"Man
muss sich hier dem Erzähler ausliefern"
Konstanze
Fliedl sagte, sie wolle versuchen zu erklären, wie sie
angefangen habe, sich selbst in den Text hineinzuhelfen. Es
werde offenbar eine Geschichte von einer Krankheit erzählt.
Man gehe davon aus, dass ein realistischer Erzähler normalerweise
wenig Freiraum lasse. Dass man an der Hand genommen werde.
Hier müsse man sich einem Erzähler ausliefern. Ein
gewisser Widerstand ihrerseits gegen den Text sei darauf zurückzuführen,
entweder lasse sie sich mitnehmen oder nicht. Es gebe Bilder,
die sie nicht mitnehmen können. Der Text sei als Versuch
imponierend, aber es gebe einen Widerstand gegen manche Bilder.
"Ich habe mich bedrängt und
gezwungen gefühlt"
Birgit Vanderbeke bestätigte
den Eindruck. "Ich habe mich bedrängt und gezwungen
gefühlt". Der Widerstand sei gegen die simple Übersetzung
einer solchen Krankheit in die Metapher der Steine. Das liege
nicht auf der Hand, sie wehre sich dagegen. Hier finde sich
auch wieder eine Lyrisierung von Prosa, dagegen habe sie sich
schon einmal gewehrt. Die Lyrik werde dann medizinisch, das
sei für sie, dass sie dem Bild der Krankheit nicht mehr
folgen möge.
Erzähler malt mehr, als er erzählt
Thomas Widmer zu Fliedl: Der Grund
für das Bedrängt-Werden liege darin, dass der Erzähler
mehr malt als erzählt. Es gebe ein Kinderbuch "Wo
ist der Walter?" mit einer Reihe von Suchbildern und
irgendwo ist der Walter. Der Witz sei, den Walter zu suchen.
Dieser Autor mache etwas ähnliches. Er male viele Steine
und einer davon sei der Hirnstein, der Tumor. Sprachlich stimme
er Vanderbeke zu, der Witz sei etwas beschränkt, weil
es auf der einfachen Gleichung Tumor=Hirnstein beruhe. Der
Text sei nach dem Prinzip der Homöopathie gebaut. Man
suche in den natürlichen Steinen Heilung für den
Hirnstein. Das sei einleuchtend, aber auf der Seite 8 sei
das zu explizit gehalten. Der Kommentar hier sei unnötig.
"Der Rhythmus und Sound des Textes hat mir gefallen."
"Musikalischer Sound ist der Vorzug
dieses Textes"
Pia
Reinacher: Sie sei mit manchem einverstanden, was gesagt wurde.
Es sei auf ersten Blick ein lyrisierender Text über Steine,
Wasser und Feuer. Man müsse sich mitführen lassen,
sonst komme man nicht hinein. Sie finde vom Satzbau her gebe
es einen musikalischen Sound, das sei ein Vorzug des Texte,
die eigene Sprache, die Jenseits der konventionellen Sprache
liege. Unterhalb liege aber ein Vexierbild. Es gehe um einen
Mann, der einen Tumor habe und ins Spital müsse. Die
beiden Ebenen sind miteinander verklammert, das finde sie
handwerklich ausgezeichnet gelöst. Es seien blitzschnell
aufblitzende Signale, die dann verglühen. Die Verquickung
von Lyrik und Prosa ist raffiniert gewagt.
"Auch im Jahr 2002 kann ein Prosatext
lyrisch sein"
Keine
Frage dass der Text auf einem sprachlichem Niveau sei, wie
man es heuer selten in Klagenfurt gehabt habe, so Denis Scheck.
Auch im Jahr 2002 kann ein Prosatext lyrisch sein. Er habe
die Hoffnung gehabt, dass der Text ein Versuch sei, ein Buch
über Nichts zu schreiben. Dass die Steine nur eine Metapher
sind habe ihn misstrauisch gemacht. Der Text habe wunderschöne
Bilder, sei auf der Höhe der Wissenschaft. Aber die Verklammerung
scheine für ihn nicht zu gelingen. Es sei ein filmisches
Geschehen vom Herausspülen der Steine angefangen, dann
komme man zum "Einen", das habe ihm nicht gefallen.
Man kann nicht eigene Interpretationen
herauskritisieren
Robert Schindel: "Ich glaube,
man ist am Holzweg, wenn man einen Gedanken von sich in einen
Text hineinstellt und dann herauskritisiert." Hirnstein
und Stein sind nicht ident. Es ist ein Requiem, ein Mensch
sei todkrank und das Leben zieht an ihm in einer bestimmten
Weise vorbei. In dieser Frist, die ihm bleibe, denkt er an
Ewigkeiten, Zeitlosigkeiten, an Dinge, die sich langsam verändern.
Das Requiem
funktioniert fast wie in einer Fuge. "Ich behaupte, die
Steiner, die geschildert sind, sind keineswegs eine Metapher
für den Zustand des Kranken. Die Steine sind das, was
er sieht, wenn er über seine Endlichkeit nachdenkt."
Der Text gefalle ihm gut, weil er das requiemhafte, den Eigensinn
einer Weltbetrachtung an Hand eines möglichen Sterbens,
betrachte. "Ziemlich gelungen."
"Konventionell wie geistliche Musik"
Burkhard Spinnen an Schindel: "Ich
bin grundsätzlich einverstanden". Er frage sich,
warum die geistliche Musik in letzter Zeit so abgetan werde,
weil sie konventionell sei. Und das betreffe diesen Text.
Er sei nicht unkonventionell. Dieses Requiem teilt weniger
über den weg, der verabschiedet werde, sondern mehr darüber,
wovon er sich verabschiedet. Es gehe ihm beim Text wie beim
Hören von geistlicher Musik.
"Ganze Kunstform ad acta gelegt"
Denis Scheck konterte, er sei von
Spinnen erstaunt, dass er eine ganze Kunstform ad acta legen
wolle. Er wäre da vorsichtiger, denn sonst bleibe von
der Veranstaltung kaum mehr was übrig. Der Text sei eine
Zeitstudie, das könne man ja machen. Er habe ein anderes
Problem, denn er sehe sehr wohl die Metapher. Das Bewusstsein
möchte durch das Versteinern das Wegbrechen verhindern.
Vanderbeke
wies darauf hin, dass der Text fast überwiegend aus Infinitiven
zusammen gehängt sei. Das sei eine große Gefahr,
das sei ein beschränktes Mittel für Prosa.
Pia Reinacher meinte, das sei noch
nichts Schlechtes. Die Musik im Text zeige ein hohes sprachliches
Können. Zu Spinnen sagte Reinacher, man könne nicht
erwarten, dass man hier völlig neue Texte finde.
Veronika Fliedl widersprach
Robert Schindel. Der Text lege die Verbindung der Metapher
nahe, das sei nicht hineingelesen. Sie glaube, dass hier das
Problem des Textes liege. Ein Tumor wuchere nämlich -
zu Stein zerfallen Tumore nicht. Die Musikalität sei
sehr schön, sie töne schön.
Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler
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