Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Die Welt
15.06.2002
Homo faber beim Fernsehen

 

Norbert Krons milieugesättigte Romanparabel auf den neuen Machbarkeitswahn

Die deutsche Kulturkritik lebt. Sie schleppt sich nicht nur müd und mürb im Innerlichkeitsgewand durchs Land, und sie schwillt auch nicht notwendigerweise zornbebend, zuchtrutenschwingend zum Bocksgesang an. Man muss die Spaßgesellschaft nicht vom Elfenbeinturm herunter abkanzeln. Man kann sie auch von der Mitte der Gesellschaft her ad absurdum führen, sogar von dort, wo diese Mitte mächtig und maßlos beiträgt zur Formulierung des fragwürdigen Zeitgeists.

"Man" ist in unserem Falle Norbert Kron. Ein fast noch junger Mann, der die Welt des Fernsehens aus eigenem Berufserleben kennt, und der in seinem ersten Roman für einen Debütanten beachtlich solide, beachtlich sorgfältig seines schriftstellerischen Amtes waltet und eben nicht mit fernhin tönenden Thesen und nicht durch künstlich stimulierte Temperamentsaufwallungen unserer postmodernen Beliebigkeit sein donnerndes "Haltet ein!" entgegenschleudert, sondern, ganz bescheiden, ganz redlich und allenfalls ein bisschen überinstrumentiert, eine Geschichte erzählt.

Freilich eine Geschichte parabelhafter Natur, von einem Helden beispielhaften Charakters. Und in groben Zügen wiedergegeben, widerfährt diesem Folgendes: Michael Lindberg, Mittdreißiger und Mehrfachmillionär, hat alles, kann alles, wird alles bewältigen, was die Zukunft ihm möglicherweise an Krisen bereiten will, denn er verfügt nicht nur über eine gutgehende Produktionsfirma von Fernsehshows, über eine verständnisvolle, attraktive Freundin, über ein ansprechendes Auftreten und Aussehen, von dem er selbst dankbar den "knackigen Hintern" hervorhebt. Vor allem verfügt er über jenen Glauben, der heutzutage so viele Dreißigjährige beseelt und zu beherzten Gipfelstürmern schmiedet, was den beruflichen und privaten Erfolg angeht: den Glauben an die Machbarkeit all dessen nämlich, was der Mensch ersinnt und erstrebt.

"Alles eine Frage der Selbst-einstellung", lautet der Kernsatz dieses Glaubens, den herabgesunkenes Psychologiegut weichgespült hat, der in vielen "Führungsseminaren" getestet und in noch viel mehr "Konfliktbewältigungssituationen" erhärtet wurde. "Du hältst Drucksituationen nicht stand", fragt der solchermaßen glaubensgestählte Lindberg rhetorisch. "Berufe eine Ich-Konferenz ein, setz deine Persönlichkeitsanteile an einen Tisch. So ging das Unternehmen, dem ich vorstand, an Probleme heran. Die Vertreter der einzelnen Aufgabengebiete erstatteten Bericht, vom Leistungssektor, über langfristige Karriereziele, Sicherheits- und Gesundheitsaspekte bis hin zum Spaßmoment". Ja, wenn die inneren Sektorengrenzen fein säuberlich nachgezogen, wenn Strategien entworfen und Techniken umgesetzt werden können, wenn man sich so richtig unter Kontrolle hat, das weite Land der Seele vom scheinwerferbestückten Hochsitz immer haarscharf im Blick, dann jubiliert Michael, dann ist er in seinem Element.

Bis er eines Tages mit dem Elementaren konfrontiert wird. Das Nicht-Beherrschbare bricht durch in Form einer medizinischen Diagnose, und die lautet auf unfruchtbar. Michael, dieser Meister der Lebensplanung, wird nie Kinder haben können. Das wirft ihn aus der Bahn. Und von den nun einsetzenden Versuchen, das schlingernde Ich wieder zu befestigen, es wieder, wie gewohnt, in aufrechter Siegerpose in den Sattel zu setzen, davon handelt in der Hauptsache das Buch.

Dabei erfahren wir eine Menge darüber, wie diese Leute so leben, die nach dem Motto funktionieren: nur wer gut gecoacht wird, ist gut aufgestellt. Die so schnittige Substantivierungen im Mund führen wie "die Denke" und "die Verkaufe". Die sich smilend phatte Funpillen einschmeißen und deren größte Sorge ist, am Arbeitsplatz angemessen handlebar zu sein. Solche Leute gibt es ja, wir begegnen ihnen alle Tage, und wenn wir bis jetzt geglaubt haben, sie als Clone abbuchen und vernachlässigen zu können, so erfahren wir nun durch Kron, dass sie offenbar tatsächlich über so etwas wie ein Innenleben verfügen.

Dieses gibt ihnen vor allem ein, "es" richtig zu machen, in die richtigen (Berliner, versteht sich) Kneipen zu gehen, die richtigen Designermarken zu kaufen, die richtige Musik zu hören (Abba nur im Vollrausch), und auch beim Sex die richtigen Handgriffe zu tätigen: "Diese genau abgezirkelten Lustzonen" gilt es anzuklicken, weiß Michael zum Beispiel: "Wenn du mit dem Zeigefinger daraufgingst, öffnete sich ein bestimmtes Lustprogramm." Liebe in den Zeiten der Computerspiele!

"Gewohnt, mit meiner Person wie mit einem ganz besonderen Material umzugehen", pflügt Michael durch die diversen Berliner Szenen, floatet von einer Brainstorming-Konferenz zur nächsten, immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, der eigenen virtuellen Existenz zu entrinnen, seine Sendung noch mehr in Richtung "Reality" zuzuspitzen. Dabei genügt ihm das "Format" nicht mehr, das nun schon seit sieben langen Monaten läuft und auf den Titel "Claudias Coupé" hört. Sein Ziel ist, den bekannten Kunstdieb DuChenier für die neu entwickelte Show "Talk der Täter" zu gewinnen, in der Verbrecher freimütig über ihre Aktionen sprechen sollen.

Ganz ausdrücklich will Michael mit seinem Stab das Fernsehen zur "amoralischen Anstalt" machen, denn so viel Gesellschaftskritik und aufgeklärtes Bewusstsein hat sich schließlich auch in diese standardisierten Gehirne eingeschlichen, die ja täglich mit Harald Schmidt gewaschen werden, dass Fernsehen nur beschreibt, "was um uns herum ist" an Schwachsinn und Korruption. Und natürlich fehlt auch nicht der obligate Selbsthass dieser Branche, den Michaels Mitarbeiter Reider auf die Formel bringt: "Im Grunde mache ich den Job seit Jahren nur noch, um aus ihm aussteigen zu können."

Etwas Ähnliches scheint auch Michael vorzuschweben, denn der Zeugungsunfähige, der sich in seinem manichäischen Weltbild nur noch vor die Alternative zeugen oder zerstören gestellt sieht, plant am Ende den ganz großen Coup seiner ohnehin schon enorm erfolgreichen neuen Show: ein echtes Attentat als Höhepunkt im "Talk der Täter", was man nach Erfurt nicht ohne Schaudern liest, auch wenn dem Leser hier das Äußerste erspart bleibt.

Überhaupt liegen die Qualitäten dieses anspruchsvollen, mitunter medientheoretisch und lebensphilosophisch arg hochgerüsteten Debüts in den Partien, wo es Sittenbild und Verhaltensstudie bietet. Da kann man viel lernen über die Mentalität derer, die heute Trendsetter sein wollen. Kron liefert mit seiner Entzauberungsgeschichte die deutsche Antwort auf Frédéric Beigbeder, der mit seinen "39,90" etwas Ähnliches für die Werbebranche versucht hatte, und er liefert, nach altem deutschem Brauch, die vergrübeltere, verzweifeltere Version. Verführerisch, auch sprachlich verführerisch ist das Buch nicht. Man spürt, hier hat es sich jemand schwer gemacht. Aber das wirkt im Zeitalter der flott geschriebenen Nichtigkeiten geradezu erholsam und ist im Übrigen aller Ehren wert.

Norbert Kron: Autopilot. Hanser, München. 260 S., 17,90 E.

Channel: Literarische Welt, Ressort: Buch der Woche, Erscheinungsdatum: 15. 06. 2002

Von Tilman Krause


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