Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Hamburger Abendblatt
29. Juli 2002

Langsamer Brüter
Geburtstag: Der Autor Sten Nadolny wird heute 60 Jahre alt.

Hamburg - Sten Nadolny war 38 Jahre alt, und er hatte die Nacht nicht geschlafen. Vor Aufregung. Er sollte in Klagenfurt das Kapitel "Kopenhagen 1801" vortragen, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1980. In der Jury saßen Marcel Reich-Ranicki, Walter Jens und neun weitere, die was galten im Literaturbetrieb.

Nadolny wurde zum großen Gewinner: Er kam, er las, er siegte - mehr noch: Er teilte das Preisgeld mit seinen Konkurrenten, weil er fand, dass das Brimborium, der Medienrummel und die Kommerzialisierung nicht mehr allzu viel mit Literaturvermittlung zu tun hätten. So erhielt er selbst zwar nur 500 statt 14 000 Mark. Doch sein Auftritt war so spektakulär wie das erst 1983 erschienene Buch, dessen fünftes Kapitel er in Klagenfurt gelesen hatte. Nadolny wurde mit seinem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit" zum international anerkannten Autor.

Das Buch beschreibt die Suche des englischen Seefahrers und Forschers John Franklin (1786-1847) nach der Nordwestpassage. Nadolny machte aus Franklins Biografie den Gegenentwurf zu einer hektischen Zeit, ein Lob der Langsamkeit als menschliche Qualität, das Porträt eines Mannes, dem nichts zugetraut wurde und der doch Großes leistete. "Ich möchte erzählen, dass aus einem Nichtschwimmer ein Schwimmer werden kann, und wie das aussieht", sagte Nadolny. In gewisser Weise beleuchtet das auch seinen Lebenslauf. Der Sohn schreibender Eltern - Mutter Isabella verfasste heitere Familiengeschichten, Vater Burkhard Romane, Hör- und Fernsehspiele - war in den 70er-Jahren zunächst Taxifahrer, wurde Geschichtslehrer, Vollzugshelfer im Gefängnis, promovierte über Abrüstungsverhandlungen, landete als Aufnahmeleiter beim Film und schrieb ein Drehbuch.

Das wurde zwar nie verfilmt, er verwendete es aber als Basis für seinen ersten Roman: "Netzkarte" (1981). Eine Art Easy-Rider-Epos per Bahn durch die Bundesrepublik. Drängen ließ er sich nicht. Er drehte lieber noch einen "Tatort", ehe er sich weiter an den Franklin machte. "Johns Augen und Ohren", beginnt das fünfte Kapitel des Romans, "halten jeden Eindruck eigentümlich lange fest. Seine scheinbare Begriffsstutzigkeit und Trägheit ist nichts anderes als eine übergroße Sorgfalt des Gehirns . . ."

Nadolnys eigene Entdeckung der Langsamkeit führte dazu, dass er fünf Seiten pro Tag schrieb, von denen zwei als Essenz blieben. So dauerte es, bis weitere Bücher folgten: "Selim oder die Gabe der Rede" (1990), "Ein Gott der Frechheit"(1994) und "Er oder ich" (1999). Die Kritik, die nach der "Langsamkeit" hohe Erwartungen hatte, war über die Folgewerke uneins. Es gab Verrisse, aber auch Lob für die feine Ironie, Erzählkunst und Nadolnys Fähigkeit, Charaktere zu zeichnen. Diverse Preise würdigen das - und nicht zuletzt die Tatsache, dass der Titel seines größten Erfolgs längst zur Redewendung geworden ist.

Von Alexandra zu Knyphausen


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