Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:52
Jörg Albrecht (Foto: Wilma Renfordt)
Jörg Albrecht
von Schläfe zu Schläfe [Phantombildschirm]

Deleuze & Guattari sagen,
Eine Horrorgeschichte, das Gesicht ist eine Horrorgeschichte.
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Kurzes Scharfstellen, kurzes Aufatmen, letzter Versuch weiterzuleben: Wach, hellwach wollen wir weiterleben, ohne uns zurückzuspulen, ohne uns vom Negativ abzuziehen, weiterleben auf der Tanzfläche. Kurz vor dem Ende erst kippt die Musik in die Schleife, und als wir kaum noch aushalten, wie sie sich wiederholt, die Musik, wird sie schlagartig leiser, leiser als dieses Geräusch: Neben uns atmet jemand, dicht an den Ohren, als trügen wir Kopfhörer, in denen jemand atmet, über laute Musik hinweg, fremdes Atmen. Automatisch fassen die Hände an die Schläfen, so wie wir unsere Augen manchmal wegdrehen, damit niemand uns sieht. Auf den ersten Blick sehen unsere Augen nicht, wer uns ansieht. Auf den zweiten Blick drängen Körper auf die Tanzfläche, Licht, Lärm, Dissonanzen. Auf den dritten Blick zucken unsere Gesichter, während jemand atmet, dicht am Ohr, fast im Ohr, von Sekunde zu Sekunde ein bißchen mehr. Mitten in Tanzbewegungen ein Atmen, für mehr als einen, mehr als einen. Mitten im Atemzug, geflüstert: if music dies, we’ll die together. Mitten in Endlosschleifen aus Musik und Tanz: Untanzbares, wie das letzte Bild, eingefroren. Unhörbares, wie das Gesicht sich öffnet, oder, wie diese Geschichte beginnt, wohin immer wir auch sehen.

Mit Licht beginnt es, mit kleinen langsamen Lichtpunkten beginnt es, einem langsam rotierenden Sternenhimmel. Ein Geriesel von Mondstaub, ein rückwärts explodierender Stern, so verliebt in die eigene Explosion, daß er sich Zeit nimmt, ein Geriesel, mal so mal so, mal so schnell, daß ein Klicken langsam, mal so langsam, daß das Herunterladen von Musikstücken schnell ist. Unregelmäßige Musik. Unmusikalische Bewegungen. Unbewegliche Gesichter [under the moonlight you see a sight that almost stops your heart]. Also jetzt, Gesichter. Aber jetzt ohne Verbindung. Ehe wir unsere Gesichter fassen, beginnt die Geschichte. Ehe wir unsere Geschichte fassen, endet sie, ein Menschenleben in eineinhalb Minuten, [somebody pres2 sing the rewind button on me]. Ehe wir am Ende sind, beginnt die Geschichte von vorn [the whole story], hilfloses Echo, man wird nichts verstehen. Nur aus dem Echo heraus ein Panorama, das Panorama einer endlosen Stadt, glühend an einigen Stellen, glitzernd an anderen, dunkel hier und da und dort, und im Dunkel eine Aufhellung, ein anderes Schwarz. So kommt die schwarze Box ans Licht und mit ihr der Ort, an dem sie auftaucht, unser Teil dieser endlosen Stadt. Die schwarze Box, öffnen wir sie? Öffnen wir sie, sind wir am Ende. Wir aber öffnen sie nicht, wir stehen nur hier. Enter: wir. Mit den Händen wollen wir die Box öffnen, aber niemand traut sich. Mit offenen Händen stehen wir hier und schauen uns an und schauen uns um, und. Bevor wir uns fassen, hat uns schon ein Gerät gespeichert, wohin immer wir auch gehen.

Wo immer wir auch stehen, ein Glühen. In der endlosen Hauptstadt stehen wir, müde, glühend, und im herbstlichen Sonnenlicht, das sich nun, nach der Nacht, in Kreuzberg ausbreitet, erscheint eine zweite Box, weiß. In der weißen Box leben wir. Wir sind nicht in ihr. Was ist in ihr? Mit einem einzigen Wort öffnen wir die weiße Box, hier. Hier schauen uns Bruchstücke von Gesichtern an wie Gemälde. Hier regen sich Augen, leuchtende Augen. Hier werden Gesichter zerschnitten und wieder zusammengesetzt, durch Arbeit. Wie hört es sich an, wenn Augen Stimmen und Hände arbeiten, sichtbar und sichtbarer und unsichtbar? Ein Verbot, strengstes Verbot von Sichtbarkeit, so beginnt die Nachgeschichte.

Vorgeschichte: Vor dem Anfang denken wir, es gibt uns nicht einmal, denn was wir sind und tun, wie wir funktionieren, den Ort den wir einnehmen, all das gibt es nur als Wiederholung. Ganz am Anfang wiederholen wir, was der Sternenhimmel über der Tanzfläche schreibt, während er rotiert, noch vor dem Anfang. Ganz am Anfang wiederholen wir nur, zuerst Neele, dann Jonte und Pelle die Zwillinge, dann Thies, und noch eine Wiederholung durch alle, für die Zuhörer unserer Arbeit an der Frage: Wie überleben wir ein Wochenende in diesem Land? Jetzt bist du dran. Wie gut kannst du dir Gesichter merken? Klick auf Start und präg dir das Gesicht ein, so gut wie möglich. Klick auf Go! und erstell mit den unten aufgelisteten Gesichtsstücken dein Phantombild, automatisch. Auf Automatik gestellt: unser Atem. Automatisch atmen, um zu erzählen, in diesem Land. Automatisch atmen, hinein in den Schlaf. Automatisch müde durch den Herbst in diesem Land, müde. Auch im Dunkeln arbeiten wir, on a thick black line a thick black line. Schlafen zählt nicht, Schreien zählt nicht, Flüstern nicht, dafür ist keine Zeit. Keine Zeit für Einflüsterungen. Keine Zeit für Doppelbelichtungen. Keine Zeit um zu glühen.

Aus dem Dunkel der Hosentasche einer schwarzen Röhrenjeans werden nun Phantombilder gezogen: vier Gesichter, glühend, nur leicht, aber glühend. Diese Gesichter sind wir, eine edle Gemeinschaft, die mir so wohl zusammen gefällt, daß ich sie nicht trenne und nicht anderswo, wie ich anfangs denke, sondern gerade hier einrücke: Thies, dessen Nasenspitze wackelt, Neele, die sich auf die Lippen beißt, Jonte und Pelle, die Zwillinge aus Oberammergau, Jontes linkes Lid zuckt, Pelles rechtes Lid, ein Zucken der Lider für eine Zehntel, in Erwartung eines Knalls oder eines erschreckenden Musikstücks. Aus dem Dunkel der schwarzen Box: kein Echo. Auf das Dunkel der schwarzen Box verzichten wir, für ein Wochenende an der weißen Box, ein verschlafenes Wochenende voller Arbeit.

Ein Wochenende in der Stadt, und wir arbeiten. Woran wir arbeiten, wissen wir nicht, aber je mehr wir arbeiten, desto mehr sind wir sicher, wir können uns fassen. In der Zwischenzeit atmen wir, atmen auf. Jetzt atmet Neele auf, jetzt Jonte und Pelle, und Thies setzt die graue Kapuze seines grauen Kapuzenpullovers auf und sagt, Meinen Atem brauche ich für meine Arbeit. Auf Atem gestellt: die Nase. Thies setzt die Kapuze ab und sagt, Irgendwo hab ich Blut, das will ich nie vergessen. Thies hört die Musik aus den Lautsprechern der weißen Box, wackelt mit der Nasenspitze, er wackelt wackelt, nur. Niemand sagt Goodbye, auch die Musik nicht. Auf Repeat gestellt: It’s the chance of a lifetime. It’s the chance of a lifetime. It’s the chance of.

Geistesgegenwart: Jemand, Jonte oder Pelle, jemand tritt ans Mikro der weißen Box und sagt, Unsere Stimmen stimmen nicht. Das Mikro der weißen Box lügt, als wir speichern und schließen und öffnen und spielen, sagt die Stimme, Unsere Stimmen stimmen. Sofort fassen wir an die Gesichter, halb im Schlaf, ein Versehen, sehen Sie selbst: Wie Thies an Jontes Schädel entlangfährt, über die Mittelnaht zur Stirn, Falten auf der Stirn, zwei gesenkte Lider, dann die Schläfen, zwischen Augen und Ohren genau die Schläfen, ein Zucken, unter Thies’ Händen dies Gesicht, auf den ersten Blick in Bewegung, auf den zweiten Blick in Erstarrung, auf den dritten Blick schon dabei, sich zu wehren. Wie Thies an Jontes Gesicht entlangfährt und fragt, Wie sehen Gesichter aus, wenn sie tanzen?

Geistesgegenwart: Es ist Wochenende, und wir arbeiten. Immer arbeiten wir auch am Wochenende. Kurz bevor wir einschlafen, kurz bevor der Dämmerzustand endet, kurz bevor wir denken, Wie angenehm ist es in die Box zu schauen, bemerken wir unser Gesicht, gefaßt. Kurz vor dem Schlaf fassen wir zwischen die Schläfen und denken, Was für ein Wochenende. Ein Wochenende in der Stadt, wir verbringen unser Wochenende in der Stadt. Wir kommen nie von der Arbeit nach Hause, da wir zuhause sind. Um die weiße und die schwarze Box herum verbringen wir diese Tage. Wir gehen aus und gehen tanzen, doch auch hier hört die Arbeit nicht auf. Vor der weißen Box sitzen wir, schreiben hinein, sprechen, und auch jetzt tritt jemand vor und sagt, Gesichter und Tanzflächen gegeneinander stellen, in diesem Land. Latest blog entry: Das Innere einer Tanzfläche. Latest blog entry: Wie Gesichter verschwinden, in Portraits. Latest blog entry: Kennst du Gespenster?

Von Gesicht zu Gesicht [Gesichtsflächen 2.0]. Enter: die Zwillinge aus Oberammergau, in der weißen Box heißt Pelle: bite_of_death, Jonte: living_ dead, aus Oberammergau kommen Jonte und Pelle in die Hauptstadt, und jetzt, in diesem Jahr, dessen Zahl sich uns im Dunkeln entzieht, stellt Jonte immer wieder Kompositionen in die Box, Alles, was Popmußik über Gesichter zu sagen hat, wiederhole ich, sagt Jonte, während Pelle tanzende Körper zeichnet, mit Köpfen mit Gesichtern, und dennoch, in Stop- Motion gefilmt tanzen sie, tanzen die Körper, und Pelle fragt, Zwischen welchen Schläfen verwischt das Gesicht? Wer sich mit Schläfen und Schlafsüchten deutscher Gesichter auskennt? Enter: Neele als wolf_like_me, Nur bestimmte Machtgefüge wollen ein Gesicht produzieren, sagt Neele. Enter: Thies, see_in_the_ dark, aus dem Dunkeln heraus fragt er, Wie sehen Interfaces aus, zwischen Tanzflächen und Gesichtern?

Latest blog entry: Gesicht nach dem Gesicht. Thies schreibt als see_in_the dark: Interfacedesigner, heutzutage ein ganz gewöhnlicher Beruf, meine Eltern waren selbst mal Schnittstelle, zwischen Marx und Disco. see_in_the_dark schreibt: Was uns als Augen begegnet, als Nase Mund, als Ohren Stirn und Wangen, Hals und Nacken, Haut und nochmal Haut, von Angesicht zu Angesicht, über alle Kanäle, das ist Horror. see_in_the_dark schreibt: An das Institut für Integrative Neuroanatomie der Humboldt- Universität, ich stelle Ihnen mein Gesicht zur Verfügung, wenn Sie mehr als eine weiße Wand sehen wollen. Latest blog entry: Speicherplatz. Oberammergau hat mehr zu speichern als Holzschnitzerei oder das Passionsspiel, lesen Sie selbst. Als bite_of_death schreibt Pelle: Der Cousin der Freundin meines Bruders ist mit zweiundzwanzig Jahren erblindet und gibt die Gesichter aller, die er kennt, neuen Menschen, die er trifft, sie brauchen ein Gesicht, sagt der Cousin, sonst vergesse ich sie. Als living_dead ergänzt Jonte: Der Bruder der Freundin meines Cousins ist von Geburt an blind, für ihn, sagt der Bruder, gibt es nur die Stimme. Und Neele als wolf_like_me fragt: Welche Gesichter wiederholen wir?

Vorleben: Bevor wir auf die schwarze Box stoßen, bevor wir an der weißen Box arbeiten wie an einer Zauberlaterne, mit der wir Gestalten an die Wand werfen können, bevor wir auf unsere Gesichter stoßen sind sie da. Enter: die Gesichter. Wer nur darauf achtet, was unsere Augen erzählen, was die Münder auslassen, wann die Nasen bluten, der wird nie begreifen, was mit uns geschieht, über Jahre, Jahrzehnte, Jahrhundertstel. Immer finden wir Speicherplatz, um menschlich zu leben. Immer finden wir einen glitzernden Kapuzenpullover, ein pinkes T-Shirt mit Streifen oder goldene Leggings, immer einen Kassettenrecorder oder eine Ecke der weißen Box, immer. Immer sind wir müde und arbeiten, doch am Ende schaffen wir es zu sein wie Menschen. Eigenschaften die sichtbar sind: greifende oder klickende Hand, aufrechter Gang, überdimensionale linke Hirnhälfte. Hirnhälfte. Hirn.

Im Echogerät: Reste, akustische Reste der Hirnbilder, Phantombilder, Schreckbilder. Müde, übermüde zwischen die Schläfen fassen, zuckend erschrecken ob der Zuckungen, und im Spiegel immer wieder nichts sehen. Zwischen den Schläfen zuckt es, und in uns: Etwas, das arbeitet. Etwas, das geschieht. Etwas, das in den Alltag Einzug hält. Kassettenrecorder, tragbar, in den Achtzigern zum Beispiel. Compact-Disc-Recorder, untragbar, in den Neunzigern. Audiodateien, übertragbar, in den Nullern. Immer finden wir Speicherplatz. Niemand von uns kommt in Gefahr zu löschen, was wir besitzen. Niemand löscht, was uns besitzt, nein. Niemand schläft allein. Quer durch die Müdigkeit: Keine Zeit für Wiederholungen. Keine Zeit für Phantombilder. Keine Zeit für Gespenster.

O-Ton: Moritz Baßler zum Erscheinen der Gespenster, drei Minuten zweiundzwanzig

O-Ton: Klaus Theweleit zum Gesichtsunterschied von Kafka zu Max Schreck, vier Minuten dreiunddreißig

O-Ton: Angela Merkel über die Sprengkraft von Disco in der Uckermark 1976-79, fünf Minuten vierundvierzig

bei fünf Minuten fünfundvierzig bleibt die Aufnahme tonlos, wird die Hauptstadt implodieren?


Auf Implosionen eingestellt: das Gesicht. Für alle, die anderen mit dem eigenen Abbild auf T-Shirts Caps und Haut eine Freude machen wollen, bietet AGFAnet diesen Link. Das eigene Gesicht verschenken. Das eigene Gesicht riskieren. Das eigene Gesicht verlieren, aus Versehen. Mitten im Versehen vier Gesichter vor einem Bildschirm, unser Wochenende. Und wenn ich blute, fragt Thies, durch die Nase zum Beispiel, ist das unvereinbar mit Disco? Wenn ich weine, fragt Neele, wenn ich jetzt weine, gehört das zu meinem Gesicht? Wenn ich lache, sagt Jonte nein Pelle, öffnet sich mein Gesicht oder tut es nur so? Bilder öffnen, Bilder von unseren Gesichtern, bearbeiten: Werkzeuge/Rote-Augen-Entfernen-Werkzeug oder: Werkzeuge / Pinsel / Reparaturpinsel oder: Filter / Zeichenfilter / Rasterungseffekt, in jedem Fall Tiefen aufhellen/Lichter abdunkeln, jetzt! Neue Bilder, Phantombilder, Bilder von Gesichtern, die immer weniger unsere sind, aber. Hauptsache Speicherplatz, um faßbar zu sein. Hauptsache Platz, um Menschen zu sein, hier, in der Geistesgegenwart. Hauptsache ununterbrochene Arbeit.

Ein Wochenende im Tanzpalast. Ein Wochenende vor der weißen Box. Ein Wochenende mit der schwarzen Box, nur öffnen wir die schwarze Box nie. Wir wollen sie öffnen, aber wir tanzen. Night creatures call: Wir wollen tanzen. Wir wollen rauschen. Wir wollen arbeiten nein, daß es arbeitet in uns. In Thies’ Musikkästchen arbeitet die Musik, Musikstücke aus Geräuschen, die unsere Gesichter designen, kurzes Knirschen der Zähne, leises Knacken der Lider, regelmäßiges Klicken der Nasenspitze, hin und her, hin. Das Zucken einzelner Gesichtsteile [they’re wide open], das Zücken einzelner Phantombilder [they’re wide shut], das Verrücken, wie ein Tick, in der Form unserer Pupillen [this is the end of your life]. Schreien und Flüstern helfen nicht. Im Vorleben beginnen wir, in diesem Leben geschehen wir, im Nachleben rauschen wir. Anderes Rauschen fällt weg. Wir schalten die Lautsprecher der weißen Box aus, heben die Augen und sehen im Nebel über der Stadt das Licht der Spiegelkugel, den ganzen rotierenden Sternenhimmel und. i feel so alive. and i feel so alive. and i feel so alive, and i feel so alive. and i feel so alive and i feel so alive and i feel so alive and i feel.

Viel zu viel Zeit für Gesichter, und dennoch. Dennoch: Das ganze Gesicht, mit seinen Poren, Fältchen, seinen großen Augenbrauen kleinen Wimpern, seinen matten Stellen, glänzenden Stellen, seinen glitzernden, seinen Lidern und den Äderchen, die sich durch die Lider pressen, mit seinen Augenhöhlen und Augäpfeln, mit Pupille und Iris und dem Weiß im Auge, einem immer ruhigen Weiß, beruhigenden Weiß, wo sich alles über einem Zucken schließt, [Zucken der Nasenspitze durch Kräfte aus einem Leben das abgeschlossen ist], das ist Thies’ Gesicht, das Gesicht seines Gesichts, kaum läßt sich sagen, wie es aussieht, dabei kennen wir es seit Jahren, Jahrzehnteln. Das ist Thies’ Gesicht, doch sobald er dem Schlaf entkommt, verändert sich zwischen den Schläfen alles, wie er es nicht ahnt, jetzt nicht und nie10 mals zuvor. Dein Gesicht, fragt Neele mit den grünen Augen, Dein Gesicht, fragen Jonte und Pelle, die Zwillinge aus Oberammergau, Dein Gesicht, fragt Thies Thies, ist das selbst ein Geist von dem niemand weiß, ob er ihn je sieht? Im Dunkeln, abseits des Lichts der weißen Box, im Dunkeln der schwarzen Box ein Echo, und was im Echo der schwarzen Box wartet.

Get out of your head and onto the dance floor! Für die langsamen Zuschauer vor den Fernsehern unbemerkt, für die schnellen Zuschauer vor youtube.com schnell erfaßbar: film stills aus Filmen über lebende Tote, über die Schläfen dieser Untoten, einmontiert in die Zwischenzeit, die Zeit zwischen der Arbeit an der weißen Box und der Arbeit auf der Tanzfläche, immer der Versuch komprimierte Bilder zu sehen. Denn welche Figur in einem Tanzfilm sieht sich schon einen ganzen Film an?, fragt Jonte. Auf Automatik gestellt: wörtliche Rede. Noch bevor Jonte weiß, was er gesagt hat, öffnen wir nicht die schwarze Box, nur die weiße, und aus ihr fallen Bilder, Bruchstück für Bruchstück, Gesichter, fünfjährig neunjährig dreizehnjährig. Welche Figur in einem Horrorfilm hat so viel Vergangenheit wie wir?

[we’re having a party, my memories and me:] Im Dunkeln, abseits der Spiegelungen der Spiegelkugel, Kindheitsbilder. Nummer Eins, Jonte und Pelle, nebeneinander, zwei Fünfjährige, nahe der Kamera, weit aufgerissene Augen, Zähne, rote Zungen, rot wie Blut nein Himbeersirup, im Hintergrund ein Frühlingstag in Oberammergau, am selben Tag, an dem als Folge einer Kernschmelze und Explosion im Reaktor Block Vier ein nuklearer Unfall Europa erschrickt, stehen die Zwillinge nebeneinander, in den Händen ihre erste Sofortbildkamera, die wir nie sehen werden auf dem Bild, denn das Bild entsteht im Dunkel dieser Kamera, die Kamera in den Zwillingshänden, in ihren Gesichtern ein Schreck, als wäre es gerade vorbei. Nummer Zwei, Neele, neun Jahre alt, gerade noch neun, nicht im schwachen Licht der Vereinigung, im hellen Licht eines Mondes, ein Geriesel von Mondstaub, in dem Neele sitzt, eine Floppy Disc neben sich, die Hand an der Disc, der Mond am Himmel, ihre Augen, nicht grün wie sonst, nicht rot wie immer auf Fotos, ein Super-8-Bild, eingefroren, die Hand und die Disc und die Augen, weiß glühende Augen, und seltsame graue Haare in dem kindlichen blonden Haar, aufgestellte Haare im Mondlicht, grau. Nummer Drei, Thies, am selben Tag, als in Seattle Kurt Cobain zu den Toten wechselt, Thies in einem dreizehnjährigen Körper, mit einem dreizehnhundertjährigen Gesicht, einen Kassettenrecorder mit Doppeldeck auf dem Schoß, der seinen Geist schon längst aufgegeben [auch: abgegeben] hat, dunkles Gras unter Thies, auch hier Nacht, Nacht in einer VHSKamera, Blick durch einen Restlichtverstärker, Thies lächelt, sein Gesicht, gefaßt, überall, trotz des Toten in Seattle, sein Gesicht faßt sich überall, nur an den Lippen nicht, Thies lächelt, kein Versehen, Thies lächelt, doch im Lächeln, zwischen den Lippen, blitzt es.

Vorleben: Schreckbilder, eingedrückt, von denen sich während seines ganzen Lebens niemand losmachen kann, niemand. Nachleben: Etwas, das einmal gesagt werden kann. Etwas, das zweimal gesagt werden kann. Etwas, das immer wieder gesagt werden kann, solange wir speichern. Positive aus Negativen in Fotokameras. Stanniolwalzen auf Phonographen. Grammophonplatten auf Grammophontellern. Schellack- oder Vinylplatten auf Plattentellern. Millimeterfilm: acht Millimeter, sechzehn, fünfunddreißig, in Filmkameras. Magnettonbänder in Tonbandmaschinen. Super-8-Filme in Super-8-Kameras. Kassetten in Kassettenrecordern, tragbar/untragbar [hier anklicken]. Floppy Discs in Diskettenlaufwerken. Video Stills in Still- Video-Kameras. JPGs auf Speicherchips, auf Compact Discs, auf Digital Versatile Discs. Von Geschichte zu Geschichte in Schleifen Schleifen, Schleifen, in Endlosschleifen.

Thies schaut Jonte und Pelle und Neele an, Neele schaut Thies und Pelle und Jonte an, Jonte schaut Neele und Thies und Pelle an, Pelle schaut Jonte und Neele und Thies an, jeder von ihnen im Gesichtsausdruck des anderen, jeder die Augen der anderen im Blick [all thru the night i’ll save you from the horror on the screen]. Wir strecken unsere Hände aus nach der schwarzen Box. Wir blicken uns um nach der weißen Box, blicken von Bild zu Bild, wir blicken auf die Bilder und wissen nichts. Wir blicken uns an und hören ein Echo. Etwas, das in uns arbeitet. Etwas, das an uns arbeitet. Etwas, das gegen uns arbeitet und doch für uns. Wir blicken auf die Bilder, wir denken an unser Wochenende, wir heben die Bilder auf, zerbrechen sie, zurück in die weiße Box, Bruchstück für Bruchstück, zurück mit der Vergangenheit, jetzt! Als Echo: Musik in der weißen Box, aber nicht wirklich in der weißen Box, Musik in der weißen Box, unbefragbar. Die Hauptstadt schließt sich auch lieber und antwortet auf jegliche Anfrage nach Wiederholungen des einen oder anderen Lebens mit einer klaren Aussage: Ihr werdet sehen, ich lebe weiter, weiter, lebe weiter.

Aus dem wunderbar barocken Wissen, das alles sammelt, was die endlose Hauptstadt faßt, stoßen Luftblasen an die Oberfläche, die Bildfläche, die Tanzfläche, ja! Out of your face and onto the dancefloor! Kreuzberg, dreiundzwanzig Uhr dreiunddreißig Ortszeit: going dancefloor, die Tanzfläche, der Tanzboden, http://de.wikipedia.org/wiki/Tanzboden. Noch vor unserer Ankunft sehen Sie hier eine Person [Mitarbeiter von uns], wie sie gerade eine Audiodatei öffnet. Sie sehen das Gesicht dieser Person, völlig gefaßt. Sie sehen: Dies Gesicht kann kein Versehen sein. Die Audiodatei öffnet sich, um unsere Ankunft vorherzusagen mit den Worten: Es gibt viele Möglichkeiten, einen Tanzboden zu beherrschen, und glaubt uns, früher oder später kriegen wir euch! Doch an diesem Wochenende betreten wir den spiegelnden Tanzpalast über einen neuen Eingang, über Augen, durch die man hindurchgehen muß, ohne sich zu spiegeln. Enter: unsere Körper. Und als wir unsere Augen durchtreten, finden sich unsere Füße wieder, in der Musik. Auf Schallplatten eingestellt: die Körper. Disco, gesteht Neele direkt nach der Ankunft, Disco komme ihr wie ein bezaubertes Schloß vor, in das sie nicht ohne Grauen den Fuß setze. So so, Disco.

Schweigen.

Wir schweigen. Wir zeigen auf Phantombilder, und einer von uns, eine Stimme sagt, Jeder will sein Gesicht sein und ich, ich wäre gern mein Gesicht. Wir schweigen. Wir steigen aus. Wir steigen am Südstern aus. Wir steigen am Görlitzer Bahnhof aus. Wir steigen am Schlesischen Tor aus, aber egal, wo wir aussteigen, egal, durch welches unserer Augen wir steigen, wo wir sind, ist der Tanzboden. Wir betreten ihn, wir betreten den Tanzboden. Enter: Tanzgespenster. Wir brauchen keine Fotografie vom Tanzpalast, bevor wir dorthin gehen, keine Fotografie kann verraten, wie seine Spiegelkugel rotiert. Wir brauchen die Fassade des Palastes nur durch unsere Augen zu sehen, und schon fühlen die Zwillinge sich heimisch, barocke Malereien wie in Oberammergau. Wir brauchen das Innere des Palastes nur zu erahnen, und schon rufen die Zwillinge, Tanzflächen ganz wie in Oberbayern! Ein Schreck, ein Tick, dann geht das Wochenende weiter. Nachklänge: Jeder Schritt, den wir auf der Tanzfläche machen, klingt hohl, als gäbe es doppelte Discoböden. Vorklänge: Jeder Schritt, den wir auf die Tanzfläche zu machen, ruft im Vorhinein Explosionen hervor, nachhallend, ideale Musik. Manche, die wir lange nicht gesehen haben, befinden sich hier im Raum, wir grüßen sie, und sie weinen, sie halten uns für Tote, die zurückkehren, nach langer Zeit. Zurück unter den spiegelnden Mond. Zurück unter die rotierenden Sterne. Zurück in die Musik, von Tanzfläche zu Tanzfläche, wohin immer wir auch gehen.

Etwas muß geschehen! Und es geschieht etwas. In das Halbdunkel der Tanzfläche hinein ruft Jonte, Hallo Freunde, und die Tanzfläche gibt zurück, Hallo Jonte. Etwas, das antwortet. Etwas, das ein Echo hervorruft. Etwas, das geschieht und noch einmal geschieht. Und jedes Mal, wenn unsere Stimmen davon sprechen, verliert sich, was geschieht, in der Nacht, eine Nacht mit Mondlicht, das auf die Spiegelkugel fällt, ein gespiegelter Mond, dank Disco. So so, Disco, sagt Thies. Thies stößt einen Schrei aus, spitzt die Ohren, Thies zielt mit seinem Schrei, um ein Echo hervorzurufen aus dem dunkleren Teil der Tanzfläche, ein Echo aus Tanzmoves, für die Zuschauer bei youtube.com faßbar durch das Video: Blick durch einen Restlichtverstärker. Im Video setzt Thies einen Fuß neben den anderen, achten Sie nicht auf seine Augen!

Schweigen.

Schweigen.

Als er über den Tanzboden geht, kommen ihm die Gespenster entgegen. Drei leicht verschobene Augenpaare bewegen sich auf ihn zu, Immer in Bewegung bleiben, will er rufen, doch muß er arbeiten, um selbst bewegt zu bleiben, zwischen all den Echos und Fade-Outs der Musik. Mitten auf dem Tanzboden fragt er: In welcher Gegenwart tanze ich? Bin ich mein eigener Remix? Diese Fragen stellt er auch dem Mikro an seinem Mund, als Freisprechanlage verbunden mit den Gespenstern, die ihm noch immer entgegenkommen. Mit stärker zuckenden Lidern: Jonte und Pelle, auf blutige Lippen beißend: Neele. Innen, sagt Neele, innen ist meine Haut eine andere. Innen, fragen Jonte und Pelle, sehen Tanzflächen innen anders aus? Innen, antwortet Thies, den Atem ins Äußerste treibend, innen im Gerät leben wir weiter, nur. Innen im Mikro verrät Thies’ Atem, was Thies, obwohl er auf Fragen antwortet, fragen will: Spreche ich nur so frei, weil ich in eine Freisprechanlage spreche?

O-Ton: Andreas Dorau über die nie geschriebenen Geschichte des deutschen Tanzbodens, drei Minuten einunddreißig

O-Ton: Justus Köhnke über Schweiß und Tränen auf tanzenden Gesichtern, drei Minuten zweiunddreißig

O-Ton: DJ Koze über das Lecken von Blut im Postdiscozeitalter, drei Minuten dreiunddreißig

bei drei Minuten vierunddreißig rauscht die schwarze Box, wird die Hauptstadt aufgenommen?


Ein Wochenende in der Stadt, voll Schrecken, und mittendrin: Thies. Es gibt glaubwürdige Menschen, die sich erinnern ihn in allen Weltgegenden zur gleichen Zeit gesehen zu haben, keiner Maschinenpistole Salve kann ihn zerfetzen, kein Rauschgift ihn in Rausch versetzen, kein Feuer ihn entflammen, nur die Hitze im Tanzpalast. Von allen Stunden des Tages weiß man eine, in welcher niemand ihn gesehen, die zwölfte in der Nacht. Mitten auf der Tanzfläche, als die zwölfte Stunde da ist, verharren Beine und Arme in der Richtung, in der der Zufall sie überrascht, der Puls setzt aus, die Augen stehen, bis eine Stunde verstrichen ist und er im Tanzmove fortfährt, in dem er unterbrochen wird, zuvor. Und wenn er zurückkehrt? Nichts, nur daß er bleich und abgemattet aussieht wie nach einer schmerzhaften Operation. Manche wollen Bluttropfen auf seinem Hemd gesehen haben, das aber kann aus der Nase geschossen sein, unbemerkt, [you’re fighting for your life inside a killer / thriller here tonight]. Da, auf der Außenseite der Tanzfläche, Thies. Thies sieht aus wie, sagt Jonte. Thies sieht aus wie, sagt Pelle. Sagt Neele. Thies setzt die Kapuze seines Kapuzenpullovers auf. Thies zeigt nicht auf die Nasenspitze. Thies zeigt auf die Füße. Quer durch den Augenblick: die Tanzfläche, von Disco zu Disco.

Von Nacht zu Nacht: Wochenende, Tanz, Schreck, und als der Sternenhimmel schneller rotiert, die Spiegelkugel noch mehr leuchtet, noch mehr, es muß immer noch mehr geschehen, mehr glühen, und wir, wir glühen noch mehr. Auf Automatik: das Glühen der Gespenster. Mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen ist ehedem unsere Lieblingsschwärmerei, sagt Pelle, und Neele singt, got a curse i cannot lift / shines when the sunset shifts / when the moon is round and full gotta bust that box. Die Box bei uns, auf der Tanzfläche, die schwarze Box hält uns wach hellwach. Wir wollen keinen Schlaf. Wir wollen zwischen den Schläfen nichts sein. Wir wollen uns ohne Schlaf wiederholen, ohne uns festzuhalten an Phantombildern. Um ehrlich zu sein: Irgendwo speichern wir uns und leben. Um unehrlich zu sein: Nirgendwo atmen wir lieber als hier.

Irgendwo atmet jemand, hier, irgendwo flüstert jemand in uns hinein. Kurz vor dem Ende, immer kurz vor dem Ende kippt die Musik in die Schleife, und als wir sie kaum aushalten, mit einem Schlag: ein Atmen. Wenn du zwischen die Schläfen gerätst, flüstert jemand. Auf höchster Lautstärke: unsere Ohren. Das sind nur Gespenster sagt Thies, das das sind Gespenster sagt Pelle und zur gleichen Zeit Jonte, das sind sind das sind nur Gespenster, sagt Neele, atmet. Ein Körper vor uns bewegt sich schnell, schneller die Musik, schneller, ein Stück über dem Tanzboden dieser Körper, noch ein Stück, ein Körper, der niemandem gehört, dort, dieser Körper, ein Körper, kein Gesicht, tanzender Körper. Als wir fragen, Tage später, erhalten wir die Antwort, daß er unsichtbar geworden sei.

Dann ist da der Traum. Wer von uns Schläfern näher schläft an diesem Traum? Trag dein Gesicht, sagt Pelle zu Neele, ich mag dein Gesicht, sagt er, im Traum trägt sie es, Wimpern: vorsichtig, Augen: grün, Lippen: leicht aufgebissen, was Neeles Gesicht seine Schönheit gibt, dann reicht eine Hand ins Bild, zur Faust geballt, eine Faust, die ins Bild hineindrängt und zuschlägt, in Neeles Gesicht hinein, [oh yes there will be blood], hinein und noch weiter hinein, Lippen platzen, Augen verrutschen, Wimpern reißen ab, das ist der Traum. Doch er geht weiter, das ist nur ein Traum im Traum, im Traum 2.0 erwachen wir und sehen nun Jontes Knie, Pelles Schultern, nackt, Schultern und Nacken, Neeles Hinterkopf, Thies’ Kinn, glitzernd, immer stärker glitzernd, Glitzer in den leicht grauen Haaren, neben den hochgerissenen Augenbrauen, unter denen die Augen fehlen, Glitzer im Blut am Kinn, Glitzer. Für uns, die Glanz, Gloria, Kitsch und Discoklänge mögen, dürften dieser Traum und der Traum in ihm ein wendbarer Kapuzenpullover mit Glitzerstaub sein. Nein.

Keine Zeit für Glitzer. Keine Zeit in dieser Geistergegenwart. Blick in Zeitlupe: Eine junge Frau im Mondlicht, unter langsamen Sternen, schlägt verlangsamt die Augen auf, sieht für eine Sekunde zurück in die Kamera, Neeles Augen dunkelgrün, hellgrün, weißgrün, Neeles Augen: weiß, Neeles Pupille, nicht mehr kreisrund, zusammengeschoben, das Loch gestaut zu einem Schlitz, so daß eine optimale Bündelung der unterschiedlichen Wellenformen von Licht möglich wird, eine optimale Bündelung der unterschiedlichen Zustände von Schatten, eine optimale Bündelung, um lautlos zu sein, Neele schaut uns an, weiße Pupillen mit Schlitzen, graue Haare, große Zähne, alles übergroß, um zu verschwinden, die Augen weißer die Zähne der Mund, alles weißer auf dieser weißen Wand im Mondlicht, ihr Mund singt, Wer laufen kann, der kann tanzen / wer reden kann, der kann singen, singt und heult, wie ein E-Gitarrenton, das Heulen verzerrt, ihr Mund verzerrt und verschwindet und rauscht, immer lauter.

Jetzt geschieht etwas, aber ohne Verbindung. Jetzt leuchtet der Sternenhimmel, und neben uns flüstert jemand, Wenn du zwischen die Schläfen gerätst. Dann: ein Atmen. Jetzt, im Mondlicht, die Hand, sie sucht und sucht, doch die Augen sind nicht mehr auffindbar, keine Ohren, keine Nase. Die Hand, in Licht und Dunkel gleich. Die Hand, hilflos gegen den Schreck. Die Hand, die sich nach oben quält. Davor: Jonte und Pelle zucken, nur mit den Augenlidern, nichts an ihnen braucht sich vor Schlaf zu wehren, Wachzustand, wenn die Nerven angespannt sind bis zum Äußersten, weiter und noch weiter ins Äußerste, weil nur dann, abseits vom Dämmerzustand, das Gesicht verhindert wird, hier, im Wachzustand, im Aufnahmezustand, ein Zucken der Zwillinge aus Oberammergau, erst am Lid dann am Oberkörper, dann überall, damit sich das Gesicht nicht wieder schließt, nicht faßt, nicht jetzt nicht jetzt, keine Zeit für Schläfer, alles wach hellwach, alles weit aufreißen, um es dann herauszureißen, die Körper zu20 cken und schlucken alles zwischen den Schläfen, ins Innere dieser beiden Zwillingskörper, nichts wird sich schließen über ihnen, über ihm, diesem Zwillingskörper, nichts, nicht länger drehen harmlose Kameras einen wütenden Horrorfilm, in dem Gesichter sich an glitzernden Körpern vergehen, nur weil sie glitzern, [our death will be glamorous at last].

Auf dem nächsten Bild sieht man das noch genauer, sieht man genauer, was die Augen im Leben erzählen und genauer, wohin das Erzählte im Nachleben verschwindet, schauen wirs uns mal an: Am Ende des Wochenendes, zwischen Echos und Face-Outs kaum überlebbar, abseits des Mondlichts der Spiegelkugel, öffnet Thies mit bleichem Gesicht Bilder, öffnet die Gesichter in den Bildern, bearbeiten: Werkzeuge/Augen- Entfernen-Werkzeug oder: Werkzeuge / Löschwerkzeuge / Auflöser, share a killer killer killer, Thies klickt und setzt den Auflöser an Neeles Gesicht an, an Jontes Gesicht und Pelles, Nur die oberste Schicht, sagt Neele, sagt Jonte, sagt Pelle, nur die oberste, und schon löst Thies sie auf, auf dem Bildschirm Gesichter ohne oberste Schicht, Nur noch eine, sagt Neele, sagen Jonte, Pelle, noch eine, schon zwei Schichten weniger, Noch eine, sagen Neele Jonte Pelle, auf dem Bildschirm noch eine weniger, und noch eine und noch eine, stärker werdende Arterien und Venen, stärker werdende Nervenfasern, stärker werdende Muskeln Gesichtsmuskeln, nichts schließen sie mehr ein, Blut überall Blut auf dem Bildschirm, [can’t you see we’re dead?], im Mondlicht: Tiefen aufhellen/Schläfen aufreißen, jetzt!

Nachleben: In der Ferne rauscht es, in den Lautsprechern der weißen Box, nur durch das Zeichen unterbrochen, das voller Schrecken das Ende des Wochenendes ankündigt. Es wird Nacht im Saal, und jetzt erst wird er sichtbar, so weiß wie er ist, im Mondlicht, jetzt erst ist er da, obwohl Thies da ist ehe Thies zitiert wird. Thies wackelt mit der Nasenspitze, die kaum noch vorhanden ist, von dieser kaum vorhandenen Nasenspitze tropft Blut, aber das Blut sieht er nicht, deshalb sagt Thies zu Thies, Sieh mich mal an. Thies sagt, Oh yes there will be blood. Thies’ Stimme sagt vor der schwarzen Box und aus der schwarzen Box, zur gleichen Zeit, Wenn du zwischen die Schläfen gerätst sag Goodbye. Dann wackelt nicht die Nasenspitze, sondern die Nase und die Lippen wackeln, und die Augen werden hin- und hergezerrt, und die Wangen reißen, [let’s go wild wild wild]. Im Gegensatz zu Menschen in Horrorfilmen weiß er, wann er zu gehen hat. Auch wenn ein Klick Löcher in Körper reißt, Schreien und Flüstern zählen nicht, nur die Audiodatei zählt, die nun eingespeist wird, unsere Stimmen, endlich stimmen sie, endlich stimmen sie diese Worte an, in unsere Ohren eingespeist, aus der schwarzen Box heraus. Wir öffnen die schwarze Box, wir sagen und wir hören uns sagen: This is ghost talk. This is a ghost screen, scream!

This is our serial killing: Man versteht die ganze Zeit nichts, man schläft und erwacht, und am Ende stirbt jemand. Da ist überall Blut, das ist der Horror, nur. Diese Geschichte kann kein Versehen sein. Dieses Gesicht muß ein Vergehen sein [the hole story]. Wie hören sich Körper, an die am Ende sind, am Ende der Arbeit? Unsere Körper sind, und wir sind hier, wir sehnen uns nach dem Ende, dem Ende einer anderen Art, so sehr sehnen wir uns, daß morgen spät und übermorgen zu spät ist. Auf youtube.com läuft schon das Video, in dem wir tun, was uns bleibt [save us from the horror on the screen!], die Hand schließen, die Betrachtung dieser einzelnen Hand, die langsam sich zusammenzieht, kurz anhält, in der Luft, letztes Einatmen [nicht: Aufatmen], exakt, gegenwärtig und fein, feine Linien auf der Fläche der Hand, feine Flächen in den Linien der Hand und anders, präzise, jetzt, deutlicher als die Leuchtanzeige mit orange-gelben Buchstaben am U-Bahnhof Schlesisches Tor, deutlicher als der Tanzpalast dort hinter den Augen, wo vier Gestalten ihre Gesichter hin- und herwerfen, hinwerfen, die nur eins tun: ihre Hand schließen, alle fünf Finger auf einen Punkt zusammenziehen, Linien und Flächen, die Faust zusammenziehen, so präzise, mit dem Daumen und dem kleinen Finger, mit dem Ringfinger Mittelfinger, mit dem Zeigefinger, der langsam auch das Ende anzeigt, mit Übervorsicht, Vorsicht!, zuschlagen, und dann nicht mehr: Blutverluste durch die Nase verhindern, nur: Blutverluste durch Nase Mund Augen provozieren, Blut verstreichen, auf den Lippen, der Zeigefinger am Blut, dann der Zeigefinger am Mund, der Zeigefinger zwischen den Lippen, endlich Blut, ein Finger Finger, zwei Finger, eine Hand voll Blut, endlich. Immer arbeitet es in uns, immer stimmt es uns, immer läßt es uns entkommen. Was wir noch hören: fremdes Atmen. Was wir nicht hören: Unhörbares, wie Tanz. Untanzbares, die Gesichter. Unsichtbares, die Toten, aber. Wir. Wir werden mehr sein als die Toten, mehr als die Lebendigen, wir Toten 2.0. Ein Menschennachleben in eineinhalb Körpern, tanzend, [somebody pressing the play button on me]. Zwischen den Schläfen alles schließen, von Schläfe zu Schläfe das Unfaßbare fassen. Dann: Schockzustand. Griff ans Herz, Sturz zu Boden, Schluß. Das letzte Blut, gefroren, eine Fläche. Ich stelle Ihnen gern mein Gesicht zur Verfügung, wenn Sie darauf tanzen wollen. Diese Worte müssen auf Repeat gehört werden, auf Repeat, Repeat Repeat, denn.
mit freundlicher Unterstützung der ghost community:
r.d.brinkmann & h.fichte, g.deleuze & j.derrida, f.schiller & j.c. lavater

für die Musik Danke an:
m.jackson, tv.on.the.radio, bloc.party,

für die Videos:
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