Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Jochen Schmidt (Bild: Johannes Puch)
JOCHEN SCHMIDT
Vergleiche zum Siegertext des Vorjahres
Der Deutsche Jochen Schmid brachte sich mit einem "Weltraumtext" über den Tod eines Astronauten ins Spiel. Ursula März hatte den Autor nach Klagenfurt eingeladen. Die Jury zeigte sich sehr angetan und zog Vergleiche zum Siegertext Katrin Passig aus dem Vorjahr .
Jochen Schmidt (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino Ein "hochintelligenter" Text
Karl Corino zeigte sich begeistert: "Ein hochintelligenter Text, eigentlich im klassischen Sinne der Novellentheorie eine unerhörte Begebenheit, der erste Selbstmord eines Astronauten".

Der Text sei voller hochintelligenter und witziger Sätze. Corino betonte, er sei sehr angetan, habe lediglich einen kleinen Einwand die Erzählsituation betreffend: Der Astronaut notiert seine Empfindungen in der Weltraumkapsel auf einer "Sigmund Freud-Tafel", wo man das Geschriebene zugunsten neuer Gedanken immer wieder auslöschen kann.

"Das wirft die Frage auf, wie das Geschriebene für die Nachhalt greifbar wird. Es gebe keinen Bruch in der Erzählhaltung, wenn der Astronaut mit dem Schreiben aufhöre: "Wie erfahren wir also vom Geschriebenen?", fragte Corino. Dennoch sei dies der einzige Bruch, was die Erzählung anbelange.
Überraschende Einblicke (Bild: Johannes Puch)
Die Spiegel in den Tischen ermöglichen diesmal überraschende Ein- und Ausblicke.
Daniela Strigl Ähnlich dem Siegertext von Kathrin Passig
"Auch hier haben wir es mit einem Fall ausgeprägter Misanthropie zu tun", begann Daniela Strigl. Dieser komme jedoch "wesentlich netter und freundlicher daher". Außerdem gebe es keinen besseren Ort für einen Misanthropen, als eine Raumkapsel.

Die Haltung der Figur sei "ausgesprochen brüchig und gleichzeitig kompakt", sie erscheine aber "plausibel". Auch Strigl sagte sie finde den Text sehr gescheit und witzig.

Die Situation sei der im Siegertext Kathrin Passigs sehr ähnlich: Eine Figur ist alleine unterwegs und sieht dem Tod ins Auge. Dabei macht sich diese überflüssige Gedanken über die Situation des Lebens. "Daraus ergibt sich der gleiche komisch-ausbeutbare Wortabfall. Ich lese den Text als Travestie des letztjährigen Siegertextes, schloss Strigl.

Karl Corino warf ein: "Ich habe den Autor auch schon darauf angesprochen, er leugnet aber jede Verbindung zum Text!"
Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)
Daniela Strigl fand die Haltung der Protagonistin "ausgesprochen brüchig und gleichzeitig kompakt", aber auch plausibel.
Martin Ebel Lob: Der Text hat keine tödliche Konsequenz
Auch Ebel bezeichnete den Text als "locker und witzig". Vor allem die Tatsache, dass dieser nicht mit so einer tödlichen Konsequenz daherkomme, dass man ihn irgendwann selber weiterschreiben kann, sei am Text lobenswert.

Es sei ein "solipsistischer Text" - die Figur setze sein eigenes Ich mit der Welt gleich. Das funktioniere natürlich nicht immer, auf der anderen Seite komme es zu Humor, die Sätze würden ins "Absurde" kippen. Die Gefahr liege jedoch darin, dass der Leser zu viel vom "Ich" bekomme. "Das führt sehr leicht zu Überdruss, hier ist es kurz davor".
Ijoma A. Mangold "Eine erkenntnistheoretische Burleske"
"Ich war auch sehr angetan vom Text", schloss sich Juror Mangold dem positiven Reigen der Kritik an. Dieser sei eine erkenntnistheoretische Burleske: "Es gibt ja die Vorstellung eines archimedischen Punktes, von wo aus die Welt aus den Angeln zu haben ist."

Erkenntnistheoretisch heißt, wir müssen einen Punkt finden, der außerhalb des Gegenstandes liegt, den wir beschreiben". Die Erzählung suche nach dem "Höchsten Punkt der Selbsterkenntnis" und müsse sich deshalb ins Weltall begeben. Der Preis dafür sei "Isolation".

Der Text besitze eine "enorme Komik und Traurigkeit". Mangold bekannte sein Faible für diese "Schrammen an der Kitschgrenze". Es sei "essentielle Komik mit Kraft", schloss der Juror.
Ijoma A. Mangold (Bild: Johannes Puch)
Ijoma A. Mangold: "Der Text ist eine erkenntnistheoretische Burleske".
Klaus Nüchtern Mit "Tubendreher-Texten" muss Schluss sein
"Es scheint, wir schwimmen im Urmeer der Einigkeit", konstatierte Klaus Nüchtern. Dennoch: Mit den "Tubendreher-Texten" müssen nun - im Hinblick auf Kathrin Passig - bald Schluss sein. Es habe "genug" von den kahlen Landschaften, dennoch sehe er dem Text gerne "beim Rotieren" zu. "Aber: Das hat ein Ablaufdatum", so Nüchtern.
Ilma Rakusa Die Figur hängt in der Luft, ist nicht verortet
Ilma Rakusa sprach dem Text ihre "große Anerkennung" aus. Dennoch sei ihr, bei aller Komik, dessen Sterilität - die aber durch die autistische Haltung des Protagonisten bedingt sei - negativ aufgefallen.

Die "Kapselsituation" des Textes bringe sie zu der Frage: "Wozu diese unglaubliche Reflexion?" Die Figur hänge bei all ihrer Schwerelosigkeit "in der Luft" und sei nicht "verortet".