26. Tage der deutschsprachigen Literatur

Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Tage der deutschsprachigen Literatur 2002 - die aktuellen Informationen

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Helga Glantschnig

Helga Glantschnig las ihren Text "Verschollen". Eine Frau hat den Entschluss gefasst, dieses Wochenende sollte das Letzte ihres Lebens werden. Immer wieder probt sie ihre letzten Schritte.

Vanderbeke beantragte Notwehr

Birgit Vanderbekewar nicht sonderlich angetan: "Ich beantrage Notwehr gegen diese Erzählung". Sie wolle außerliterarisch mit einer Geschichte beginnen. Sie lebte einmal in einer Mietswohnung, zwischen vier und fünf Uhr abends ging das Fenster auf, von oben kam herunter immer derselbe Satz "Kurt, ich hipp jetzt". Das ging einige Monate lang und sie war eingekeilt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Einmal kam von unten ein "Alte, dann hipp doch", dann war Schluss.

"Abstürze der Sprache schlimm"

Denis Scheck: Das Thema sei eines der größten, aber er frage sich, wie man sich den Text so vornehmen könne, indem man auf die Vergangenheit der Figur verzichte. Es wäre zwar möglich, aber dann müsste alles in der Sprache liegen. Die Abstürze der Art zu schreiben werden manchmal besonders schlimm. Der Text kommentiere sich laufend selbst. Das tue dem Text nicht gut. Er ortet in einem Satz auch hölzernes Beamtendeutsch. "So geht's nicht".

Polizeisprache der 70er Jahre

Thomas Widmer stellte die Frage, was diese Geschichte leiste. Er finde das Thema gut gewählt. Die Figur, ganz nahe am Tod, die bleibe von der Geschichte. In der Art, wie die Geschichte geschrieben sei, sagte er, alles sei entsetzlich protokollierend geschrieben. Es gebe Ansätze von Polizeisprache der 70er Jahre. Er habe vieles angestrichen, wolle aber nicht alles sagen. Es müsse auch in der Sprache etwas passieren. Wenn man die Geschichte lobe, würde man vielen Unrecht tun. "Die Geschichte finde ich unsinnlich bis zum Grauenhaften."

Pia Reinacher: "Ich bin sehr unglücklich, ich komme schnell in die Geschichte hinein und werde sofort wieder ausgespuckt". Die Einzelbeobachtungen hat man nach einer Seite über. Ein Grundfehler sei, dass man auf der zweiten Seite wisse, es geht um springen oder nicht springen. Die abgedroschenen Phrasen und Redensarten hätte man redigieren müssen. Der Text stellt nicht dar, sondern redet über das letzte Thema sehr freundlich.

Fliedl verteidigt ihre Autorin

Konstanze Fliedl meinte, der Text sei ein hohes Risiko eingegangen, das imponiere ihr. Das Quälende der Situation, das Vergehen der Zeit vor dem Moment der letzten Entscheidung sei in aller Pein bis zum Ende dargestellt. Der Text verdeutliche das Extreme an der Situation. Sie sehe die Kritik an der Sprache aber nicht. Die Darstellung erreiche eine bestimmte Choreographie, eine tänzerische Inszenierung, wie man über die Geländergrenze steigt und den Fuß auf der anderen Seite aufsetzt. Sie wundere sich, dass das nicht wahrgenommen worden sei. Die namenlose Frau bekommt am Ende einen Namen, der aber nicht genannt wird. Die Identität werde ausgespart, das sei eindrucksvoll.

"Sprachlich nicht bewältigt"

Spinnen: "Wo sie Recht hat, hat sie Recht", begann Spinnen. Es sei ein achtenswerter Versuch unternommen worden, einen Selbstmordversuch nicht aus dem vorangegangen Leben zu erklären, sondern umgekehrt. Aber es sei nicht eingelöst worden. Es gebe Sätze, über die nicht nachgedacht worden sei. Wie können Klauen mit einem Schlag ausgerissen werden? "Sprachlich nicht bewältigt".

"Man müsste die Geschichte umbauen"

Robert Schindel: "Der Text ist ein hohes Risiko eingegangen". Es sei ein Konstruktionsirrtum passiert. Die Autorin habe offenbar versucht, die inneren Zustände der Selbstmörderin eins zu eins in den Duktus der Sprache umzusetzen. Das misslinge immer in der Literatur. Man kann Langeweile nicht durch Langeweile darstellen. Er habe die Hoffnung gehabt, dass eine andere Geschichte, die einer Stadt, erzählt werden sollte. In der sich die Dinge umdrehen, die Häuser die Person anschauen, das blitzte manchmal beim Lesen auf. Aber das wurde nicht durchgehalten. Da hätte sich die Autorin, wenn sie schon auf Vergangenheit verzichtet, entscheiden müssen. Erzählt sie die Geschichte der Stadt oder der Selbstmörderin. Deshalb sei die Sache misslungen. Es gebe auch eine Fehlleistung, es heiße, "das Leben nicht zu Ende, der Tod nicht da" - das sei falsch. Es müsste heißen, "das Leben zu Ende, aber der Tod nicht da". "Man müsste die Geschichte umbauen".

Pia Reinacher: Es breche eine robuste Phantasie bei der Szene beim Fleischstand durch. Diese Stelle wolle sie nicht missen. Sie habe sich aber gefragt, warum schläfert der Text ein. Es gebe keine Tempoveränderungen, die Lautstärke sei immer gleich, das bekomme einen so langen Text ein.

Spinnen habe sich gefragt, wo sei der Punkt wo der Weg hinführe. Es schimmere eine Verrücktheit auf. Jemand nehme sich das Wochenende her für einen Selbstmord. Dann komme eine lange Zeit nichts, bis einen Absatz vor der Szene am Fleischstand. Es gebe fahle Fassaden, Autos in Form von Särgen. Da sei der Versuch aufgegeben werden, der Figur ihren eigenen Todesversuch zuzugestehen. Hier habe der Text aufgeben müssen, was er sich als Ziel gesetzt habe, nämlich ein Leben aus dem Tod zu erklären.

Schlusswort der Autorin

Die Autorin sagte als Schlusswort, "vielleicht sollte man öfters in den Wörthersee springen."

Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler


Suche in der gesamten Bachmannpreis-Site
ORF ON Kärnten  
powered by FreeFind

Kontakt:
ORF Kärnten Ingeborg-Bachmann-Preis
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29528 (Binia Salbrechter)
e-mail: bachmann.preis@orf.at

Webmaster:
ORF ON Redaktion Kärnten
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29191, 29192
e-mail: kaernten.online@orf.at


© 16.07.2002
ORF ON Kärnten Aktuell Telekom Austria