Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Jörg Albrecht (Bild: Johannes Puch)
JÖRG ALBRECHT
Performance sorgte für Verwirrung
Jörg Albrecht trug den performativen Ton-Bild-Text "Von Schläfe zu Schläfe/Phantomschirm" vor. Der auf die französische Philosophie mit Deleuze/Guattari Bezug nehmende Text über die rhizomatische Existenz zwischen Musik, Tanz und Video, der Suche nach "Selbst", "Speicherplatz" und "Wiederholung", rief bei der Jury in Bezug auf dessen Existenzfähigkeit als Literatur einige Verwirrung hervor.
Jörg Albrecht (Bild: Johannes Puch)
Andre V. Heiz Ein "atemlos-performativer" Vortragsstil
Albrechts Text sei, so meinte Juror Heiz, eine Form des "neuen Epos" über ein Wochenende in der Stadt. Er biete "herausragende Beschreibungen" und Details, dennoch erschließe sich ihm die Intention des Textes nicht.

Heiz stellte - bezugnehmend auf den atemlos-performativen Vortragsstil des Autors - die Frage in den Raum, wie dieser in einer langsameren Leseweise gewirkt hätte. Dies hätte besser zum "mikroskopischen Schreibstil" gepasst. Er sei der Ansicht, der Text selbst widerspreche der Performance des Autors.
Andre V. Heiz (Bild: Johannes Puch)
Andre V. Heiz sprach von einem neuen Epos über ein Wochenende in der Stadt.
Iris Radisch "Das Medium ist hier die Botschaft"
"Ich weiß nicht, wo hier der Zeitgeist wohnt", fragte sich Iris Radisch, um sich dann selbst die Antwort zu geben: Dieser sei selten dort zu finden, wo er sich so "hipp" zur Schau stelle.

Der Text suggeriere, eine "atemlose Reaktion am Puls der neuen Medienzeit" zu sein. Sie habe den Verdacht, hier sei das "Medium die Botschaft", was doch eine sehr "alte Kamelle der Medientheorie" sei. Man habe es mit einem unspezifischen "Jedermann-Tiefsinn" zu tun.

Insgesamt finde sie die durch den Text generierte "Neo-Metaphysik" nicht viel einfallsreicher "als den "engstirnigen Idealismus", den man früher gehabt hätte. Der Text sei fast "spießig" zu nennen.
Jörg Albrecht, Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
Das freundliche Lachen täuscht: Iris Radisch sah in dem Text von Albrecht einen "unspezifischen Jedermann-Tiefsinn".
Ijoma Mangold Der Text ist "Wellness für Fortgeschrittene"
Ijoma Mangold lobte den Text als "angenehme Hirnmassage". "Das ist Wellness für Fortgeschrittene". Zuhause habe er beim Lesen des Textes allerdings "weniger Genuss" verspürt, weil er ihn auch verstehen wollte.

Das Tempo der Performanz scheine seiner Ansicht nach anzudeuten, dass die "verschiedenen Bedeutungsebenen gar nicht verstanden werden können oder wollen". Er habe sich in seine Zeit auf der Uni zurückversetzt gefühlt: "Das Übermaß an Poststrukturalismus macht beim Spaß beim Zuhören - mehr aber auch nicht."
Daniela Strigl Ein Text aus der "Tanzpalast-Welt"
"Ich finde mich im Text furchtbar verirrt - um Hanns-Josef Ortheil zu zitieren", begann Jurorin Strigl. Das liege aber daran, dass sie sich in dieser "Tanzpalast-Welt" des Textes nicht auskenne.

Sie beeindrucke dieses "symphonische Orchester", gleichzeitig sei es ihr aber auch suspekt, weil der Text "unangreifbar" bleibe. "Ich wüsste nicht, wo ich den Hebel ansetzen sollte", so Strigl. Das sei "genialisch wirr": "Ich mache hier eine unbeholfene Figur als Leserin", konstatierte Strigl.
Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino Ziel des Textes: Niederschlagung der Jury
Karl Corino meinte in Bezug auf den Text, dieser ziele auf die "Niederschlagung der Jury", sei "extrem auf Effekt" geschrieben und gelesen. "Bei all dem Höllentempo - was bleibt von der Semantik des Textes beim Publikum hängen, was kann man verstehen?"

Dieser "semantische Text-Nebel" frustriere Computerliebhaber und Freunde der guten alten Erzählkunst gleichermaßen. "Er verweigert sich". Corino erinnerte in diesem Zusammenhang an das Experiment "Total Recall", bei dem ein Leben detailiert digital festgehalten werde: Dort würden sich revolutionäre Abgründe auftun, der Text stoße dorthin allerdings nicht vor.
Martin Ebel "Die Inhaltsebene ist banal"
Martin Ebel sah im Text vor allem "Tempo, Rhythmus und Musik", es gehe weniger um eine Inhaltsebene. Die sei banal: Das Subjekt im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.

Manches sei "gut gearbeitet", der Text komme als "Endlos-Schleife" daher. Das Problem sei aber, das er auf eine "totale Gegenwart zusammenschnurre". Literatur jedoch brauche "Epische Distanz".

Hier schaltete sich der Autor ein und fragte, wieso gerade diese Distanz notwendig sei. Iris Radisch antwortete für Ebel: "Distanz erzeugt Spannung, Modulation".
Ilma Rakusa (Bild: Johannes Puch)
Ilma Rakusa Rakusa fand das Tempo des Vortrags adäquat
Ilma Rakusa, auf deren Geheiß der Autor nach Klagenfurt gekommen war, zeigt sich trotz allem von "ihrem" Autor und seinem Vortrag begeistert.
"Ich finde ihn ungemein spannend, obwohl ich nicht alles verstanden habe", so die Jurorin. Hier gehe es um Gesicht und Stimme. Das "Festgeschriebene und das Prozessuale", deshalb sei auch das Tempo des Vortrages adäquat.

Der Text "oszilliere", dadurch "verschwimme" zwar einiges, dennoch habe man es hier mit dem "kühnen Versuch zu tun", Bilder aus dem Internet in Sprache zu übertragen, was in Stimmenvielfalt und Polyphonie münde. "Ganz großartig", lautete ihr Urteil.
Klaus Nüchtern Akustisches Ereignis: Wachquatsch-Text
Klaus Nüchtern meinte, der Text ziele darauf, die Jury zu verfehlen: "Hier laufen wir aneinander vorbei". Albrechts Arbeit sei nicht mit den anderen vergleichbar. "Das führt nicht sehr weit!"

Allein mit der Nennung von Deleuze und Guattari bin ich noch nicht zufrieden". Dennoch nehme er die Performanz ernst: "Ich war dabei einzuschlafen, der Text hat mich wachgequatscht", so Nüchtern. "Das sei als akustisches Ereignis ganz in Ordnung".
Klaus Nüchtern (Bild: Johannes Puch)
Ursula März Der Text stellt weißes Signalrauschen her
Ursula März gratulierte zur "sportlichen Leistung". Eines sei allerdings "nicht so prima": Der Text unternehme den Versuch, weißes Signalrauschen herzustellen, lege dem Leser jedoch eine Fährte, die ihn zu einem herkömmlichen, "hermeneutischen Detektivismus" verleite. "Sie sind schuld daran", so März zum Autor.