Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Kölner Stadt Anzeiger
01.07.2002

Klagenfurter Theater
Der Bachmann-Preis darf noch immer als Nagelprobe nicht nur für die zum Wettbewerb eingeladenen Autoren und Kritiker gelten, er liefert Jahr für Jahr einen live im Fernsehen mitverfolgbaren Zustandsbericht der Literatur in drei deutschsprachigen Ländern oder Landesteilen. Und noch immer steht in Klagenfurt der Text im Vordergrund. Außerdem macht Klagenfurt noch immer miterlebbar, wie es ums Verhältnis von Literatur und Literaturbetrieb bestellt ist.

Einmal im Jahr überprüft sich die Literatur in Klagenfurt selbst: Mensch und Schreiben, welche Folgen hat das für die Beteiligten? Vor sieben Jahren war ich zum ersten Mal während des Wettbewerbs in Klagenfurt, damals eine Stippvisite auf dem Weg nach Istrien. Diesmal flog ich als Wettbewerbsautor ein. Ich hatte mir einiges vorgenommen. Ich wollte mit meiner Erzählung „Auszeit“ eine kritische Situation herbeiführen, eine Diskussion unter den Juroren, die nicht dem Text, sondern dem, worum es mir im Text geht, zu Aufmerksamkeit verhelfen würde. Und ich wollte Klagenfurt kennen lernen, die Kindheits- und Jugendstadt Ingeborg Bachmanns, die zwei Erzählungen über diese seltsam verschlafene, wie zu spät gekommene Stadt geschrieben hat.

Der Bachmann-Preis ist auch für die Klagenfurter ein Ereignis. Alle scheinen „Malina“ und „Simultan“ gelesen zu haben oder den „Mann ohne Eigenschaften“ des anderen großen Klagenfurter Dichters, Robert Musil. Es hatte seinerzeit durchaus Überlegungen gegeben, den aus der Taufe gehobenen Wettbewerb um die neue deutschsprachige Literatur nach Musil zu benennen. Erst die symbolische Anknüpfung an die Tradition der Gruppe 47, vorangetrieben von Marcel Reich-Ranicki, ließ Ingeborg Bachmann Patronin werden. Und in Klagenfurt ist das Grab Julien Greens, der sich in die Stadt verliebt hatte und hier geblieben war. Auch deshalb, weil Klagenfurt sich bereit erklärte, ihm, dem bekennenden Homosexuellen, seinen von Paris abgeschlagenen Wunsch zu erfüllen: in einer Kirche beerdigt zu werden.

Zurück zum Bachmannpreis, zurück zum ORF-Landesstudio, zu Kollegen und Kritikern. Ich unterbreche die Spurensuche, die es möglich macht, in Bachmanns Erzählung „Jugend in einer österreichischen Stadt“ hineinzugehen, und gehe stattdessen, einfach indem ich ein Stockwerk wechsele, ins Fernsehen hinein: Im Erdgeschoss des Studios liegt das Café mit Bildschirm, im ersten Stock stehen die Kameras, die filmen, was zeitgleich auf dem Bildschirm souterrain gezeigt wird. Unerreichbar, diese Nähe, diese Unmittelbarkeit im Gespräch auf der Bühne, das es zu filmen gilt.

Nachdem am ersten Tag der Lesungen und Diskussionen noch hoffnungsvoll von einer lustlosen Jury die Rede war, die sich sicherlich berappeln würde, machte sich an den Tagen darauf wachsender Unmut breit, als deutlich wurde, dass mindestens drei der vier Juroren nicht nur keine Lust zu haben schienen, über die zur Diskussion stehenden Texte und Vorträge in Austausch mit ihren Kollegen auf der Bühne zu treten, sondern, schlimmer, offenbar auch nicht (mehr) das Format besitzen, den komplexeren und kühneren Texten mit adäquater Kritik zu begegnen.

Dabei gab es so manches zu entdecken. Schade, dass kaum textübergreifend diskutiert wurde; so manche erkennbare Strömung wäre da zu Wort gekommen, etwa die sich ankündigende Verabschiedung des Single-Konsenses. Auffällig auch, wie viele Autoren sich mit dem Thema Körper, Krankheit, Siechtum befassten - aber so gut wie nirgends von Sex oder Liebe die Rede war.

Peter Glaser wurde der Ingeborg-Bachmann-Preis 2002 nicht zuletzt deshalb völlig zu Recht zugesprochen, weil seine „Geschichte von Nichts“ das Wagnis unternimmt, den Zustand derzeitiger Sagbarkeit zu untersuchen; ich habe seinen Text auch als Rettungsversuch verstanden. Hier kommt zur Sprache, dass es nach dem 11. September 2001 weiterzuschreiben heißt, dass Literatur alles, ausnahmslos, in Sprache fassen darf, kann und muss, um den feinsten Faden schriftlicher Überlieferung nicht abreißen zu lassen.

VON MIRKO BONNÉ


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