Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt |
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Die Welt | |||
30.06.2002 | |||
Drei Tage zähe, trostlose Lesungs-Arbeit | |||
Ein Österreicher, der in Berlin lebende Grazer Peter Glaser, ist Gewinner des diesjährigen Bachmann-Preises. Als am Sonntag, just an Glasers 45. Geburtstag, die Jury ihre Entscheidung verkündete, ging seine "Erzählung von Nichts" in Führung, vor Annette Pehnt, mit deren Sieg man eher gerechnet hatte. Ihr Text, "Insel vierunddreißig", war in drei Tagen zäher, trostloser Lesungs-Arbeit der einzige gewesen, der alle Jury-Mitglieder gleichermaßen zu entzücken vermochte. Ob nun aber Glaser oder Pehnt, die schließlich den mit 10.000 Euro dotierten Preis der Jury gewann: In beiden Fällen lässt die Entscheidung Rückschlüsse zu auf die Ursache der katastrophalen Qualität der 26. Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur. Weder Glaser noch Annette Pehnt nämlich sprengten den engen Rahmen inhaltlicher wie formaler Wohlanständigkeit, den sich die Juroren selbst gesteckt hatten. Bei Glaser wie bei Pehnt berichten - wie in 80 Prozent aller gelesenen Texte - liebenswerte Ich-Erzähler aus der kleinen Welt ihrer Sehnsüchte. Für Glaser habe man sich, so ein Juror in seiner Begründung, entschieden aufgrund der "Welthaltigkeit" seines Textes, mit der er einer Forderung nachkam, die der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher in seiner Eingangsrede gestellt hatte. Sie liegt in Glasers Text im raum-zeitlichen Setting der Erzählung: Seine "Geschichte von Nichts" handelt in zart-melancholischer Weise vom Zerbrechen einer Liebe in den Tagen rund um den 11. September und spielt abwechselnd in Kairo, Athen und Hamburg. Bei allem Wohlwollen trägt sein Sieg jedoch den schalen Geschmack des Kompromisses nach einem Wettbewerb, in dem kein Text nur ansatzweise formale oder inhaltliche Wagnisse einging. Die Erzählungen unterschieden sich wie einzelne Modelle im großen Ganzen einer literarischen IKEA-Möblierung. Den Rahmen der brav-biederen, massenkompatiblen Konfektionsware sprengten sie nicht. Beklemmend mutete zudem die Unfähigkeit nahezu aller Autoren an, der zum einzigen Inhalt erkorenen Privatheit einen neuen, eigenen Ton abzugewinnen. Form, Metaphern, Dramaturgie gemahnten an literarische oder cineastische Vorbilder, denen zu entkommen nur den wenigsten gelang: etwa Mirko Bonné, dem 36-jährigen Autor, dessen Romane "Der junge Fordt" und "Ein langsamer Sturz" in den vergangenen Jahren bei DuMont erschienen sind. Bonné bot das verblüffend dichte Porträt eines inhaltsleeren Lebens, das in seiner Erzählung "Auszeit" allein in der Spiegelung durch die Erkrankung der Zwillingsschwester in Erscheinung tritt. Deren Krankheit, die die Familie im Pflegedienst eint, ist des Bruders Glück im Angesicht der Erstorbenheit des eigenen Lebens. Bonné erhielt den mit 8500 Euro dotierten Ernst-Willner-Preis der Verlage. Die eigentliche Überraschung des diesjährigen Wettbewerbs aber stellte der Text der erst 22-jährigen Melanie Arns dar. Auch "Heul doch!", ein Romananfang, siedelte in bedrückender familiärer Enge, kontrastierte jedoch eine kurzatmige, aufreizend freche Prosa von beißender Komik und präzisester Beobachtungsgabe mit dem knapp skizzierten Abgrund bodenloser Existenznot einer Halbwüchsigen, die sich dem sexuellen Missbrauch durch ihren Vater ausgeliefert sieht. Arns' Text war der einzige, der noch existentielle Wucht darbot - über die Veröffentlichung ihres Romans steht sie derzeit mit S. Fischer in Verhandlung. In Klagenfurt ging Arns leer aus. Den letzten zu vergebenden Preis der Jury, den 3sat-Preis, erhielt der junge Schweizer Lyriker Raphael Urweider. Angesichts des offensichtlichen Desinteresses der überwiegend altgedienten Jury (bestehend aus den Autoren Robert Schindel, Birgit Vanderbeke, den Journalisten Denis Scheck, Thomas Widmer und - einzig neues Gesicht in diesem Jahr - Pia Reinacher, sowie der Germanistin Konstanze Fliedl) an der Entdeckung neuer Autoren stellt sich nach diesen tristen Tagen wieder einmal die Frage, ob nicht in Hinkunft eine zeitliche Begrenzung der Jury-Mitgliedschaft auf zwei Jahre sinnvoll wäre, bevor, wie etwa im Fall des Deutschlandfunk-Redakteurs Denis Scheck. sich anfängliches Engagement in satte Überheblichkeit wandelt. Die überraschende Entscheidung des Publikums, das den erstmals (via Internet) verliehenen Publikumspreis dem jungen österreichischen Lyriker Christoph W. Bauer und seiner hochstilisierten Erzählung "Auf. Stummen" zuerkannte, jedenfalls verriet eines: es existiert durchaus ein Interesse an sprachlicher Virtuosität. |
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Von Cornelia Niedermeier |
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