Misslungener Vortrag?
Der
Vortrag von Daniel Zahno verursachte eine Diskussion in der
Jury, ob misslungene Vorträge bewertet werden sollen,
oder nicht.
Zahno erzählte in seinem Text
"Deauville" die Geschichte eines Mannes, der ruhelos
auf Reisen geht, um sich über das Ende seiner Beziehung
klar zu werden. Immer wieder stößt er dabei auf
Tiere, die ihn an sein gleichzeitig in der Beziehung gefangenseinwollen
und seine Furcht vor dem endgültigen Bruch erinnern.
Texte aus dem 19. Jhd.
Kostanze Fliedl begann mit dem Hinweis,
dass man nun schon Texte wie aus dem 19. Jahrhundert gehört
habe. Hier sind drei Schneeleoparden, die wissen, dass es
kein Entkommen gibt, die sind direkte Nachkommen von Rilkes
Panther, so Fliedl, auch die drei Hummer stünden für
ein solches Bild. Sie fände aber eine selbstverliebte
und ästhetizistische Bewegung, die sie nur historisch
nennen könne.
Denis
Scheck meinte, Daniel Zahno schreibe "wie im Frack",
das sei ein Stilmittel. Er versuche mit der Eifersuchtsgeschichte,
Ironie zu erzeugen durch dieses Stilmittel. Er sei sich aber
nicht sicher, weil er den Ich-Erzähler so sehe, dass
dieser aufs Pathos schiele. Das sei reparabel. Die Hummer
gefallen ihm im Text, die Schneeleoparden gefallen ihm überhaupt
nicht
Vanderbeke stieß sich am Hummerpreis
Vanderbeke:
Zu den Hummern merkte sie an, dass die Hummer interessant
seien. Man sollte aber besser hinsehen, bevor man schreibt.
Der Hummer kostet in Deauville 80 Franc und nicht 300. Die
Gummibänder bleiben auch drauf. Die ganze Metaphorik
mit dem Greifen fällt platt, wenn man einmal einen Hummer
gekauft hat.
Die Wirklichkeit ist nicht absolut
Scheck
wandte ein, es gehe aus dem Text hervor, dass die Bänder
auch vom Verkäufer abgenommen werden, wenn der Käufer
dies verlange. Die Wirklichkeit sie nicht absolut, belehrte
er Vanderbeke.
Sie
meinte, wenn sie unliterarisch bekannte Abläufe schildere,
könne man sich nicht über die Wirklichkeit hinwegsetzen.
Man könne ihn nicht willkürlich ändern.
Thomas
Widmer weigerte sich, Vanderbeke als Expertin von Hummern
zu akzeptieren.
Zu traditionell gebaut
Reinacher
meinte, der Text sei zu traditionell gebaut. Dass der Mann
mit offenen Augen sterbe, müsse nicht genau stimmen.
Sie orte Sensibilität bei den Tierbeschreibungen, aber
es sei trotzdem "literarischer Kitsch". Eine Stelle
habe sie interessiert, wo das ödipale Dreieck in der
Wirklichkeit geschieht. Die Mutter sitzt mit dem Sohn da und
der Stiefvater stirbt. Der Held erinnert sich, dass er Rachegedanken
hegte.
Zahno kann nicht lesen
Burkhardt
Spinnen: Er habe gestern schon auf Nietzsche aufmerksam gemcht,
wonach ein Autor seine eigenen Texte nicht sprechen könne.
Er finde, Zahno lese wie ein Musiker, der ein selbst geschriebenes
Stück nicht spielen könne. Als der Strubbel kam,
wurde es unfreiwillig komisch. Das Zentralproblem am Text
liege im Vortrag. Zu Zahno: "Sie lesen etwas anderes,
als Sie mit den Sätzen auszudrücken versucht haben."
Thomas
Widmer hat sich nicht am Vortrag gestört. Dass die Tiere
in die falsche Welt geraten sind, sei für ihn der Schüssel.
Man sehe den Mann mit einer Hummerschachtel allein über
den Strand schlendern, rundherum sind Badegäste des 21.
Jahrhunderts. Wegen der Ungleichzeiten müsse man grinsen
beim Lesen. Der Strubbel ist ein Mittelstandstier des 20.
Jahrhunderts, die zusammenstoßenden Sachen finde er
"lustig".
Reinacher
finde zu wenig Ironiesignale. Sie müssten stärker
gesetzt sein. Widmer sieht dagegen sehr viele Signale.
Spinnen
meinte, wenn das Ironiesignale seien, sei der Text vom zweiten
Wort an verloren. "Sie können doch nicht mit einem
solchen Pathos in der Stimme einen Text lesen, an dem kein
Wort mehr Anker ist."
"Wir wollen nicht den Autor beurteilen"
Robert
Schindel stimmte Spinnen beim Vortrag vor, aber er wolle nicht
den Autor beurteilen. Man müsse vom Vortrag absehen,
wenn man den Text vor sich habe. Der Text habe den Reiz, dass
große Sprünge im Geschehen immer mit gleicher Geschwindigkeit
erzählt werden. Der Text fresse Augenblicke wie Monate
in gleicher Weise, darin liege ein gewisser Reiz. Das rette
ihn aber nicht, weil er geheimnislos sei. Bei einem Text,
der so überfrachtet sei, ebnet der Text solche Abgründe
zu. Der Autor erklärt den Text dauernd. Mit Parabeln
und ein paar Sprüngen, die dem Leser erlauben, selbst
etwas zusammenzusetzen, könnte er gewinnen. Er habe eine
lamoyante Stelle, die nicht dazupasse, sei der Selbstmord
am Schluss.
Konstanze
Fliedl: Für sie zeigt Literatur wirkliche Dinge anders.
Wenn die Wirklichkeit zu Bildern gebaut sei, dass sie ein
nazistisches Zentrum beleuchten, dann erfahre ich nichts Neues
durch den Text.
Literatur zeigt, wie Dinge sein könnten
Denis
Scheck konterte, Literatur sei auch dafür da, zu zeigen,
wie die Dinge sein könnten. Er erinnerte, dass man nicht
den Vortrag beurteilen solle, sonst bewerte man nicht mehr
die Texte sondern Personen und Auftritte. Dennoch stütze
der Vortrag seine These, denn er habe ihn als ironisch verstanden.
Spinnen
sagte, er wolle keine Vorträge beurteilen, aber Texte
die man lese, klingen auch im Kopf. Es gebe keine nur gedruckten
Texte. "Ich habe hier die Selbstinterpretation eines
Textes durch einen Autor, hinzugezogen, um meine eigene Interpretationsleistung
abzusichern."
Vanderbeke lektoriert
Vanderbeke ging auf handwerkliche
Kleinigkeiten ein. Sie störte sich an einem "aber"
in einem Satz. Eine Formulierung nannte sie "entsetzlich
ungeschickt".
Redaktion: Petra Haas, Dolores Hibler
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