Helga
Glantschnig las ihren Text "Verschollen". Eine Frau
hat den Entschluss gefasst, dieses Wochenende sollte das Letzte
ihres Lebens werden. Immer wieder probt sie ihre letzten Schritte.
Vanderbeke beantragte Notwehr
Birgit Vanderbekewar nicht sonderlich
angetan: "Ich beantrage Notwehr gegen diese Erzählung".
Sie wolle außerliterarisch mit einer Geschichte beginnen.
Sie lebte einmal in einer Mietswohnung, zwischen vier und
fünf Uhr abends ging das Fenster auf, von oben kam herunter
immer derselbe Satz "Kurt, ich hipp jetzt". Das
ging einige Monate lang und sie war eingekeilt und wusste
nicht, wie sie reagieren sollte. Einmal kam von unten ein
"Alte, dann hipp doch", dann war Schluss.
"Abstürze der Sprache schlimm"
Denis Scheck: Das Thema sei eines
der größten, aber er frage sich, wie man sich den
Text so vornehmen könne, indem man auf die Vergangenheit
der Figur verzichte. Es wäre zwar möglich, aber
dann müsste alles in der Sprache liegen. Die Abstürze
der Art zu schreiben werden manchmal besonders schlimm. Der
Text kommentiere sich laufend selbst. Das tue dem Text nicht
gut. Er ortet in einem Satz auch hölzernes Beamtendeutsch.
"So geht's nicht".
Polizeisprache der 70er Jahre
Thomas Widmer stellte die Frage,
was diese Geschichte leiste. Er finde das Thema gut gewählt.
Die Figur, ganz nahe am Tod, die bleibe von der Geschichte.
In der Art, wie die Geschichte geschrieben sei, sagte er,
alles sei entsetzlich protokollierend geschrieben. Es gebe
Ansätze von Polizeisprache der 70er Jahre. Er habe vieles
angestrichen, wolle aber nicht alles sagen. Es müsse
auch in der Sprache etwas passieren. Wenn man die Geschichte
lobe, würde man vielen Unrecht tun. "Die Geschichte
finde ich unsinnlich bis zum Grauenhaften."
Pia
Reinacher: "Ich bin sehr unglücklich, ich komme
schnell in die Geschichte hinein und werde sofort wieder ausgespuckt".
Die Einzelbeobachtungen hat man nach einer Seite über.
Ein Grundfehler sei, dass man auf der zweiten Seite wisse,
es geht um springen oder nicht springen. Die abgedroschenen
Phrasen und Redensarten hätte man redigieren müssen.
Der Text stellt nicht dar, sondern redet über das letzte
Thema sehr freundlich.
Fliedl verteidigt ihre Autorin
Konstanze Fliedl meinte, der Text
sei ein hohes Risiko eingegangen, das imponiere ihr. Das Quälende
der Situation, das Vergehen der Zeit vor dem Moment der letzten
Entscheidung sei in aller Pein bis zum Ende dargestellt. Der
Text verdeutliche das Extreme an der Situation. Sie sehe die
Kritik an der Sprache aber nicht. Die Darstellung erreiche
eine bestimmte Choreographie, eine tänzerische Inszenierung,
wie man über die Geländergrenze steigt und den Fuß
auf der anderen Seite aufsetzt. Sie wundere sich, dass das
nicht wahrgenommen worden sei. Die namenlose Frau bekommt
am Ende einen Namen, der aber nicht genannt wird. Die Identität
werde ausgespart, das sei eindrucksvoll.
"Sprachlich
nicht bewältigt"
Spinnen: "Wo sie Recht hat,
hat sie Recht", begann Spinnen. Es sei ein achtenswerter
Versuch unternommen worden, einen Selbstmordversuch nicht
aus dem vorangegangen Leben zu erklären, sondern umgekehrt.
Aber es sei nicht eingelöst worden. Es gebe Sätze,
über die nicht nachgedacht worden sei. Wie können
Klauen mit einem Schlag ausgerissen werden? "Sprachlich
nicht bewältigt".
"Man müsste die Geschichte
umbauen"
Robert Schindel: "Der Text
ist ein hohes Risiko eingegangen". Es sei ein Konstruktionsirrtum
passiert. Die Autorin habe offenbar versucht, die inneren
Zustände der Selbstmörderin eins zu eins in den
Duktus der Sprache umzusetzen. Das misslinge immer in der
Literatur. Man kann Langeweile nicht durch Langeweile darstellen.
Er habe die Hoffnung
gehabt, dass eine andere Geschichte, die einer Stadt, erzählt
werden sollte. In der sich die Dinge umdrehen, die Häuser
die Person anschauen, das blitzte manchmal beim Lesen auf.
Aber das wurde nicht durchgehalten. Da hätte sich die
Autorin, wenn sie schon auf Vergangenheit verzichtet, entscheiden
müssen. Erzählt sie die Geschichte der Stadt oder
der Selbstmörderin. Deshalb sei die Sache misslungen.
Es gebe auch eine Fehlleistung, es heiße, "das
Leben nicht zu Ende, der Tod nicht da" - das sei falsch.
Es müsste heißen, "das Leben zu Ende, aber
der Tod nicht da". "Man müsste die Geschichte
umbauen".
Pia Reinacher: Es breche eine robuste
Phantasie bei der Szene beim Fleischstand durch. Diese Stelle
wolle sie nicht missen. Sie habe sich aber gefragt, warum
schläfert der Text ein. Es gebe keine Tempoveränderungen,
die Lautstärke sei immer gleich, das bekomme einen so
langen Text ein.
Spinnen habe sich gefragt, wo sei
der Punkt wo der Weg hinführe. Es schimmere eine Verrücktheit
auf. Jemand nehme sich das Wochenende her für einen Selbstmord.
Dann komme eine lange Zeit nichts, bis einen Absatz vor der
Szene am Fleischstand. Es gebe fahle Fassaden, Autos in Form
von Särgen. Da sei der Versuch aufgegeben werden, der
Figur ihren eigenen Todesversuch zuzugestehen. Hier habe der
Text aufgeben müssen, was er sich als Ziel gesetzt habe,
nämlich ein Leben aus dem Tod zu erklären.
Schlusswort
der Autorin
Die Autorin sagte als Schlusswort,
"vielleicht sollte man öfters in den Wörthersee
springen."
Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler
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