Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Die Zeit
05. Februar 2002
Unheimliche Welt

Julia Schochs Erzählungen verbinden Kunst und Wahn

von Jens Jessen

Was will Julia Schoch? Das ist nicht leicht zu sagen. Es ist aber etwas Unheimliches; nur dass dieses Unheimliche ohne die Mittel der Phantastik arbeitet. Ihre Erzählungen spielen nicht im Nirgendwo der poetischen Erfindung. Sie lassen sich sehr wohl in Rumänien oder einer ostdeutschen Wohnsiedlung lokalisieren. Trotzdem haftet ihnen etwas Unwirkliches an; oder vielmehr führen sie aus einer präzise geschilderten Wirklichkeit mit dem wirklichen Schilf der Donaumündung, dem wirklichen Milieu eines Bukarester Mietshauses oder Berliner Plattenbaus schnell hinaus in ein unwirkliches Zwischenreich, in dem sich, wer weiß, das Geheimnis der Existenz entbirgt.

Vielleicht ist Julia Schoch, 1974 in der DDR geboren, eine Metaphysikerin, die sich noch einmal an der Rätselpoetik der klassischen Kurzgeschichte versuchen will. Sie meidet den sachte banalen, ironisch alltäglichen Erzählton ihrer Generationsgenossen im Westen; und das für sich ist schon erstaunlich genug. Sie sucht den hohen Ton der hohen Literatur, aber nicht im rhetorischen Pathos. Der hohe Ton der Julia Schoch ist vielmehr der gespenstische Sinuston, der von kranken Neonröhren ausgeht, von Schwerkranken gehört wird oder auch von Kindern, die in großer Stille sich selbst und ihrer Fantasie überlassen bleiben.

Die Erzählungen atmen den bösen Geist einer ewigen Mittagsruhe, in der die Erwachsenen schlafen und die Kinder, die nicht stören dürfen, sich in Gespensterbildern verlieren oder zu den gefährlichen Abenteuern der absoluten Langeweile aufbrechen. Mit einem Mord beispielsweise endet die Geschichte einer jugendlichen Leistungsruderin, die den Achter ihrer Kameradinnen mithilfe des Nebels und eines Lastkahns versenkt. So spektakulär schließen andere Geschichte nicht, führen aber auch in einen Nebel hinaus (dem Wattegefühl hohen Fiebers verwandt), in dem alles möglich oder unmöglich, jedenfalls gleichgültig ist. Wo die Erzählungen enden, könnte stets das Leben enden. Die Heldinnen, wohin sie auch streben, durchbrechen die dünne Folie, die unsere plausible Alltagswelt von jenem geisteskranken Beziehungswahn scheiden, in dem alles Bedeutung trägt, aber für den Alltagsverstand unzugänglich bleibt, um welche Bedeutung genau es sich handelt.

Dieses Vage ist Gefahr und Triumph von Julia Schochs Prosa; die Vagheit, in der alle Zustände und Bedeutungen verschwimmen, ist geradezu die Pointe ihrer Kunst, vielleicht meint sie sogar: aller Kunst. Denn der Beziehungswahn ist nicht nur ein Merkmal von Schizophrenie, sondern auch ein Merkmal von Literatur, der guten zumal, in der nun einmal nichts zufällig, sondern alles miteinander verwoben ist. Das kann, anders als bei Julia Schoch, auf eine scharfe Pointe zulaufen und eine genau umrissene Botschaft haben. Aber warum alles miteinander zusammenhängt, bleibt immer das Geheimnis der Literatur. Es ist ihr ästhetisches Gesetz, das so zu wollen; denn es markiert den Unterschied zum ungestalteten Leben. Es ist die Grenze; eine weitere Bedeutung liegt nicht vor.

Genau diese Grenze durchbrechen Schochs Figuren, wenn sie aus dem Alltag mit seinen Zufällen in den Beziehungswahn der Literatur übergehen. Sie haben das Leben verlassen und sind in die Kunst eingetreten; oder aber verrückt geworden, je nachdem, wie man es sehen möchte. Diese Ununterscheidbarkeit von Kunst und Wahn ist das, worauf die Erzählungen zulaufen: Die Vagheit der Pointe ist nicht das Rätsel, sondern die Lösung.

Julia Schoch: Der Körper des Salamanders
Erzählungen; Piper Verlag, München 2001; 171 S., 15,90 €


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