Ratlosigkeit
Pia Reinacher möchte ihrer
Ratlosigkeit Ausdruck geben. "Es ist eine hübsche
Geschichte", aber beim Lesen sind ganze Absätze
weggesackt. "Die Stelle, wo das Kind vor den Spiegeln
steht, finde ich sehr schön".
Thomas Widmer: "Wir haben in
der Schweiz ein schönes Wort, "gmögig".
So finde ich die Geschichte." Die Paradoxien der deutschen
Geschichte sind offenbar immer ein Thema. Wir finden einen
Oberst, der einen Ordern bekommt, weil er sein Lebenswerk
demontiert habe. Es gibt auch witzige Pointen, die Kaskade
der Namen, aber alles gmögig - harmloser Schmunzelstoff.
"Manierlich gemacht, aber es hat nicht viel in mir bewegt."
"Eigenartige
Sicht der Schweizer"
Scheck: Ich bin verblüfft,
die Perspektive der Schweizer Kritiker ist eine Eigenartige.
Es ist eine Geschichte, wie sie gewesen hätte sein können
und vielleicht sein wird. Wer gibt ihnen die Sicherheit, dass
es ein Text über die DDR ist. Kann es sein, dass sie
einer Lesart aufsitzen, fragte er.
Thomas Widmer kontert: "Aus
Thüringer schließe ich, dass es nicht in der Schweiz
spielt..."
Flüchtiger Eindruck der Harmlosigkeit
Konstanze Fliedl: Ich finde die
Geschichte schön erzählt. Sie habe den flüchtigen
Eindruck einer Harmlosigkeit, sie sei aber dahintergekommen,
dass es Falltüren, Tricks und Haken gebe. German verwandelt
sich offenbar bei der Szene mit dem Busch. Gut gefallen habe
ihr die Korrespondenz zwischen der Verdoppelung des Ich und
der Adoleszenzerfahrung, wenn ich die Augen zumache, ist sie
verschwunden. "Ich habe noch nicht alle Hintergründigkeiten
durchschaut."
Die ganz unglaubliche Erzähllust
des Autors fiel Birgit Vanderbeke auf. Das mag sie gerne.
Es verführe aber dazu, in den Text Fransen und Gags einzustreuen.
Die Namensspielerei sei ihr unklar. Es sei auch nicht ihre
Gegenwart. Es gebe einen eigenartigen Germann Gesse, da werde
es dann albern. Die Erzähllust würde sie manchmal
zügeln.
Deutsche Texte oft bierernst
Burkhard Spinnen: Wenn man sich
dem Text nähere, müsse man erkennen, wie eine Textproduktionsmaschine
arbeitet. Wie Geschichten an bestimmen Punkten angelegt und
zusammengeführt werden. Das sei sehr schön, es sei
ein konstruierte Text, dem zu folgen manchmal leichter und
manchmal schwerer zu folgen sei. Womit deutsche Literatur
kämpfe, sei die Art, mit Komik umzugehen. Das Weltenkonstrukt
habe in Deutschland die Tendenz, bierernst zu sein. Dies sei
hier nicht der Fall. Der Mut, einen komischen aber nicht unernsthaften
Kosmos zu schaffen, möchte er anerkenne.
"Ich komme nicht in den Text hinein"
Robert Schindel: "Ich bin in
einem anderen Text, ich komme da nicht hinein". Da gebe
es einen gemütlichen Märchenton, zahm geschrieben,
ein bisschen banal. Die Funkenspritzer der Prosa überzeugen
ihn nicht ganz. Der Text habe etwas Handzahmes. Der Mechanismus
des Völkerball mit dem Schuss in den Busch gefalle ihm
gar nicht. Es gebe viele sympathische Passagen, daher tue
es ihm leid. Vielleicht habe er eine Aversion gegen Märchenton
vermutet Schindel. Er bitte daher, seinen Einwand nicht ganz
Ernst zu nehmen.
Reinacher stimmt zu: "Es geht
mir gleich, ich kann den Text nicht packen". Wenn da
Komik drin wäre, müsste es zumindest ein minimales
Schmunzeln geben, wo sei da die Komik?
Denis Scheck meinte, das Buch und
der Kopf prallen da zusammen. Seiner Meinung nach sei das
ein Text über Optik. Es gehe um Sehen, um einen Blick
wie ein Periskop in eine Welt, die anders ist als die, die
wir kennen. Die Differenzen seien keine Komik, es sei eine
Geschichte über Geschichte. Es sei aber keine Deutsche
Geschichte sondern ein "Schatz unserer Seele". Darüber,
wie es sich in einem Land in ständiger Bedrohung lebt.
Burkhard Spinnen: Das Problem mit
der Komik sei immer das, wenn man sie empirisch messen wolle.
Man solle sich auf einen Erweiterten Begriff der Komik einigen.
Der Text biete keine Entlassungsmöglichkeit aus dieser
Situation, das rechne er ihm hoch an. Humor hebe das auf,
das erlaube sich der Text nicht. Die Pointen sind andere,
als in einem Text, der Komik als Entlastung praktiziere.
Reinacher meint, das Lachen müsste
dann aber im Hals stecken bleiben, aber "es steckt nichts".
Birgit Vanderbeke sieht sehr wohl
Komik und ist auch lustig. Auf eine etwas kindliche Art lustig.
Wenn es sich um das Trümmerfeld der letzten 50 Jahre
handeln sollte, dann tue der Autor alles, um es uns nicht
merken zu lassen, wendet sie sich an Denis Scheck.
Vielleicht sei ein Schlüssel
zu seinem Problem mit dem Text, dass er nicht gut geschrieben
sei, vermutet Robert Schindel.
Scheck forderte daher eine
genauere Lektüre, denn "mir erscheint das wahnsinnig
verblasen, was wir hier machen". Er appelliere, genauer
zu lesen.
Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler
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