Die hinreißende Birgit Vanderbeke trägt gern Rot und argumentiert,
wie sie schreibt: in spröder Sinnlichkeit, detailversessen, mit ausgesuchtem
Eigensinn, nur notfalls akademisch. Das (unter anderem) lernte, wer sich
die 26. Klagenfurter Literaturtage zumutete. Zum Beispiel über 18 (!)
Stunden TV-Live-Übertragung. Dank 3sat ein Ausflug in eine Art Paralleluniversum;
zumal in Fußballzeiten.
Apropos "Ausflug". Das Treffen, das mit dem Wettbewerb um den
Ingeborg-Bachmann-Preis eine der edelsten Auszeichnungen für Autoren
im deutschsprachigen Raum rahmt, hat wirklich was von Klassenfahrt, inklusive
Oberseminar. Oder Klosterschule, allerdings ganz ohne fromme Harmoniesucht.
Logisch, wenn 16 teilweise bereits erfolgreich publizierende Schriftsteller(innen)
gegeneinander antreten, in aller Öffentlichkeit. Gleich den sieben
Juroren, die, wie Birgit Vanderbeke und Burghard Spinnen, auch als ewig
charmant dozierende Lehrkraft vomLeipziger Literaturinstitut bekannt,
oder dem wunderbaren Österreicher Robert Schindel, selbst Texte produzieren,
beziehungsweise als Redakteure und Kritiker vom Umgang mit Geschriebenem
existieren.
Das Verfahren selbst ist unspektakulär, aber hoch spannend. Jedenfalls
für Leute, die Sinn für die Überlebensübung Entschleunigung
besitzen. Spielort ist ein in mehr oder minder kühle Blautöne
getauchter Theatersaal, vorn residiert an einem Y-förmigen Tisch
die Jury. Quasi umzingelt, dort, wo sich der Weg gabelt, findet der jeweilige
Vorleser seinen Platz. Er hat eine halbe Stunde: wenig oder sehr viel,
wie man will. Jedenfalls die Frist, in der die Kandidaten den Versuch
wagen, von der Schönheit, Originalität, Sprachkraft, vom Witz
oder von der Melancholie ihrer Story zu überzeugen. Ab und an ein
Schluck Wasser, wenn die Stimme zu belegt ist, das ist alles.
Und es steht einiges auf dem Spiel. Nicht nur stolze 21 800 Euro. Vor
allem Renommee: Und mit dem Signet "Ingeborg-Bachmann-Preisträger
2002" darf sich der aus Graz stammende Großstadtromantiker
Peter Glaser seit Sonntag schmücken. Der als Internet-Journalist
bekannte Wahlberliner siegt per Stichwahl und mit seiner leise und tapfer
klagenden "Geschichte über das Nichts", die in Kairo beginnt,
Meere kreuzt, Liebe in Leerzeichen ausdrückt, Bilder für ratlose
Trauer findet. Und den 11. September wie den Nahen Osten weder auslässt,
noch mit politisch korrektem Pathos zukleistert.
Die Jury, der ansonsten einige Verzweiflung anzumerken ist - angesichts
der lähmenden Mittelmäßigkeit vieler Texte -, gerät
bei Glaser beinahe ins Jubeln. Gemessen natürlich, denn literarische
Exekution hat bei allem Verreißen und Bezweifeln, Nachfragen, Erklären
und Bestehen mit gezügelten Emotionen zu tun. Während die Autoren
bleich auf die Verkündung des penibel diskutierten Urteils warten,
geht es um Fiktion und Realität, darum, dass Literatur zeigen muss,
was sie uns sagen will, um die Kraft der Sprache, in der Poesie sich abmüht,
um die sich verändernden Menschen in einer sich verändernden
Welt - die (abgesehen von allem anderen) Gegenstand von Dichtung sind
und bleiben. Oder um die Frage, ob gute Autoren beim Schreiben auf den
Markt schielen dürfen oder Karrieredenken in poetischen Zusammenhängen
schlicht verwerflich sei. Schließlich: Warum Pop-Helden wie Benjamin
von Stuckrad-Barre eher nicht nach Klagenfurt geladen werden.
Denn auch die neben Glaser favorisierte Anette Pehnt (die dann immerhin
den Jury-Preis und 10.000 Euro heim nach Süddeutschland bringt),
bedient brav das Klischee einer ernst zu nehmenden Autorin. Ihre Fantasie
indes ist alles andere denn brav, vielmehr aufmüpfig sezierend, respektlos,
böse. Folglich auch ihr utopiefähiger Entwurf einer Insel, auf
der alles anders ist, ein Ort für begabte Kinder und einer, wo noch
Frauen über 50 blühen wie Flieder im Mai ...
Globalisierung des Geistes, also auch der Literaturen - etwas, das sich
wie ein Roter Faden durch die vier Klagenfurt-Tage zieht. Auf den Spuren
von Ingeborg Bachmann, deren Dichtung und Vita grenzenlos waren. Und im
Jahr 2002, da die 90er schon sehr von fern grüßen und die Zukunft
Alltag wird. Samt Attacken. Auch als Chance, über die nachzudenken,
zu reden lohnt. So gesehen sind 18 Fernseh-Stunden weiß Gott nicht
zu lang.
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