Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt
Frankfurter Rundschau 25.3.2002 Diesmal roch es nach Fisch Auf der Leipziger Buchmesse: Preise für alle und jeden Von Marius Meller Ein Buchmensch geht hier zu Lande nur dreimal im Jahr außer Haus. Im Frühling fährt er nach Leipzig, zur Sommersonnenwende nach Klagenfurt (und überschreitet dabei ausnahmsweise eine Landesgrenze) und zu Erntedank nach Frankfurt. Diese drei kardinalen Perioden dienen verschiedenen Zwecken. In Klagenfurt lauscht der Buchmensch der Blüte der schreibenden Jugend, in Frankfurt macht er Geschäfte und in Leipzig - ja, und was macht er in Leipzig? Im Grunde feiert er nur dort die Bücher und sich und seine Zunft. Nur in Leipzig hat es der Buchmensch nämlich schön ostig schnuckelig, er liebt seine Kuschelbuchmesse Leipzig. Und die Verlage lieben sie auch, nach der Wende anfangs zwar zaghaft (es drohte ja die Abwicklung, auf die die Westbuchmenschen in freundlicher Geste gegenüber den Ostbuchmenschen verzichteten), schließlich kontinuierlich, weil der Werbequotient aus dem Kuschelfaktor Leipzig unterm Strich sich allmählich einfach lohnte. Der Buchmensch, scheu vor jeder Veränderung, sorgte sich, als die Messe aus den schnuckeligen Gebäuden, die noch bis zum Umzug 1998 nach Ost-Ata dufteten, aus der Innenstadt an den Stadtrand zog. Aber die neuen Hallen sind so labyrinthisch konstruiert, dass sich die Buchmenschen immer noch so häufig, wie sie es sich im Grunde wünschen, über den Weg laufen. Und es blieb ja schließlich auch das kolossale, konvulsivische, fanatische Lesefest "Leipzig liest", der Rezitationsmarathon mit diesjährig wieder über 800 Veranstaltungen an den apartesten Orten; konkurrenzlos, bis seit letztem Jahr die Stadt Köln mit einer kurz vor der Buchmesse stattfindenden Parallelaktion "lit.Cologne" westmenschhaft zurückschießt. Dieses Jahr - wieder mehr Aussteller, nämlich 1957 aus 27 Ländern, wieder mehr Besucher, nämlich über 35 000 allein an den ersten beiden Tagen - drohte eine neue Gefahr: Ein Gespenst ging um in Leipzig, das Gespenst der Popularisierung. Beim durchkommerzialisierten, neu geschaffenen und undotierten "Deutschen Bücherpreis", finanziert vor allem von den Konzernen Holtzbrinck und Bertelsmann, war der Buchmensch natürlich skeptisch. Für die Nominierungen wurden einfach die Spitzen der Bestsellerlisten coupiert und eingetütet, und über den Behuf der Jury konnte keiner überzeugend aufklären (nur der "Publikumspreis" ging nach dem guten alten TED-Prinzip an die Harry Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling, die leider nicht nach Leipzig kam, weil in den Flitterwochen). Immerhin steuerte Nobelpreisträger Grass die Trophäe bei: den selbstentworfenen "Bücherbutt", einen bronzenen Arm, der einen grün patinierten Fisch hält (Grass: "Der Butt bin ich"). Alles fieberte also auf die Aufzeichnung der MDR-Fernsehgala mit dem allseits beliebten Homme de lettres Frank Elstner hin, und rund 200 Journalisten konnten auf einer Großbildleinwand bei reichlich Bier und Brötchen im Nebensaal schenkelklopfend verfolgen, wie vier Dutzend bemitleidenswerte, fleißig mitschreibende Kollegen mit 400 Prominenten aus Buchwesen, Politik und Showgeschäft im zum Studio umfunktionierten Hauptsaal des Kongresszentrums im Diskonebel der unsagbaren Peinlichkeit versanken (Zwischenschnitte auf das Gesicht des Nobelpreisträgers verrieten: Scham). Keiner konnte und wollte mehr unterscheiden, ob Nena, Nino del Angelo, Kim Fischer, ein toll-grotesker Barclay-James-Harvest-Gregorianik-Chor und das Fernsehballett nun die Bücherbutts bekamen oder ob Christa Wolf, Ulla Hahn, Per Olov Enquist, Juli Zeh, Dietrich Schwanitz, Günter de Bruyn, Mirjam Pressler und Alfred Biolek etwa Schnulzen tröteten und tanzten. Aber dieses Gespenst war schnell verpufft (nur fünf Prozent schalteten im MDR-Sendegebiet ihre Glotzen nicht ab), besonders wenn man sich danach bei der vorzüglichen Arno-Schmidt-Lesung im biedermeierlichen Schumann-Haus mit dem Schriftsteller Georg Klein und dem Sekretär der Arno-Schmidt-Stiftung, Bernd Rauschenbach, vom Popanz erholen konnte. Beide lasen gefällig wie Schauspieler, aber mit hermeneutischem Tiefenklang. In einer Podiumsdiskussion durfte anschließend jeder einfach mal sagen, was er an Schmidts Steinernem Herz schön findet. Und dass hier kluge Köpfe an ein gutes Buch stießen und es ein geistreiches, fein ziseliertes Perkussionsstückchen war. Zunächst der heimliche, dann mit der Preisverleihung des (seriösen) "Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung" am Sonntag auch öffentliche Star der Buchmesse war der sympathisch-ironische serbische Prosaist und Lyriker Bora Cosic (Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution - den Anerkennungspreis erhielt der tschechische Autor und Übersetzer Ludvik Kundera). Im Gohliser Rokoko-Schlösschen, das mitten in der Stadt zwischen Gründerzeit-Mietshäusern tapfer und frisch renoviert ausharrt (dort las schon Schiller tabakschnupfend Balladen vor), rezitierte Cosic aus seinem Lyrikband Die Toten mit unkitschig-sentimentalischen Berlin-Vignetten (der Autor, geboren 1932, lebt jetzt freiwillig in Berlin, nachdem er 1992 ins Exil gehen musste). Nach der Lesung fragte ihn ein Zuhörer, was er denn vom Rummel um den Deutschen Bücherpreis halte, worauf Cosic nachfragte: "Sie meinen den Fisch?", und dann antwortete: "Ich gehe nicht fischen!" Zwei weitere wichtige Preise wurden verliehen (überhaupt hat sich die Leipziger Buchmesse - negativ und positiv - zu einer Art Preisverleihungsmesse entwickelt): Der neue "Preis der Literaturhäuser", mit dem Schriftsteller ausgezeichnet werden, die durch besondere Performance-Qualitäten hervorstechen, ging an Ulrike Draesner und der "Kurt Wolff-Preis für Kleinverlage" an den Augsburger Maro-Verlag. Der sympathische Altachtundsechziger Benno Käsmayer betreibt seit 1970 ein feines Verlagsprogramm mit Erlesenem aus Beat-Literatur, der großartigen Gilbert-Sorrentino-Ausgabe (mit dem hochgerühmten Roman Mulligan Stew), aber auch mit Autoren wie der göttlichen La Loca und dem hoffnungsvollen Falko Henning. Der Projektförderpreis ging an den Peter Kirchheim Verlag für die bald vollendete Giuseppe-Ungaretti-Gesamtausgabe. Der Präsident des Börsenvereins, beim Butt-Spektakel omnipräsent mit rotem Schal, roter Fliege und roten Bäckchen, blieb fern und schickte nicht einmal einen Vertreter. In dem an sich erfreulich überbordenden Leseprogramm ging der Südosteuropa-Schwerpunkt der Messe (bis auf die Bora-Cosic-Highlights) leider etwas unter, obwohl Autoren wie Slavenka Drakulic, Dragan Velikic, Dzevad Karahasan und Johann Lippet angereist waren - womöglich auch eine Folge des verunglückten Butt-Hypes. Litauen, der Messeschwerpunkt der Frankfurter Herbstmesse 2002, und Russland (Messeschwerpunkt 2003) hatten in Leipzig schon einen bescheidenen Probelauf. Gegen die noch unprofessionelle Vor-Präsentation der Litauer behaupteten sich die Russen lustig, aber wenig seriös mit mühsam verschmitzten Putin-im-Judoanzug-Postern und Putin-Masken. Die Leipziger Messe wird den Kommerzialisierungsdrall verkraften, wie sie den Umzug in die neuen Hallen verkraftet hat. Dass es mit dem Bücherpreis nicht so weitergeht, hat auch Günter Grass bereits zugegeben. Vielleicht sollte man für nächstes Jahr den Trash-Effekt noch verstärken, etwa mit Thomas Gottschalk als Moderator, mit Heino, dem Naabtal-Duo und den wiederbelebten Fischer-Chören. Denn im Grunde war die Deutsche Bücher-Preis-Gala das größte Kunstwerk seit der Erfindung der Fischsuppe. Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
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