26. Tage der deutschsprachigen Literatur

Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Tage der deutschsprachigen Literatur 2002 - die aktuellen Informationen

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Raphael Urweider

"Man muss sich hier dem Erzähler ausliefern"

Konstanze Fliedl sagte, sie wolle versuchen zu erklären, wie sie angefangen habe, sich selbst in den Text hineinzuhelfen. Es werde offenbar eine Geschichte von einer Krankheit erzählt. Man gehe davon aus, dass ein realistischer Erzähler normalerweise wenig Freiraum lasse. Dass man an der Hand genommen werde. Hier müsse man sich einem Erzähler ausliefern. Ein gewisser Widerstand ihrerseits gegen den Text sei darauf zurückzuführen, entweder lasse sie sich mitnehmen oder nicht. Es gebe Bilder, die sie nicht mitnehmen können. Der Text sei als Versuch imponierend, aber es gebe einen Widerstand gegen manche Bilder.

"Ich habe mich bedrängt und gezwungen gefühlt"

Birgit Vanderbeke bestätigte den Eindruck. "Ich habe mich bedrängt und gezwungen gefühlt". Der Widerstand sei gegen die simple Übersetzung einer solchen Krankheit in die Metapher der Steine. Das liege nicht auf der Hand, sie wehre sich dagegen. Hier finde sich auch wieder eine Lyrisierung von Prosa, dagegen habe sie sich schon einmal gewehrt. Die Lyrik werde dann medizinisch, das sei für sie, dass sie dem Bild der Krankheit nicht mehr folgen möge.

Erzähler malt mehr, als er erzählt

Thomas Widmer zu Fliedl: Der Grund für das Bedrängt-Werden liege darin, dass der Erzähler mehr malt als erzählt. Es gebe ein Kinderbuch "Wo ist der Walter?" mit einer Reihe von Suchbildern und irgendwo ist der Walter. Der Witz sei, den Walter zu suchen. Dieser Autor mache etwas ähnliches. Er male viele Steine und einer davon sei der Hirnstein, der Tumor. Sprachlich stimme er Vanderbeke zu, der Witz sei etwas beschränkt, weil es auf der einfachen Gleichung Tumor=Hirnstein beruhe. Der Text sei nach dem Prinzip der Homöopathie gebaut. Man suche in den natürlichen Steinen Heilung für den Hirnstein. Das sei einleuchtend, aber auf der Seite 8 sei das zu explizit gehalten. Der Kommentar hier sei unnötig. "Der Rhythmus und Sound des Textes hat mir gefallen."

"Musikalischer Sound ist der Vorzug dieses Textes"

Pia Reinacher: Sie sei mit manchem einverstanden, was gesagt wurde. Es sei auf ersten Blick ein lyrisierender Text über Steine, Wasser und Feuer. Man müsse sich mitführen lassen, sonst komme man nicht hinein. Sie finde vom Satzbau her gebe es einen musikalischen Sound, das sei ein Vorzug des Texte, die eigene Sprache, die Jenseits der konventionellen Sprache liege. Unterhalb liege aber ein Vexierbild. Es gehe um einen Mann, der einen Tumor habe und ins Spital müsse. Die beiden Ebenen sind miteinander verklammert, das finde sie handwerklich ausgezeichnet gelöst. Es seien blitzschnell aufblitzende Signale, die dann verglühen. Die Verquickung von Lyrik und Prosa ist raffiniert gewagt.

"Auch im Jahr 2002 kann ein Prosatext lyrisch sein"

Keine Frage dass der Text auf einem sprachlichem Niveau sei, wie man es heuer selten in Klagenfurt gehabt habe, so Denis Scheck. Auch im Jahr 2002 kann ein Prosatext lyrisch sein. Er habe die Hoffnung gehabt, dass der Text ein Versuch sei, ein Buch über Nichts zu schreiben. Dass die Steine nur eine Metapher sind habe ihn misstrauisch gemacht. Der Text habe wunderschöne Bilder, sei auf der Höhe der Wissenschaft. Aber die Verklammerung scheine für ihn nicht zu gelingen. Es sei ein filmisches Geschehen vom Herausspülen der Steine angefangen, dann komme man zum "Einen", das habe ihm nicht gefallen.

Man kann nicht eigene Interpretationen herauskritisieren

Robert Schindel: "Ich glaube, man ist am Holzweg, wenn man einen Gedanken von sich in einen Text hineinstellt und dann herauskritisiert." Hirnstein und Stein sind nicht ident. Es ist ein Requiem, ein Mensch sei todkrank und das Leben zieht an ihm in einer bestimmten Weise vorbei. In dieser Frist, die ihm bleibe, denkt er an Ewigkeiten, Zeitlosigkeiten, an Dinge, die sich langsam verändern. Das Requiem funktioniert fast wie in einer Fuge. "Ich behaupte, die Steiner, die geschildert sind, sind keineswegs eine Metapher für den Zustand des Kranken. Die Steine sind das, was er sieht, wenn er über seine Endlichkeit nachdenkt." Der Text gefalle ihm gut, weil er das requiemhafte, den Eigensinn einer Weltbetrachtung an Hand eines möglichen Sterbens, betrachte. "Ziemlich gelungen."

"Konventionell wie geistliche Musik"

Burkhard Spinnen an Schindel: "Ich bin grundsätzlich einverstanden". Er frage sich, warum die geistliche Musik in letzter Zeit so abgetan werde, weil sie konventionell sei. Und das betreffe diesen Text. Er sei nicht unkonventionell. Dieses Requiem teilt weniger über den weg, der verabschiedet werde, sondern mehr darüber, wovon er sich verabschiedet. Es gehe ihm beim Text wie beim Hören von geistlicher Musik.

"Ganze Kunstform ad acta gelegt"

Denis Scheck konterte, er sei von Spinnen erstaunt, dass er eine ganze Kunstform ad acta legen wolle. Er wäre da vorsichtiger, denn sonst bleibe von der Veranstaltung kaum mehr was übrig. Der Text sei eine Zeitstudie, das könne man ja machen. Er habe ein anderes Problem, denn er sehe sehr wohl die Metapher. Das Bewusstsein möchte durch das Versteinern das Wegbrechen verhindern.

Vanderbeke wies darauf hin, dass der Text fast überwiegend aus Infinitiven zusammen gehängt sei. Das sei eine große Gefahr, das sei ein beschränktes Mittel für Prosa.

Pia Reinacher meinte, das sei noch nichts Schlechtes. Die Musik im Text zeige ein hohes sprachliches Können. Zu Spinnen sagte Reinacher, man könne nicht erwarten, dass man hier völlig neue Texte finde.

Veronika Fliedl widersprach Robert Schindel. Der Text lege die Verbindung der Metapher nahe, das sei nicht hineingelesen. Sie glaube, dass hier das Problem des Textes liege. Ein Tumor wuchere nämlich - zu Stein zerfallen Tumore nicht. Die Musikalität sei sehr schön, sie töne schön.

Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler


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