Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:51
Gerhild Steinbuch (Bild: Johannes Puch)
Gerhild Steinbuch
Ins Wasser schlachten.

Diese alten Geschichten. Die sich verstecken untertags und sich am liebsten dann gar nicht mehr blicken lassen, außer wenn man längst eingeschlafen ist. Das ist weil es so viele sind, wenn man sie alle mitbekommen könnt, man würd ersticken dran. Drum eine nach der andren sorgsam aus dem Versteck gelockt von hinten in die zweite Reihe und zusehn wie sie sich dort aneinanderdrängen. Es dauert eine Weile bis einem auffällt: Im Grunde sind sie alle doch dieselben.

Und niemals eine Ruhe in der Nacht. Vier Geschichten von ihr, damit die Zahl ein Glück mitbringt; davon die letzte um die Liebe, die aber nie gelingen will.
Am Arm halt ich ihn fest wie er sich in den Schlaf weint, als hätt ich’s nicht gesehn, nur auf die Stirn gestarrt und dann noch eine Handbreit hinterm Haaransatz mit meinen dummen Augen. Auch dann nicht wie er aufsteht weil er denkt dass ich gar nichts versteh davon weil ich nicht merk wie er sich schämt hinter den dicken Lidern und sich dann fortschleicht in sein Zimmer hin zu ihr, zur Mutter.

Ich hab nix gesehn.

Und sie am Morgen macht ein seltsames Gesicht und tut dann so als wäre alles wie ein wunderbarer Tag und langt geschäftig nach der Milch quer über unsren Tisch. Nicht lange und dann steht der Vater auf und drückt sie ihr zwischen die Finger sich aus dem Raum und später durch den Türspalt. Ich seh sie an, sie lässt das Päckchen falln und starrt sich auf die Schenkel. Ich weiß überhaupt nicht ob sie noch ein Gesicht hat zwischen den Falten. Ich tipp sie an, den Finger an ihrem Schlüsselbein. Es tropft. Die Mutter schaut noch immer nicht zu mir, ich stech sie fester, bis ich mich fast ganz rein in ihre Brust gegraben hab aber sie zuckt nur und ihre Falten falln ihr in die Milch, so lange bis sie wieder ein Gesicht hat und mich anschaut. Ich erschreck mich so, dass ich am liebsten auf dem Stuhl herumfahrn würd und fort. Ich trau mich aber nicht, weil ich auf einmal eine Angst krieg, dass ich dann meine Chance vertan hab sie jemals wieder richtig und als Mensch zu sehn. Also tapfer reinstiern. Der Mund ist viel zu groß. Ich weiß gar nicht wo sie auf einmal ihre Augen hingetan hat, vielleicht sind ihr die in den Schlund gerutscht, zwischen den Teiggeschwülsten durch die viel zu große Öffnung. Ich sag nix. Der Teigwust zittert sich in eine Form aus der auf einmal ein Geräusch rausquillt, als ob jemand gestorben wär. Ich tu so als wär ich von Geburt an taub und stumm und blind, bloß dass die Blindheit jetzt auf einmal weggegangen wär vorhin und ich zum ersten Mal so auf die Mutter und die Welt schaun kann und drum vom Erstanblick ein einziges Staunen bin in dem Moment. Lang dauerts aber nicht dass sie mich gleich entlarvt hat und mit den Armen nach mir schlingt und sich mich vor die Brust klemmt bis ich beinahe aufhör mit dem Atmen, die Lippen an ihrem Schlüsselbein, und mit den Fingerspitzen ihr die Nackenhärchen ruhig streich und sie jetzt endlich still hält. Wie sie mich loslässt dann kratzt sie mit ihren hartgeschorften Fingerkuppen kurz über die Innenfläche meiner einen Hand und wird dabei ganz weich am Kinn und kommt gefährlich nahe. Ich dreh mich aber weg und tu rasch so als hätt ich einen schlimmen Hustenanfall, lauf ins Bad einen Spalt noch in der Tür das Wasser bis zum Anschlag auf bis mir die heiße Luft so auf den Wangen klebt, als wär sie frisch aus mir herausgetreten. Wenn alle Flächen schmierig sind vom Dampf mach ich mit meinen Fußsohlen ein Muster auf die Kacheln, das fast so aussieht wie das Bild vor dem ich mit der Mutter in der Ausstellung gestanden bin in die sie uns hineingeschleift hat zum Familienausflug übers Meer, nur dass das Hände dort gewesen sind auf dem Papier und noch ganz klein, wie ich sie vielleicht auch einmal gehabt hab. Die Mutter hat gestarrt dort, viel zu lange, auch weil der Vater schon längst weggewesen ist, und raus aus dem Gebäude, und hat geweint im Gehen, ich habs genau gesehn. 
Ich heb mich auf den Wannenrand. Ein viel zu großer Mensch, ein Berg aus aufgequollnem Traurigsein in einem Kinderkörper. Ich weiß auch nicht wie das denn anders sein sollt, wenn ich nicht einfach so aus einem Willn heraus nach oben wachsen kann. Das Fräulein in der Bildungsanstalt sagt ich bin ein kranker Wurm von einem jungen Mann, weil ich so ausseh wie ich bin. Ich glaub dass sie das alles nicht verstanden hat, weil sie bestimmt als Kind auch schon so ausgesehn hat wie ein Fräulein, das sag ich aber nicht. Bloß nicken und dann in den großen Sessel rein nach vorne mit den Schultern, bis ich ein Teil vom braunen Kunstbezug geworden bin, während die Mutter sich neben mir ins Parkett verteilt, solange bis das Fräulein wieder in die sanfte Quint gewechselt hat, das macht sie immer wenn sie beinah lachen muss, weil ihr Erwachsene die heulen peinlich sind. Die Mutter merkt das aber nicht. Die Mutter merkt gar nichts, auch nicht dass ihr die Schenkel immer schmäler werden vom vielen Draufstarrn. Das fällt dem Fräulein aber auch nicht auf. Wahrscheinlich ist das so, weil ich doch das Objekt zu der Besorgnis bin, sie glotzt mir blöde auf den Nabel. Ich halt schnell so dass sies nicht merkt die Luft an und mach mein ausgeglichenes Gesicht, dass sie bloß damit aufhört, damit die Mutter ja keinen Verdacht schöpft und ich nicht wieder schlucken muss den ganzen Abend lang weil mir auf einmal so viel schlimmes Zeug im Mund herumschwimmt. Zum Abschied sag ich sanft dem Fräulein in die Augen rein, dass ich mir Mühe geb ein bessrer Mensch zu werden. Das Fräulein freut sich dann, weil sich die Muttter freut und wir jetzt gehn und sie nun getrost lachen kann mit einer schrillen Stimme und auf den Boden falln und alle Viere in die Luft, während ich die Treppe runterwank, die Mutter an der Hand und sie behutsam heimbring und ein Lächeln und ins Bett und müd, solange bis sie eingeschlafen ist und sich der Vater heimschleicht dann, durch den Spalt in der Tür und an die Kante von dem Bett und mich sanft auf die Stirn küsst, solange bis ich schließlich anfang mich zu regen. Das ist das Zeichen gewesen, immer schon. Und er nimmt mich an der Hand wie wir durch die Erwachsenentür hin in mein Zimmer gehen, und ich lass seine Hand nicht mehr los, auch als ich mich schon längst ins Bett hineingeschmolzen hab. Das mach ich so damit er weiß dass er sich zu mir setzen darf und mit den Zehen untern Deckenrand. Er macht die Augen zu und legt den Kopf an meine Schulter. Ich tu so als würd ich davon gar nicht so viel merken und starr ihm in den Haarschopf bis mirs schwindelig wird. In einem Wirbel steh ich und schau den Farben zu wie sie sich langsam auflösen, bis ich schon selber anfang unsichtbar zu werden, da hör ich ihn ganz sanft in meinem Nacken wie er sich nicht getraut noch einen Ton zu machen, weil er auf einmal eine Angst bekommen hat dass ich vielleicht so tu als ob ich eingeschlafen bin, dass ich mich tot stell weil ich nicht mehr dichtgehalten hab weil ich zur Mutter in den Schoß gesprungen bin am Morgen und ihr von jeder Nacht dahergelogen hab, mit Tränen in der Stimme und einem seichten Wahn wie ihn die Mutter gerne hat weil sie dann glaubt sie ist auf einmal aus der Einsamkeit herausgehoben worden und aus dem Alleinsein und dem Weinen in der Nacht. Ich hab aber schon lang nicht mehr ein Wort gesagt zu ihr, ein richtiges.
Ich drück ihn leise an der Schulter, einmal. Wir fangen heut wieder von vorne an: Beim Glück. Ich tu ihm den Gefalln und glaub ein bisschen dran dass ihm diese Geschichte von der Liebe noch gelingt. In Wirklichkeit hilfts aber lange schon nicht mehr, er hat nur einen Anfangsehrgeizbrei zwischen den Ohrn, weil es da immer einfach ist. Mir fällt schon nicht mehr auf was er da sagt, ich hab den Vater und die Mutter schon im Kopf drin, weil ich längst alles miterzähln kann von den andren Malen. Ich krieg auch einen Druck im Hirn, als würden sie auf einmal groß und fest und könnten mir den Schädel auseinanderschieben. Ich weiß gar nicht ob ich noch in mir Platz hab überhaupt, als Mensch, neben dem ganzen andren Zeug. Ruhe ist da keine mehr.
Ich merk wie jetzt der Vater seinen Mund auftut, und fang gleich an mit ihm gemeinsam, stumm.
Es sind ja alle doch dieselben.
Wie er vom Fluss erzählt und wie er dann dorthin ist mit der Mutter, gerade mitten durch die Stadt und sie sich dann getrennt haben kurz vor den Ufern noch. Das ist die Abmachung gewesen, und weiter dass man sich auch wiederfindet dann. Ich hör gar nicht mehr richtig hin. Vielleicht dass er sich eines Tages noch daran verschluckt und darum irgendwie der Fluss sich noch verselbständigt, eine glatte Oberfläche und kein Geräusch mehr. Aber anstatt dass alles schön wird so nur eine Mauer und der Vater dran entlang und mit der Hoffnung durch zwischen den Menschen, die alle tun als wärs für sie ein ganz genauso wunderbarer Tag und noch flussaufwärts bis dorthin wo fast nie wer hinkommt weil’s dort gefährlich dunkel ist und dann ab da noch tiefer rein, bis es dann auch der Angst zuviel wird. Anschließend im Finstren weiter mit groß aufgerissnen Augen, solange bis sich wieder was erkennen lässt und sofort halt und still. Wie er von dem Moment erzählt hat er auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Ich weiß dass das ein Zeichen dafür ist, dass er bald nicht mehr weiter weiß, ich schau schnell drein als gings auch nur um irgendetwas von Bedeutung. Und wie die Abmachung sich da in dem Moment erfüllt hat, weil da die Mutter auf einmal gewesen ist, von der ganz andren Seite her. Wie das dann auch gewesen ist am Weg zurück, und wie Verliebte an den Händen und eine Wärme im Bauch, von der man ohnehin nicht sprechen sollt. Ich kanns schon nicht mehr hörn. Lang dauerts danach nicht, dass er auf einmal mit dem Heulen anfängt, weil er nicht weiß wies weitergeht mit der Geschichte, und mit ihm und der Mutter. Ich kann davon zum Glück nichts hörn, mir drückts noch immer bös im Kopf. Da will was raus. Der Vater kommt nie weiter als bis zu dem Moment. Das liegt daran, dass sich ja gleich danach für später dann ein Fehler eingeschlichen hat, der dafür sorgt dass alles schlimm und niemals wieder eine Ruhe wird, denkt man sich die Geschichte fort; der Vater hat das nur noch nicht bemerkt bis jetzt unter dem Einsamsein. Mir ist der Fehler aufgefalln. Ich hab aber längst aufgehört dagegen irgendetwas zu versuchen. Bloß nichts anmerken lassen. Ich hab so getan als tät ich von den Tränen gar nichts fühln in meiner Kindertraumlandschaft bis er schlussendlich fortgegangen ist, dann morgens mit der Mutter an den Tisch der Vater durch die Tür und mit der Traurigkeit nur rasch ins Bad und feucht und heiß und an den Wannenrand wie immer schon und jetzt . Das Wasser hat sich grad ein bisschen hoch hinaus gequollen und heult sich in die Kinderfüße auf den Kacheln. Ich tupf den Finger vorsichtig durch Dampf und dünne Oberhaut. Es sticht in dem Moment wo ich das Nasse spür an meiner Hand drum muss ich mich bemühn dass ich nicht rasch zurückzuck, aus einem blöden Überlebenstrieb heraus. Es pocht. Ich wart noch kurz einen Moment und zähl mir langsam einen Countdown, dreimal, bis ich das Pochen auch schon fast vergessen hab über den ganzen Zahlen und dann tief Luft nach vorne mit dem Kopf schaun dass man nicht das Gleichgewicht verliert und als ein Ganzes absäuft, dreimal zählen raus noch einen leichten Schwindel im Gesicht und vor dem Spiegel in die Kleider aber ja bloß nicht hinsehn hernach dann auf der Treppe kurz verharrn den  Pulloversaum mit beiden Händen bis zum Knie dass man sich nicht willkürlich traurig macht und milde lächelnd aus der Tür und in den Tag.
Der Schilling wartet schon auf mich. Er sagt nix wie er mein Gesicht sieht, auch nicht als mich jemand zurückgeblieben anglotzt, der unter einem Einkaufsvorwand da den Zaun entlangschleicht und an uns vorbei, schaut nur kurz und dann ins Licht. Ich habs verstanden. Wir starren beide in die Sonne rein, bis wir fast blind werden davon, dann hebt er irgendwann die Hand und winkt in Richtung meiner Mutter, die sich im Haus hinter den grauen Vorhang duckt und denkt wir ham sie nicht gesehn. Ich müsst jetzt fast kurz lachen, ich lass es aber bleiben, wegen dem zugeschwollnen Mund, heb bloß das eine Bein und dann das andre, den Schilling an der Hand, weil der ein wenig wankt, er ist bisschen aus dem Gleichgewicht noch von der Helligkeit vorhin. Lang dauerts aber nicht bis sich unser Verhältnis wieder richtig eingependelt hat, und er mich mit den großen Schritten herschleift hinter sich. Ich glaub wir sind schon längst zu spät und dass das ohnehin nichts bringt wenn er jetzt auf einmal so tut als hätt er irgendeinen Ehrgeiz der noch auf etwas andres geht als wo dagegen. „Na“ sagt er und grinst mir blöde ins Gesicht. „Lauf nicht so“, sag ich zu ihm und starr ihm von der Seite auf den einen Wangenknochen, der sich sogleich auch kurz bewegt, das ist es aber schon gewesen, nur dass der Druck noch fester wird um meine Hand. „Ich bleib in Form“, stößt er nach vorn und einer Horde kleiner Mädchen in den Nacken, die gackernd und mit hässlich trocknen Kniekehlen vor uns den Weg blockiern. Ich schieb sie mit dem Blick am Boden sacht zur Seite, wie wir uns weiterwälzen, „Ich brauch das später noch. Weißt du.“ Dann ist er wieder still, presst nur in immer kürzren Abständen die Luft aus sich heraus und grinst dazu als wär er grade schwachsinnig geworden. Ich frag ihn nicht, was er damit gemeint hat. Ich habs verstanden. „Gar nix weiß ich“, sag ich und fühl mir mit der Zunge durch den Mund, weil ich auf einmal Blut geschmeckt hab in der rechten Backe. Er sagt darauf nichts mehr zu mir, nur dass ich merk wie er mir jetzt auf einmal ins Gesicht schaut und sich darüber ärgert, dass er sich dran erschrocken hat für kurz. Dann wieder Blick nach vorne, weil etwas auftaucht grad am nahen Horizont. Ich zähl die Schritte bis zum Anstaltstor. Die Flügel stehn weit offen und doch ist da nur kaum ein Durchkommen vor lauter schlechten Menschen die sich mir vor das Becken schieben, ein träger Brei aus Schweiß und Drecksgelächter, der sich, hat man einmal den Hof betreten, aufs Gemeinste eindickt und einem in Sekundenschnelle alle Glieder lähmt, bis man nichts anderes mehr tun kann als auch ein Teil vom Brei zu werden, mit aufgeregtem Maul. Wie mich dann einer anrempelt, als wir noch nicht einmal drei Schritte weit im Pulk verschwunden sind, fall ich in mich hinein. Ich greif nach Schillings Hand, der ist aber längst fort von mir, der hat sich unsichtbar gemacht, der schwimmt jetzt rücklings zwischen den schleimigen Körpern, der taucht sich zwischen ihren Beinen durch und greift nach ihnen wenn sie glauben sie sind unter sich und dass ihnen niemand was Schlechtes tun kann hier, fasst ihnen an die bleichen Schenkel und die abgeschorften Knie damit sie endlich einmal mitbekommen dass sie in Wirklichkeit schon tote Menschen sind mit ihrem hübschen Sommertagsgesicht. Lang dauerts aber nicht bis sies wieder vergessen haben dann wie einen bösen Traum am nächsten Tag und sich den freudigen Blick hinter die Wimpern klemmen und endgültig zurückfalln in den Schlamm aus dem sie kurz davor für den Moment herausgekrochen sind.
 Ich klapp die Luken zu. So rasch es geht und bloß nichts reinlassen. Die Augenblicke die dann kommen halt ich mich als ein Ganzes fest geschlossen, nur manchmal an die Oberfläche und ein Atemzug, wenn keiner hinsieht. Bis mich dann jemand an der Schulter fasst, da fällt mir auf ich muss wohl lang so in mir drin gewesen sein, und auch weil ich auf einmal ganz allein in einer Kammer sitz, dicht hinten an die Wand gedrückt, und Flecken sind auf dem Papier grad zwischen meinen aufgestützten Armen, die trübe Kreise malen, immer mehr. Ich tu als wär da niemand neben mir und mach nicht einmal mit dem Mund ein halbes Lächeln. Aus meinem Winkel raus glotz ich dem Menschen der mich rausgerissen hat aus allem auf den schmalen Rumpf. Ich weiß gleich wer das ist. Das ist eins von den schönen Mädchen, denen ich manchmal während des Vormittags auf ihre dicken Haare schau. Allerdings ist sie keines von den wirklich schönen Mädchen. Drum hat sie sich auch eines Tages umgedreht, wo sie da aufgestanden ist von ihrem Stuhl, und sich ein bisschen über meinen Tisch gebeugt. Da hab ich dann gemerkt dass sie in Wirklichkeit auch nicht einmal ein schöner Mensch ist, wie sie so nah gewesen ist an meinem Gesicht und sich darum bemüht hat dass sie ein bisschen hübscher wird in dem Moment. Das ist seither immer so zwischen uns.
Sie tippt mir traurig auf die Schulter und ich merk wie sie sich jetzt denkt dass ich sie deshalb anschaun muss, aufrichtig und grad in die Augen rein.

- Ich hab gestern deinen Freund getroffen.

Ich möcht am liebsten gar nichts mehr und wieder taub und stumm und blind sein wie vor der Geburt.

- Ich seh euch immer beide gleichzeitig beim Tor reinkommen in der Früh.

- Der ist nicht mein Freund.

Ich lüg ihr ins Gesicht hinein, grad in die Augen, damit sie sich ein bisschen hübscher vorkommt. Sie holt noch einmal Luft und ihre Angst zischt mir gegen den Hals. Ich will aber nichts hörn davon. Ich seh sie an als würd ich mich im Spiegel sehn. Luken zu und weg.
Schilling hat mich schon eingeholt kaum dass ich in die richtige Straße eingebogen bin. Er sagt kein Wort und grinst nur. Ich weiß dass er auf mich gewartet hat weil’s immer so gewesen ist, und dass er drum ein rechter Freund sein muss, nur deshalb sag ich nichts über sein Dummgesicht. „Komm“, schnauft er und stößt mich in die Seite. Er wankt ein bisschen weil er viel zu schnell gelaufen ist und dafür nicht genügend Kraft hat. Ich fass ihn an der Hand, damit er mir nicht vorneüberkippt. Er schwitzt als käm er grad vom Sport und ich rutsch ab an seinen Fingern. Ich zieh die Hand zurück und halt die Luft kurz an. „Ich geh jetzt gleich heim“, sag ich dann und geb mir Mühe dabei möglichst sicher auszusehn. Er bleibt nicht einmal stehn. Ich wart, dass er es sich nach ein paar Metern vielleicht diesmal doch noch anders überlegt. Er grinst aber nur blöde über seine Schulter und spuckt aus. Ich sag ihm nicht dass ich noch überhaupt nie mitgewollt hab, ich sag gar nix mehr. Nicht viele Schritte dann schau ich ihm wieder auf die Wange drauf.
Und weiter durch die Straßen. Nur kurz und wir sind viel zu viele. Ich hab alle Stimmen im Kopf. Ich möchte gerne in den Boden rein und dann ist endlich Ruhe. Der Schilling hält mich an der Hand damit die andren wissen dass ich zu ihm gehör. Ich hab nichts außer Fußgeräusch zur Orientierung und pass den Atem an den Rhythmus an. Wir hetzen jetzt, um unser Leben. Unter der Sonne als wärn wir auf dem Weg zum See oder vielleicht auch in den Park. Ich kann gar nichts mehr fühln vor lauter Nadelstichen im Gesicht. Als ich den ersten Krach hör reißts mich an den Schultern. Jetzt ham sie wieder mit dem Schmeißen angefangen. Und immer mehr Geräusch, von überall. Ich merk wie mich die andren von der Seite abmustern. Ich hab da noch nie mitgewollt. Schnell Kopf nach unten an die Brust und dann so tun als wär ich unsichtbar. Es hilft aber nichts. Ich greif in meine Tasche. Ich hab nicht einmal was was gut geeignet ist für diese Zwecke, und ein paar andre rücken immer näher an mich ran. Ich drück ein bisschen panisch Schillings Hand, der aber tut jetzt so als würd er nichts davon bemerken. In einer Seitentasche find ich einen Apfel, den hat die Mutter mir dorthin getan für meinen langen Tag. Ich splitter gegen eine Windschutzscheibe. Es spritzt und ich bin fast ein wenig stolz. Sonst freut sich aber niemand dran, weil es einen Moment danach ein noch viel lauteres Geräusch macht. Wir rücken alle dichter aneinander. Ich steh ganz in der Mitte drin, wie immer sonst und merk dass sich gerade auch die andren denken, dass sie in Wirklichkeit kein schöner Mensch ist, wie sie da steht in der kaputten Tür und es nix bringt dass sie versucht ein bisschen hübscher auszusehn. Niemand sagt was. Auch nicht wie Schilling sie dann an der Hand nimmt und mit ihr bis in die Mitte geht. Ich mach einen Schritt zurück. Die Mauern sind gleich wieder hoch auf beiden Seiten. Rasch in den Arm mit ihr und fest am Boden dann gleich sofort die Augen weg. Ich schau ihr aber trotzdem kurz in ihr Gesicht und merk wie sie mich anstarrt und gerne möcht dass ich was sag damit jetzt wieder alles schön wird.  Ich kann jetzt aber grad nicht raus, ich seh nix, ich bin zu tief in mich hineingefallen. Ich streichel ihr den Hinterkopf wie sie mir große Flecken auf die Oberschenkel macht mit ihren Kulleraugen. Solange bis ich hör wie er auf einmal ausspuckt, dann weiß ich dass es das gewesen ist. 
Nachhause geht’s dann schnell, ich sag kein Wort. Ich hab noch Sonnenschmerzen im Gesicht von vorhin. Die Mutter steht schon an der Tür und drückt mich dass mir übel wird und schiebt mich an den Tisch. Ich papp mir rasch den Mund voll, damit sie sich nicht sorgt um mich dann an die Bettkante und beim Einschlafen bewachen. Mein Kopf ist voll mit schlimmem Brei, dass ich gar nicht mehr richtig schaun kann, weil alles weich geworden ist im Hirn, ich streck die Hand aus wie der Vater kommt damit er mich ins Zimmer bringt. Mir schwimmts vor den Augen weg. Ich hör nicht was er mir erzählt, es gurgelt ihm bloß aus dem Mund und ich möcht gern ins Bett reinfließen, noch unter die Matratze. Ich glaub ich krieg ein böses Fieber von dem Tageslicht. Ich hab bestimmt keine Organe mehr in meinem Körper, die sind schon längst zu Mus geworden von der Temperatur. Zwischen meinen Ohren brodelts. Ich kann nicht mehr aufhörn mit dem Denken. Der Vater brabbelt vor sich hin und heult mir leise an den Hals während auf einmal alles schneller wird und immer lauter und ich bestimmt gleich sterben muss sofort von diesen ganzen Menschen in mir drin. Ich kreisch zurück dass endlich eine Ruhe ist. Sie grinsen aber nur und machen weiter dass mir schwindelig wird davon unds mir das Trommelfell zerreißt mit einem Knall. Dann still.

Am Morgen ist ein Krieg überall wie ich aufwach. Ich hab gar nix gehört davon in meinem Fieberkoma nachts. Aber bei Tisch wird so getan als wärs wie immer mit dem Vater schon zur Hälfte aus der Tür. Ich schiel verstohlen nach dem Zeitungstitelbild. Die Mutter glaubt ich hab das grad gemacht weil ich ihr nicht in ihr Gesicht schaun wollt und schiebt den Mund zur Ablenkung rasch so als wärs ein wunderbarer Tag. Ich starr ihr in ihr Milchgesicht. Die Mutter kriegt einen Riss zwischen den Augen wos raustropft und dann in die Milch. Ich zuck. Sie glotzt mich trübe an, weil ich mit meinem Ruck den ganzen Tisch bewegt hab und beugt sich her. Mir fließts wärmlich in den Nacken. Ich krieg ein Würgen mach mich los lauf ins Bad. Wasser gibt’s heut nicht. Ich hab eine zu große Angst dass ich von der Temperatur vielleicht auch einen Mutterriss bekomm. Bloß in die Kleider und raus auf die Straße. Der Schilling wartet schon auf mich, mit seinem dummen Grinsen im Gesicht. Ich frag mich ob er von der Dummheit auch schon blind geworden ist. Wir gehen los. Ich schau mir auf die Füße und wie auf einmal alles wegbricht unter ihnen. „Na“, sagt er. Wir gehn in einem Loch spaziern. „Gar nix weiß ich“, sag ich. Ich hab genug von der Lügerei. Zu und weg. Es knallt, dem Schilling mitten ins Gesicht und splittert gegen seine Schulter. Ich fall auf die Knie. Mein Mund kriegt eine Sperre und geht nicht mehr zu. Ich hab den Schilling schon verlorn in diesem ganzen Rauch auf einmal. Ich tast mich durch nach ihm und grab mich mit den Händen tiefer in das Loch bis ich bemerk er winkt mir aus der Ferne zu. Am Rand steht er und grinst mich blöde an. „Na“, schnauft er und spuckt mir auf den Haaransatz. Ich streck die Hand aus. Er hat sich längst schon umgedreht. Ich weiß aber dass er ein rechter Freund sein muss. Es dauert eine Weile bis ich ihn wieder eingeholt hab, wir sind schon fast am End vom Weg. Die Straße sieht ganz anders aus. Ich hüpf auf einem Bein weil mir das andre jetzt auf einmal taub geworden ist. Ich steck in einem Schacht wo niemals eine Sonne reinkommt. Mein Gesicht juckt. Ich schlag dagegen dass es aufhört. Wir stehn jetzt schon im Tor. Ich kann gerad nix sehn weil ich nur einen Spalt hab für die Außensicht. Den schieb ich flink ein bisschen größer und schnapp dabei nach Luft, für kurz. Das ist aber nicht klug von mir gewesen. Mir klebt was in den Lungen. Ich spuck aus. Da ist ein schlimmes Zeug in meinem Mund das munter drin herumschwimmt. Ich würg ein bisschen. Es wehrt sich. Ich beug mich vorne über bis ich fast mit dem Kopf am Boden lieg, grad so dass ich nicht durch den Spalt rutsch. Ich hab gar nicht gemerkt wie sich das Krachen angekündigt hat, nur dass es mich dann von den Füßen reißt und aus dem Kopf und der auch einen Riss kriegt wie die Mutter dass ich auf einmal nix mehr sehen kann. Ich reib mir panisch über mein Gesicht und grab mich durch das Graue durch bis ich mich dann von außen an den Wimpern fassen kann pack zu. Dann ein Stich und gut. Ins Licht die Augen schmal unter den Brauen und ich wünsch mir dass ich sie nie mehr aufgetan hätt. Ich weiß jetzt was das schlimme Zeug gewesen ist. Das ist weil hier längst kein lebendiger Mensch mehr ist um mich herum, die sind schon alle längst gestorben, die haben sich zu Brei gemacht der mir jetzt durch die Lungen fließt. Vom Druck am Gaumen wird’s mir seltsam. Ich mach den Mund auf dass da ein Geräusch kommt, da kommt aber nix außer nur immer wieder so ein paar von diesen Menschen, die quellen zäh aus mir heraus; und immer mehr von ihnen. Ich kann sogar noch manchmal ein Gesicht sehn irgendwo, das lacht blöde. Ich greif mir in die Ohrn, dass ich nichts mitbekomm davon. Ich hab die Menschen aber längst im Kopf drin. Die gehn nicht fort. Ich brüll sie an. Aus meinem Mund schiebt sich ein Mädchen. Ich weiß genau wer das gewesen ist. Ich schau weg tauch unter Kopf zuerst. Bis mir die Lungen festgeworden sind. Und fort.
Aber es hält nicht lange an. Kopf zurück die Augen aufgetan und Licht und tausend Stimmen. Ich stell mich tot. Ich kann gar nix verstehn, ich hab noch immer Brei zwischen den Ohren. Ich leg ein Lächeln auf. „Gar nix weiß ich“, sag ich, und hör mich selber kaum. Ich merk das stimmt, ich kann nix denken mit dem Kopf so, nur ein Gefühl dass ich am liebsten aufstehn möcht, bloß dass sich nichts bewegen lässt. Ich glaub gar nicht dass ich noch Beine hab oder den ganzen andren Rest vom Körper. Irgendwann wird’s ruhig und das Licht hört auf. Der Vater heult mir in den Schoß. Ich merk kein Geräusch weil irgendetwas alles aufschluckt. Ich spür die Mutter steht noch hinter mir, die Hand zwei Zentimeter über meiner Schulter. Flach. Mein Bett kann nicht mehr stillstehn. Ich klapper mit den Wimpern. Die Mutter saugt die Luft weg über meinem Kopf.
Jetzt ham sies endlich auch bemerkt:
Ich bin der Fehler gewesen. Nie wieder werd ich sprechen.
Ich wach auf im Dunkel und hab Vaterschatten im Gesicht. Er schaut lange. Er hats die ganze Zeit gewusst. Ich tu so als würd mir das nichts machen. Ich fall hin und her von der Angst. Da steht er auf mit mir im Arm und trägt mich aus dem Zimmer und kein Laut. Wir gehn ein Stück, quer durch die Stadt. Ich weiß auf einmal wos jetzt hingeht. Nicht einmal würd ich fort wenn ich noch Beine hätt. Ich hab längst aufgehört damit.
Die Mutter wartet schon auf uns. Vier Geschichten von ihr und ich tu die Augen nicht mehr auf, nie mehr. Wie ihm die von der Liebe noch gelungen ist: Und an den Fluss zwischen den Eltern bis dorthin wo nie jemand hineinkommt und tiefer noch und Vorsicht und kein Fehler mehr. Am Heimweg dann die Mutter und der Vater nur zu zweit gemeinsam an den Händen und eine Wärme im Bauch, und Glück und Ruhe, endlich Ruhe.

Anmerkung: Satzzeichensetzung entspricht nicht den Regeln der Grammatik, sondern zeigt den Rhythmus an.