Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Die Welt
07.08.2002

Hula-Hoop im Kopf

Berliner Schriftsteller entdecken die Stadt (I): Mit Hilfe der außerirdischen, grünen Trachtengruppe sicher in die Federn

Von Thomas Kapielski

Egal ob per pedes, mit Bus, Roller, Auto oder Fahrrad, in der Hauptstadt gibt es viel Skurriles, aber auch Alltägliches zu entdecken. Berliner Schriftsteller haben es für die WELT aufgeschrieben. In loser Reihenfolge werden wir hier ihre Geschichten vorstellen.

Während draußen unablässig Regen strömte, hatten wir drinnen, Oranienstraße, in Butzmanns Tonstudio, zwei famose Schlager geschmiedet. An einem Regentag! Dann schlurften wir durch den Dauerschauer zum Türken am Görlitzer Bahnhof und nahmen gefüllte Paprikaschoten ein. Anschließend etwas refraktäre Stimmung. Ihretwegen Mokka. So. Dann galoppierten wir zurück durch den Regen und teilten uns.

Butzmann ging wieder rauf, komponieren, und ich schaffte es mit dem Rad noch halbtrocken bis in Walters "Weißen Elefanten" am Heinrichplatz. Dort traf ich beim Unterstellen auf Verleger Bernd Kramer vom "Karin Kramer Verlag". (Nach dem ersten Offenbarungseid werden die kleinen Verlage immer auf die Frauen umgeschrieben und schmücken sich sodann mit Frauennamen.) Kramer ist mütterlicherseits Kaschube, väterlicherseits Kaschemme und mein bester Freund! "Gott grüß Euch, Alter! Schmeckt das Pfeifchen?"

Er raucht stark und sieht aus wie ein Bakunin-Wiedergänger. Und dort, Chez Walter, traf ich auch auf andere gute Menschen, die sich wegen des Schauderwetters einen genehmigen mussten und wegen desselben auch feststeckten. Schließlich reichte es aber. Wir nutzten eine leichte Nachlässigkeit beim Dauerschütten, eilten hinaus und teilten uns wieder. Kramer und die anderen netten Menschen liefen nach Hause und ich erst auch, aber dann verstärkte sich der Regen auf der Oranienstraße, und ich befand mich zufällig zu Rade vor der Galerie Endart, wo ich mich umgehend unterstellte. Herr Theuerkauf erledigte dort geschickt verschiedenste Kunsthandlungen und es gab generös Flaschenbier. Vorn hing was von Stu Mead, ein gekonnt ins Obszöne verrutschter Spitzwegwidergänger. (Blasphemica und Humores). Um Nachschub musste man hin und wieder ums Eck zu einem Türken laufen und trocknete dann jeweils bis zum nächsten Sechserpack am Öfchen der garstigen Galerie.

Darüber vergingen auch wieder etliche halbe Stunden. Auf einmal sprangen alle jubelplötzlich hoch! Es hatten sich im Laufe des Nachmittags und frühen Abends noch zahlreiche Andere hier untergestellt, und nun hieß es: "Wir gehen jetzt alle rüber ins Künstlerhaus Bethanien zur Ausstellungseröffnung!" Wo man sich auch sicher war, dass es Freibier geben würde! "Au ja!" Wir schwankten los, zu Fuß, zu Rad und zu Wasser. Zum fünften Male durchnässt, stellte ich mich unter die Eröffnungsgäste, trank Bier und herzte die Altzeichnerin Tippel aufs Grausamste. Man wurde jetzt schon enthemmt! Die Regentristesse war sowieso fortgespült. Dann sprach endlich von ganz tief in mir ein Gewissensrest: "Mein Lieber, jetzt reicht's aber ganz wirklich!" Und ich gab zu: "Du hast recht!" Da setzte mein Gewissen noch eins drauf und behauptete, jegliche Widersprüchlichkeit ins Innerharmonische aufhebend: "Wir haben immer recht!" Ich dachte, wenn das so ist, dann gehe ich nun nach Hause. Und wir gingen nach Hause! Draußen regnete es, was mir jetzt erst sehr überraschend vorkam und andererseits völlig egal war.

Ich nahm Anlauf und besprang mein treues Damenrad und machte in hübschen Schleifen Schussfahrt rechts hinunter in den Waldemarweg oder wie die scheiß Straße hieß. Dort stand gleich um die Ecke ein grünes Mercedes-Lieferauto mit grün gekleideten Menschen davor. Vor Schreck fiel ich etwas um und beabsichtigte zu flüchten. Die grünen Männer aber befahlen mir, das Rad an eine Wand zu stellen und mit ins grüne Lieferauto zu steigen. Drinnen saßen noch mehr Grüne, eine junge außerirdische Trachtengruppe? Bis es mir dämmerte. Ach du lieber Gott! Eine Regenwanne, an diesen Ort postiert, um den Schlaf der Polis zu hüten. Ich sammelte mich vor Schreck noch mal gründlich und hub eine historisch bedeutsame Ausrede an: "Verehrte Mitbürger in Uniform! Mein Vater war bei der Polizei, meine Mutter war bei der Polizei, und ich war auch bei der Ausstellungseröffnung im Künstlerhaus Potemkin. Wegen Regen! Und die Künstler haben mich betrunken gemacht. Ich will später auch mal zur Polizei, aber erst mal lieber nach Hause, bitte." Sie waren sehr freundlich und fragten mit Interesse, wer und was denn ausgestellt worden sei? "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht." Alle schauten mich mitleidig an. Und erkannten in mir einen gutmütigen Menschen und ließen mich laufen, aber nur, wenn ich schieben würde.

Ich schob ein gutes Stück und machte das Gelübde, mich bei der Polizei wegen des guten Benehmens und der Freundlichkeit der Einsatzgruppe Waldemar hilflosen, betrunkenen und nass gewordenen Personen gegenüber zu bedanken, wenn nicht gar zu bewerben. Und ließ es dann besser bleiben. Hatte den Vorfall am nächsten Tag sowieso vergessen. Und wieso ich heute noch alles weiß, weiß ich auch nicht. Danke!

Thomas Kapielski, Jahrgang 1951, veröffentlichte unter anderem den Roman "Aqua Botulus" (1992), zwei "Gottesbeweise" (1998/99) sowie die Studie "Sozialmanierismus. Je dickens destojewski". Er wurde mit dem Ben-Witter-Preis und dem Sprengel-Preis für Bildende Kunst ausgezeichnet. Der gebürtige Berliner begann seine Laufbahn als Musiker, Objektkünstler, Journalist, Fotograf und Vortragsreisender. Mit seiner Attacke auf den Kulturbetrieb, "Baden Baden", erregte Kapielski 1999 beim Bachmann-Wettbewerb große Aufmerksamkeit




 


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