sind die Medienprofis, Leute wie Eva Wannenmacher oder Gert Scobel, die liegen gegen 8.55 Uhr bereits auf der Lauer, während hinter ihnen die Zuschauer live ins Theater strömen.

- Live und meist vereinzelt, höchstens in Zweier-Gruppen, das ist ja das Seltsame, vereinzelt oder in Zweier-Gruppen, es sieht aus, als seien sie geradewegs dem Alpenpanorama entsprungen: Lässig, in sich ruhend, wie Kirchgänger.

- Stimmt, ist mir noch gar nicht so aufgefallen, stimmt aber absolut: Wie Kirchgänger!

- Genau, Du siehst also diese ins ORF-Theater strömenden Kirchgänger, während der 3sat-Medienprofi das Bild für vier oder fünf Minuten rahmt.

- Dann aber geht es hinein ins Theater, und wenn Du Glück hast, siehst Du das noch halbleere Halbrund mit den Tischen und Sitzen der Jury, an dem gerade die ersten Jury-Mitglieder Platz nehmen.

- Ich finde ja, dass es zum Einzug der Jury-Mitglieder Musik geben müsste, den Triumphmarsch aus Aida oder irgendwas aus der Götterdämmerung, jedenfalls ganz groß und mythisch, wie bei ganz großem Sport. Das ist nicht gut, dass sich die Jury-Mitglieder da so verlegen in das leere Halbrund quetschen.

- Es ist vor allem deshalb nicht gut, weil das Halbrund ja gar nicht so leer ist, das Halbrund ist eine Bühne, schließlich hat es ein Designer ja eigens als Bühne entworfen. In diesem Jahr gibt es ein Webteppichdesign, ein handgewobener Stoffresteteppich, leicht gewellt, wie immer von H.P. Maya...
Hanns-Josef Ortheil (Bild: Johannes Puch)
- Super, das passt! Also eine Bühne..., und dazu gehört eben große Musik, ein Opern-Entree, das wär´s.

- Ja genau, statt dessen aber sehen wir plötzlich Ernst A. Grandits, Ernst A. Grandits sitzt dann da wie der Hüter des Bachmann-Schatzes.

- Ich mag Ernst A. Grandits, Ernst A. Grandits ist Kult. Er ist die Gelassenheit selbst, er sitzt da, als wolle er andeuten: Ich mache das hier seit 56 Jahren, mich bringt nichts mehr aus der Ruhe.

- Vor allem aber ist er der Hüter des Bachmann-Schatzes, und als Hüter des Schatzes verabreicht er den Zuschauern jeden Morgen die Bachmann-Pille, Urworte orphisch, meist übrigens aus Ingeborg Bachmanns Frankfurter Vorlesungen, Bachmann-Sätze von der Art wie „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ oder „Der Mensch ist dem Menschen unzumutbar“ oder so...

- „Ingeborg Bachmann sagte bei einer ihrer Frankfurter Vorlesungen...“, sagt Ernst A. Grandits, und dann bekommt man die großen Wahrheiten zu schlucken, das muß einfach sein.

- Ja, genau, Ernst A. Grandits murmelt diese Wahrheiten whiskyweich-raunend vor sich hin, und plötzlich ahnt man: Das Ganze hier ist ein Ritual, ein zeremonieller Ritus, hier werden Ingeborg Bachmann Worte und Gaben geopfert...

- Exakt, das Ganze ist pure Archaik, eine Kult-Handlung, deshalb ist das Bühnendesign ja auch meist roh und archaisch, ein Stoffresteteppich, das passt...

- Und deshalb ist Ernst A. Grandits letztlich der raunende, beschwörende Priester...

- Richtig, danach aber geht es los mit den Lesungen...

- Moment, erst kommt noch das Autoren-Porträt, diese Zwei-Drei-Minuten-Einspielungen mit den immerfort spazierengehenden, kaffeetrinkenden und vor dem Computer sitzenden Autorinnen und Autoren...

- O weia, ja, diese Porträts sind eine echte Hürde, wenn Du als Jungautorin oder Jungautor da einen Fehler machst, brauchst Du erst gar nicht mehr zu lesen.

- Auf keinen Fall Sätze von der Art „Ich habe schon immer gerne meine Umgebung beobachtet“..., oder „Ich liebe Brücken“..., oder „Ich verstehe mein Schreiben als...“.

- Diese Autorenporträts sind eine erste, hammersharte Prüfung, am besten dreht man so etwas natürlich selbst...

- Eindeutig, am besten dreht man sie gleich selbst, und am besten taucht man in ihnen gar nicht erst auf.

- In 90 % aller Fälle ist man schon nach dem ersten Bild unten durch: Superernst, superlustig..., geht natürlich alles nicht...

- Ja mein Gott, wenn das alles nicht geht, wie würdest Du es dann machen?!

- Ich sagte ja schon, selber Regie führen..., oder: Ein Zwei Minuten-Standbild, der Autor allein in einer Blackbox, so wie Becketts Letztes Band..., das passt.
Publikum (Bild: Johannes Puch)
- Also gut, nach dem Porträt kommt die Lesung.

- Moment, vor der Lesung sagt Ernst A. Grandits erst noch einen weiteren kultischen Satz: „Dieter Murmel liest auf Vorschlag von Iris Radisch seinen Text Diskrete Körperarbeit.“ - Ja, genau, und sofort geht in Deinem Kopf der erste Assoziationswirbel los, denn natürlich hast Du gerade das Dieter Murmel-Porträt gesehen und natürlich versuchst Du, blitzschnell zu begreifen, was für ein Text Diskrete Körperarbeit jetzt sein könnte und was das alles mit Iris Radisch zu tun hat...

- Richtig, das ist ein echter Klagenfurt-Moment, ein Moment, weswegen ich diese wunderbaren Übertragungen überhaupt sehe: Wenn man die Autorin oder den Autor dann live auf der Klagenfurt-Bühne erlebt, wie er dasitzt und seiner Lesung entgegenschwitzt, wenn man den Titel seines Textes hört und den Namen des Jurors, der ihn vorgeschlagen hat, und wenn man das alles mit dem gerade gezeigten Porträt abgleicht..., das ist ein absolut scharfer Moment, das ist Kopfarbeit pur, was Dir da durch den Kopf blitzt, das ist Medienästhetik, und das ist Ästhetik des Schreibens, in so einem Moment beweist sich Brillanz.

- Ich kann so etwas nicht, ich kann so etwas nicht richtig brillant denken, ich bleibe immer an der Kleidung der Lesenden hängen, ich vertiefe mich richtiggehend in all diese rassigen Leseoutfits und diese geföhnten Haarkoloraturen...

- Na und? Das ist doch Medienästhetik, genau das...

- Und ich denke immer: Was hat das alles mit Iris Radisch zu tun? Und wenn Dieter Murmel dann liest, schaue ich Iris Radisch zu, wie sie da so unglaublich versonnen und gelassen und gereift den gesamten Text Seite für Seite wegblättert...

- Na bitte, das ist doch auch Medienästhetik, genau das...

- Kinder, ich bitte Euch, letztlich geht es weder um Leseoutfits noch um die versonnen blätternde Iris Radisch, sondern um einen Text, es geht um die Ästhetik des Schreibens...

- Auch, aber eben nicht nur, in Klagenfurt geht es darum auch, aber nicht nur, das ist ja gerade das Besondere an Klagenfurt, dass es ein großes Gesamtkunstwerk ist, etwas, das man lesen und deuten können sollte...

- In Ordnung, dann deute mir mal diese Lesungen! Was geht da eigentlich ab? Was ist eine Klagenfurt-Lesung in Deiner Deutung?

- Eine gute Klagenfurt-Lesung mit anschließender Kritiker-Diskussion ist die Vorführung einer Werkstatt, nicht mehr und nicht weniger. Ein Text wird gelesen, getestet, es handelt sich um ein medienästhetisches Experiment...- so musst Du das sehen. Und jedes dieser Experimente hat seinen eigenen Verlauf: Wie wird gelesen? Was macht die Frische dieses noch unveröffentlichten Textes aus? Wie untersucht er Gegenwart? Und was macht er mit mir? Das Ganze mit der Vorlese-Stimme und den neun Kommentar-Stimmen der Kritik ist eine momentane Versuchsanordnung, eigentlich ist es ein großer Opernmoment: Das Solo und der darauf folgende Chor mit neun Einzelstimmen, es ist wie ein Tableau. Da musst Du hören und sehen können: Wie war die Vorgabe des Solo, wie verhalten sich die Chorstimmen dazu, wie verhalten sich die Chorstimmen zueinander, und welche Szene kommt am Ende dabei heraus? Denn jedes Mal entsteht eine Szene, jedes Mal haben wir es mit einem großen Gesamt-Auftritt aller Beteiligten zu tun. Das ist Klagenfurt, und deswegen liebe ich es.
Publikum (Bild: Johannes Puch)
- Franz Kafka wäre niemals nach Klagenfurt gefahren.

- So ein Quatsch, so ein elender Wichtigtuer- und Drüberweg-Gucker-Satz. Natürlich wäre Franz Kafka nach Klagenfurt gefahren, schmal, schlank, verhalten lächelnd hätte er sich in seinem dunklen Anzug, gut gekämmt, ans Podium gesetzt, und Ernst A. Grandits hätte gesagt: „Franz Kafka liest auf Vorschlag von Hanns-Josef Ortheil den Anfang seines Romans Der Prozeß...“

- Ja genau, und nach der Lesung wäre das Urteil der Kritik gespalten gewesen, einige Kritiker hätten gesagt, es sei etwas allzu behäbig losgegangen und die Figuren seien extrem schwach gezeichnet, während andere behauptet hätten, sie seien von der „disluziden Integrität und statisch-verspielten Imagination“ des Autors enorm beeindruckt.

- Zum Ernst Willner-Preis hätte es jedenfalls allemal gereicht...

- Genau, aber viel wichtiger als all diese Preise ist doch das Experiment, die Werkstatt, die große Szene. Die Preise...- die sind jedenfalls nicht das Zentrale, Preise gibt es in aller Welt gratis, und das ganze Gerede darüber, wer welchen gekriegt hat, ist Meinung, Geschmack und Konversation und damit supergratis.

- Findest Du es denn okay, dass die Kritiker die Texte vorher schon kennen?

- Ja, das finde ich schon okay, es wäre einfach schlimm, wenn sie einen Text noch nicht gelesen und gerade ihre todmüden Momente hätten und der Text dann einfach so vor der Kaffeepause ins Dunkel abrutschen würde. Andererseits finde ich aber auch: Gute Kritik reagiert nicht auf einen bereits zu Hause gelesenen Text, sondern auf eine Lesung. Gute Kritik ist brillante Plötzlichkeit und nicht das Ablesen von Notaten und Bonmots, die man sich zu Hause auf Kosten des Textes notiert hat.

- Bravo, genau, „brillante Plötzlichkeit“ in Bohrerschem Sinn, das ist gefordert...

- In welchem Sinn?

- In Karl Heinz-Bohrerschem Sinn...

- Mein Gott, muß ich den kennen?

- Frag nicht mich, lies lieber sein Buch über „Plötzlichkeit“ - und dann frag Dich selbst!

- Jedenfalls ist die Lesung mit anschließender Diskussion eine Gesamtszene, die von der Fernsehübertragung inszeniert wird, jede Einstellung ist da von Bedeutung, jeder Schwenk, jedes Fortlegen einer Brille, jeder Einstieg in einen Text, jedes körperliche und geistige Reagieren...- und wehe dem Autor oder dem Kritiker, der da nicht präsent erscheint und sich durch die Lesungen schnarcht. Präsenz zu erleben und zu studieren, das macht ja den Reiz von Klagenfurt aus.

- Im Grunde ist die Klagenfurt-Konstruktion doch schlagend einfach: Ein Autor, ein Text, neun Kritiker...- und ein gegenseitiger Infektions- und Ansteckungsprozeß von 60 Minuten. Um diesen Prozeß zu beobachten, muß das Fernsehen dabei sein, das Fernsehbild nimmt dem Auftritt etwas von seiner Idylle und verlangt eben in jeder Sekunde: Präsenz!

- Genau!, sonst könnte man in Klagenfurt ja auch gleich das Meistersinger-Format präsentieren. Dann würde Ernst A. Grandits nur ganz trocken sagen: „Walther von Stolzing singt auf Vorschlag von Richard Wagner ein Preislied“.

- Na ja, das Meistersinger-Format ist gar nicht so weit von Klagenfurt weg, es ist so etwas wie ein Format aller Lesungen und Wettbewerbe mit anschließender Kritik, und es hat immerhin einige respektable Maßstäbe entwickelt.

- Maßstäbe? Welche denn? Ich kenne keine, höchstens die, dass es besser ist, als Jungautor einen Lehrer wie Hans Sachs zu haben, um sich nicht als ach so genialer Autodidakt zu blamieren.

- Jetzt hört aber auf, ich kenne die Meistersinger gar nicht, und ich habe keine Lust, Euch dabei zuzuhören, wie Ihr Euch so pseudoklug in eine alte Oper vertieft.

- Die Meistersinger sind keine alte Oper, hörst Du?, sie sind ein Format, sie sind die Urform der öffentlichen Lesung mit Wettbewerb, sie sind die Wiege des Poetry-Slam...

- O Gott, was denn noch alles?! Dann tu mir den Gefallen und bring Deine Meistersinger in drei bis vier Sätzen hammershart auf den Punkt.

- Bitte, mach ich gern: Der Meistersinger-Club hat einen Lyrik-Wettbewerb ausgeschrieben, das autodidaktisch lyrisch gebildete Junggenie Walther von Stolzing scheitert beim ersten Anlauf und bockt, weil es glaubt, es könne den 1. Preis nur gewinnen, wenn es sich an die Regeln der Meistersinger hält. Zum Glück kümmert sich ein gescheiter Lehrer um das Genie, Hans Sachs nämlich erklärt ihm, dass es keineswegs darum geht, sich an die Regeln der Meistersinger zu halten.

- Er soll sich nicht daran halten? Aber an was denn sonst?

- Tja, das ist das Tolle, dass ausgerechnet Richard Wagner so etwas wie die goldene Klagenfurt-Regel aufgestellt hat!

- Und die lautet?!

- Ah, jetzt bist Du gespannt, habe ich recht? Diese goldene Regel laß ich mir jetzt auf der Zunge zergehen. Also: Walther von Stolzing fragt: „Wie fang ich nach der Regel an?“..., und Hans Sachs antwortet: „Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann...“

- Und das soll die goldene Klagenfurt-Text-Regel sein?

- Das ist sie! Denn Walther von Stolzing, das Junggenie, begreift jetzt, dass es nicht darauf ankommt, bestimmten Regeln zu folgen, sondern die in jedem Text bereits zu Beginn entworfene und ihm dann innewohnende Anlage zu erkennen und ihr dann zu folgen.

- Genial, diese „Regel“!

- Ja genau, genial, denn einerseits ist es die goldene „Regel“ fürs Schreiben und andererseits die goldene für die Kritik, die einen Text genau daraufhin befragen könnte, ob und wie er der selbst gestellten „Regel“ folgt...

- Da haben wir also die „Ästhetik des Schreibens“...

- Exakt, und die wird in Klagenfurt eben medienästhetisch inszeniert, wie schon beschrieben: Ein Autor, ein Text, neun Kritiker und ein sechzigminütiger Infektions- und Ansteckungsprozeß vor laufenden Kameras zum Zweck der Präsenz- und Evidenz-Erzeugung!
Hanns-Josef Ortheil (Bild: Johannes Puch)
- Wißt Ihr, dass anfänglich daran gedacht war, etwa 25 Autoren einzuladen, von denen jeder ca. zwei Stunden vor 25 Juroren lesen sollte?

- Im Ernst?

- Ja, so war einmal die Anfangskonzeption des Bachmann-Wettbewerbs in den 70er Jahren.

- Woran man erkennt, wie weit man medienästhetisch in den 70er Jahren war...

- Stimmt, man dachte noch gewerkschaftlich-paritätisch statt medienästhetisch: zwei Clubs von 25 Personen gähnen sich durch eine Zwei-Stunden-Lesung, als seien die öden, jährlichen Tarifverhandlungen mit all ihrem Tarifautonomie-Getue das geheime Konzept einer Literatur-Veranstaltung.

- Dabei ist das geheime Konzept, wie wir jetzt wissen, das medienästhetisch verschlankte Meistersinger-Konzept.

- Das in diesem Jahr so brillant funktionieren wird wie seit langem nicht mehr!

- Wieso bist Du Dir da so sicher?

- Erstens, weil die Jury jetzt seit ein paar Jahren auf hohem Niveau perfekt eingespielt ist, zweitens, weil die Jurorinnen und Juroren endlich begriffen haben, dass es Jahr für Jahr darauf ankommt, die junge Elite und nicht Bödel und Dödel nach Klagenfurt zu holen. Die Vorauswahl ist entscheidend, da muß das Beste her, was es gibt, ein richtig guter Jahrgang mit völlig verschiedenen literarischen Konzepten!

- Und Du meinst, das ist in diesem Jahr gelungen?

- Absolut, Du brauchst nur auf die Liste der Eingeladenen zu schauen: Ronald Reng, Silke Scheuermann, Jochen Schmidt, Lutz Seiler, Thomas Stangl, Jörg Albrecht, Martin Becker, Jan Böttcher, Peter Licht...

- Ist ja gut, hör schon auf, ich bin überzeugt.

- Ich hör ja gleich auf, ich sage nur: Für den Kenner der Szenen, und was sind wir sonst?, ist es die absolut perfekte Mischung. Vor allem bin ich begeistert, dass Autoren wie Jan Böttcher und Peter Licht dabei sind, das ist sehr gut, der Auftritt von Peter Licht hier in Klagenfurt..., das schreibt schon jetzt Geschichte, einfach als Anstoß, als Idee.

- Und die hatte wer?

- „Peter Licht liest auf Vorschlag von Iris Radisch...“

- Na gut, da bin ich gespannt. Und wie stehen die Wetten?

- An der Dubliner Börse bekommst Du für eine Wette auf Platz 1 Silke Scheuermann 64:10, bei einer Dreier-Wette in London mit Platz 1 bis 3 Scheuermann, Stangl und Licht schon 1020:10, ich setze übrigens in Birmingham Peter Licht einfach auf Platz und bekomme, wenn er irgendeinen Preis gewinnt, dann 212:10.

- Kann mir das mal jemand erklären, wie das geht mit diesen Wetten?

- Nee, jetzt nicht, später, ich bin jetzt zu aufgeregt, es geht ja gleich los!

- Ist genug Bionade da und genug Bier?

- Alles da!

- Wann ist die erste Pause?

- Nach zwei Lesungen, gegen 11 Uhr, dann kommt die Öffentlichkeit ins Spiel, dann verlassen die Verlags- und Medien-Leute die harten, rückenlehnfreien Sitzbänke im ORF-Theater und beginnen unten im Freien den großen Diskurs.

- Und die Medienprofis von 3sat schnappen sich gleich die Autorinnen und Autoren: Dieter Murmel, eben haben Sie ihren Text Diskrete Körperarbeit gelesen, jetzt sind Sie schon bei uns, wie machen Sie das und wie fühlt man sich als Gelesen-Habender?

- Tja, das sind die typischen Reporter-Fragen, denn einerseits sind die Medienprofis von 3sat natürlich Reporter. Andererseits haben Sie aber auch noch eine andere Aufgabe, sie entlocken den Jungautorinnen und Jungautoren ihre Poetik.

- Echt? Die Poetik?! Und was soll das sein?

- Die Medienprofis drücken einer Jungautorin oder einem Jungautor ein Mikrofon in die Hand, lächeln ihn kurz ab und fragen dann hammershart: Was ist Literatur?

- Aber Mensch, so eine Frage kann man doch gar nicht beantworten, die ist ja viel zu komplex...

- Und warum hat Sartre sie sich dann gestellt und beantwortet? Nee, auf so eine Frage muß die Jungautorin gefasst sein, und die Antwort muß sitzen, jede und jeder antwortet da auf den Sartre-Diskurs, das mache sich jede und jeder mal klar.

- Du spinnst doch!

- Ich spinne überhaupt nicht, ich stelle nur hohe Ansprüche, und ich will als Zuschauer nicht mit irgendwelchen nöligen, hilflosen Sätzen abgespeist werden, sondern ich erwarte Brillanz.

- Brillanz! Immerfort nichts als Brillanz! Habt Ihr es nicht einmal etwas unangestrengter?

- Aber ja, aber gern! Klagenfurt ist zum Beispiel unangestrengt...

- Wieso? Wie meinst Du das?

- Klagenfurt als Stadt, als Raum, als Terrain ist unangestrengt, es ist genau die richtige Stadt für so einen Wettbewerb, da verläuft man sich nicht, da begegnet man sich immer wieder in immer denselben Lokalen, da mäandern die Diskurse der Öffentlichkeit auf schönste Weise Tag und Nacht. Denk nur an den großen Markt auf dem Benediktinerplatz, an die Arkaden-Innenhöfe, an das Strandbad am Wörthersee, alles Orte und Räume, damit sich der sogenannte Literaturbetrieb endlich einmal entspannt. Autoren, Kritiker, Lektoren, Verlags- und Medien-Leute...- in Klagenfurt begibt der Literaturbetrieb sich beinahe exakt mit Sommerbeginn auf eine Insel, um ein paar Tage vollkommen und ausschließlich Literatur zu träumen, Tag und Nacht. Ist das nicht fantastisch?

- Absolut, absolut fantastisch! Und sofort bilden sich in der ganzen Stadt intime Zentren und Kreise..., die dann bei Erdäpfelsuppe mit Eierschwammerln, Spinat-Topfen-Tascherln mit brauner Butter und Gusto-Stückerln vom Kärtner Lamm die schönsten Erfindungen aushecken: Was habe ich da eben gehört? Was ist bei diesem Vorlesen mit mir passiert?..., Tag und Nacht..., Sommertage, Sommernächte...

- In Klagenfurt kommt der Literaturbetrieb zu sich selbst, in Klagenfurt ist er für ein paar Tage, was er in seinen kühnsten Utopien immer sein will...

- Feier!

- Fest!

- Rausch!

- Grüner Veltliner!

- Erotik!

- Erotik?! Wieso denn Erotik?

- Na, die dionysischen Sommernächte von Klagenfurt sind doch voller Erotik! Der halbe Literaturbetrieb paart sich da mit der anderen Hälfte, völlig unanstrengt und perfekt nach der goldenen Meistersinger-Regel, sie geben es nur nicht zu. Sie geben nicht zu, dass sie es eigentlich können, dass sie die Regeln beherrschen, statt dessen gibt es seit dreißig Jahren lauter Genöle, Gemaule, mal waren die Texte zu schlecht, mal die Jury, mal fehlt es der gesamten jungen Literatur an dies und an das, es ist dieses Drüberweg-Reden, was mich so ärgert.

- Dabei bräuchte man bloß hinzuschauen, Brillanz zu beweisen, zu erotisieren...

- Ihr Sommertage von Klagenfurt! Ihr Sommernächte!

- Was?! Was ist denn mit Dir passiert?

- „Welche Wiesen duften deine Hände?/ Fühlst du wie auf deine Widerstände/ stärker sich der Duft von draußen stützt./ Drüber stehn die Sterne schon in Bildern./ Gieb mir, Liebe, deinen Mund zu mildern;/ ach, dein Haar ist unbenützt.“

- Puuh, ist das etwa von Dir?

- Das ist von Rilke.

- Der hätte in Klagenfurt auch nicht gelesen.

- Na ja, den hätte ich hier auch nicht gern gesehen.

- Jetzt ist es soweit! Gleich geht es los! Gleich hat Ernst A. Grandits das Wort...

- Ich liebe Klagenfurt, im Grunde lieben wir alle Klagenfurt, das sagt nur niemand!

- Doch, klar, jetzt haben wir es gesagt!