Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Rheinische Mekur
04.07.2002
26. BACHMANN-WETTBEWERB

Hört, hört, was flüstert der See?

Wenn die "Klagenfurter Szene" sich versammelt, ist das ein Spektakel. Die Literatur-Debütanten hoffen, die Kritiker wetzen die Messer - und der Rest geht baden.
Der erste Auftritt der Autoren ist wortlos. Mit dem Rücken zum Publikum ziehen sie die Losnummern mit ihren Leseterminen. Je einer der 16 vorgeschlagenen Autoren liest 30 Minuten lang, dann muss er schweigend am Tisch sitzen, während die Jury aus Kritikern, Germanisten und Autoren über ihn richtet. Eine einzigartige Veranstaltung.
Das Publikum hätte gern heftigere Diskussionen, für die Autoren ist es so schon schlimm genug.
- Juror Burkhard Spinnen zu Autor Daniel Zahno: Ich befürchte, Sie lesen da etwas anderes, empfinden etwas anderes, als Sie mit Ihren Sätzen auszudrücken vermögen.
- Lukas Bärfuß sitzt draußen ganz allein im Garten, er sieht nicht glücklic aus.
- Waren Sie schon am See? - Sind Sie zum ersten Mal hier? - Haben Sie gebadet?
- Nachts, ja, das ist sehr romantisch, von der kleinen Landzunge aus, neben dem "Maria Loretto", da, wo die Leiter ist.
- Der fast volle Mond stand mittig überm Tal, Nebel auf dem Wasser. Verboten kitschig sah das aus.
- Ist der Empfang beim Bürgermeister heute
Abend? - Welcher Tag ist denn heute? Ich sollte mal früher ins Bett.
- Haben Sie noch ein Fahrrad ausleihen können? - Ja, zum Glück, ohne Fahrrad macht der Bachmann-Wettbewerb ja gar keinen Sinn.
Peter Glaser, Autor: Ich schicke ihr als Kurznachricht zwei Leerzeichen. Nach einer Weile kamen drei Leerzeichen als Antwort, und
ich fand, dass sie etwas für mich übrig hatte.
Juror Thomas Widmer: Das ist der welthaltigste Text des Wettbewerbs.
- In der Globalität Ratlosigkeit mit Witz.
- Dein Tipp? - Peter Glaser oder Annette Pehnt. - Ron Winkler, Literaturkurs-Stipendiat: Ich fände es gut, wenn der Preis an einen der älteren Autoren geht.
- Der Ingeborg-Bachmann-Preis geht an Peter
Glaser, 21800 Euro. Bravo! - Richard Kämmerlings, "FAZ": Mit Peter Glasers "Geschichte
von Nichts" wurde der einzigen Erzählung, die beim ersten Hören, wie nach mehrmaligem Lesen, vorbehaltlos herausragte, der Hauptpreis
zuerkannt.
- Er hat heute Geburtstag, 45 wird er.
- Wer hat Glaser vorgeschlagen?
- Denis Scheck. - Wenn der Autor gewinnt, hat auch der Juror gewonnen.
- Sonst würde wohl auch niemand mehr in dieser Show auftreten.
- Scheck an Vanderbeke: Sie kommen immer mit der planen Wirklichkeit. Texte entwerfen eine Wirklichkeit.
- Konstanze Fliedl an Denis Scheck: Im Text kommt eine Heiligenstatue vor, die sich nicht vom Sockel stoßen lässt. Dann sagen Sie: "Das ist ein Phallussymbol, das lässt sich nicht vom Sockel stürzen." Das hätten Sie wohl gern!
- Schindel: Der Widmer montiert einen Gedanken von sich in den Text hinein und kritisiert ihn dann aus dem Text heraus.
- Fliedl an Schindel: In der gesamten deutschen Literatur steht kein einziger Baum
einfach nur rum.
- Die Autoren werden juriert, die Jury wird feuilletoniert.
Gewinnfaktor
Annette Pehnt, Autorin: Ich habe noch nie vor mich hin gestümpelt, in der Schule war ich eine der Besten, meine Eltern waren es nicht anders gewohnt, aber was nützen dir die guten Noten, sagte mein Vater, wenn kein Herzblut dabei ist.
Jurorin Birgit Vanderbeke: Sie ist der letzte Mensch auf der Suche, und alles andere liegt brach.
- Dass man sich plötzlich für die Insel
34 interessiert, die es gar nicht gibt, das ist sehr gut gelungen. -
Alle Juroren haben zu ihr "Glückwunsch" gesagt. - Ein Glück, überhaupt mal einen guten Text zu hören.
- Annette Pehnt, vorgeschlagen von Burkhard Spinnen, erhält den Preis der Jury, dotiert mit 10000 Euro. -
Hast du ihr Buch "Ich muss
los" gelesen?
- Heinke Hager, Agentin Graf &Graf: Am Ende sind es doch nur vier Autoren, über die man sich streiten kann.
- Dieses Jahr sind viele österreichische Quotenautoren dabei.
- Ja, man isst hier sehr viel. Jedes Jahr esse ich hier sehr viel. - Vanderbeke: Ich nehme vorher
immer zwei Kilo ab, weil man hier so viel isst.
- Das "Maria Loreotto"? Es hat eine Terrasse über dem See und den besten Fisch.
- Ein Kultort. Wahrscheinlich sind wir alle heimliche
Romantiker.
- Schön wie im Film, über den ganzen See können Sie sehen. Mit Alpenpanorama.
- Nur bei der Weinrechnung sind sie immer
unsauber. Da darf man nicht der Letzte sein! - Alle gehen hin, Autoren, Juroren, Lektoren, Agenten sitzen da zusammen und reden bis in die Nacht.
- Gerhard Dette, Deutscher Literaturfonds: Seit 15 Jahren komme ich hierher, da kennt man fast alle. Aber es sind auch viele junge Leute dazugekommen, das fällt schon auf.
Mirko Bonné, Autor: Fiel eine Teilphase des Veitstanzes in ihre vier Tage, saß die Mutter reglos, manchmal lächelnd wie beglückt von derlei
Lebhaftigkeit auf dem Stuhl, betrachtete ihre Tochter, die um sie her die Einrichtung zerlegte. Aber damit war das Schlimmste ausgestanden.
Scheck: Bachmann-Risiko-Vermeidungsstra- tegie. - Der Ernst-Willner-Preis mit 8500 Euro geht an Mirko Bonné. - Hat er verdient, aber umgehauen hat es mich nicht. - Umgehauen hat hier gar nichts. Helga Glantschnig, Autorin
- Widmer: In meiner Wertung find ich die Geschichte unsinnlich bis grauenhaft. -
Die Autorin erntet den blanken Hohn: Das ist ja glantschnig!
- Sind Sie schockiert? - Nein, gelangweilt. Ich verstehe nicht, warum sich die Jury so schlechte Texte aussucht.
- Viele Autoren wollen sich dem hier nicht ausliefern. Viele Verlage wollen auch nicht, dass ihre Autoren im Fernsehen so schlecht gemacht werden, wenn sie gerade ein Buch von ihnen rausbringen.
- Die Jury ist irgendwie matt. Die haben keine Lust mehr. Besorgnis
- Stimmt es, dass Spinnen aufhören will? - Das wäre schlimm. Ohne ihn wird es dann ganz lasch. - Die Vorarbeit, das Lesen der ganzen Texte, sei ihm zu viel. - Spinnen wäre gut für ein neues "Literarisches Quartett", er spricht so druckfertig, er bringt
fundierte Argumente für seine Kritik. - Und Scheck? - Scheck ist auch gut, manchmal zu bissig. Die beiden zusammen sind ideal. Die anderen
hier könnte man mal austauschen. - Na, in Klagenfurt wird doch nicht gejammert! - Wir treffen uns zum Frühstück um halb neun.
- Du bist meine Rose vom Wörthersee.
Anforderungsprofil
Raphael Urweider, Autor: Sich an steine klammern. An ihnen festhalten. Auf steinen beharren. Sich mit händen und füßen an ihnen festklammern wie an schwimmhilfen, an erde. Raphael Urweider erhält den 3sat-Preis, 7500 Euro. - Der wirkt wie ein Profi. Jahrgang 74, wie alt ist er dann jetzt? - Den Preis hat er verdient, mit seiner "lyrisierten Prosa".
- Schönen Anzug hat er an. -
Urweider: Wenn man zu einer Beerdigung geht, zieht man sich ja auch gut an.
- Chef-Juror Robert Schindel: Das gehört zum Anforderungsprofil an einen Autor, dass er ein bisserl was aushalten kann an Kritik. -
Vanderbeke: Dass er was in die Fresse kriegt. - Schindel: So krass wollte ich das jetzt nicht ausdrücken.
- Vanderbeke: Man kann es nicht krass genug ausdrücken. - Hat dir denn die Kritik irgendwas gebracht? - Jörg Matheis, Autor: Nicht
wirklich. Eine inhaltliche Anmerkung konnte ich nachvollziehen. -
Vorgeschlagen zu werden ist schon toll, und dann muss man zusehen, dass man sich von der Kritik auch wieder distanziert. - Wenn einer verrissen wird, musst du die Autoren dann trösten? - Jo Lendle, Lektor DuMont: Ja, dafür sind wir ja hier. - Beide haben einen Preis bekommen, Urweider und Bonné. - Ja, das ist schön, dann wird es nicht
schwierig zwischen den beiden. - DuMont als guter Stall? - Für den Verlag ist es natürlich auch gut.
- Die Jury diskutiert auf dem Podium die Spielregeln, als könnten sie nach 25 Jahren nicht wissen, dass ein Romanausschnitt sich nicht eignet. - Sie müssen eben 30 Minuten lang reden, weil sie auf Sendung
sind. - Also ein Bild der deutschsprachigen Literatur ist das aber bitte schön nicht! - Keine Sorge, da sind wir uns einig. Christoph W. Bauer, Autor: Und wo bleibe ich, klatscht ihr Schweigen ihm unters Kinn, bin ich schon ausgewechselt, oder spiele ich noch,
Linksaußen, Rechtsaußen, soll ich endlich ab durch die Mitte, ja was?
- Scheck: Die Figuren sind mit Sätzen behangen, weil keine Handlung entwickelt ist. - Der Publikumspreis, dotiert mit 5000 Euro, geht an
Christoph W. Bauer. - Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet! - Der hat vielleicht seinen ganzen Verlag aktiviert.
Das Fußballspiel ORF gegen Literaturbetrieb ist schon um halb sechs.
- Ja, ja, ja, los, nein! - Oh! - Der hat ja nicht viel zu pfeifen, der Schiedsrichter, keine Fouls, keine gelben Karten. Tor? Ein Tor! Wer hat das denn jetzt geschossen? Ach Scheiße, die haben ja nach der
Halbzeit die Seiten gewechselt. Wie steht es denn jetzt?
- Die vom ORF sind immer enorm ehrgeizig, die können nichtverlieren.
Raphael Urweider geht im Anzug am Spielfeldrand auf und ab, "Wir kaufen den Torwart", sagt er ins Handy und parodiert die Agenten, die hier nach jungen Autoren Ausschau halten. Zum Schluss gewinnt der ORF 6:5. Bist du aufgeregt?
- Melanie Arns, Autorin, jüngste Teilnehmerin, bislang ohne Publikation: Nicht mehr als vor anderen Lesungen. Ein unauffällig prüfender Blick nach links. Mutter: stocknüchtern. Ich bin geschockt!
Vor mir: meine Oma. Sie zieht ein Gesicht, als wären wir die besten Freunde. Rechts: die Dunkelheit. Das ist das Beste. Das mit dem Glasauge, meine ich.
Das Studiopublikum lacht. - Scheck: Eine Wirklichkeitsbeschreibung, die mal nicht ins Pastellige geht. Welches Buch haben Sie zuletzt
gelesen? - Schreiben Sie an einem Roman? - Ist lyrische Prosa nochzeitgemäß? - Ich bin in eine Walser-Diskussion hineingeraten. - Ein
angenehmer Ausnahmezustand, den ganzen Tag Lesungen hören.Jan Bürger, "Literaturen": Ich bin einfach nur dabei. Viel passiert hier nicht mehr, die Bachmann-Leser sind ja fast alle schon unter
Vertrag. - Gisela Müller, Literaturkurs-Stipendiatin: Ich habe vier Visitenkarten. - Der Literaturkurs ist die "Häschenschule". Zehn junge Autoren aus dem deutschsprachigen Raum sind zu Lesungen und Tutorien eingeladen.
- Die Autoren Thomas Hettche, Ilma Rakusa und Ferdinand Schmatz geben individuelle Hilfen, keine vernichtende Kritik. - Sie haben sehr unterschiedliche Ansätze, das ist zuerst verwirrend, aber dann fühlt man sich von allen Seiten gut durchleuchtet. - Stephan Porombka, Literaturkurs-Stipendiat: Intensive Einzelgespräche wie
Mund-zu-Mund-Beatmungen. - Großzügig eingeladen und herzlich umsorgt.
- Wie Urlaub ist das mit einer sehr warmen Atmosphäre und viel Zeit zum Reden übers Schreiben.
- Marascha D. Heisig, Literaturkurs-Stipendiatin: Unvergleichlich! Wir sind eine sehr fröhliche Gruppe geworden. Wir haben so viel zusammen erlebt. Die Bachmann-Preis-Anwärter haben es da schwerer, sie sind hier als Konkurrenten. - Heimo Strempfl, Programm Literaturkurs: Das "Scotch" war schon immer das "Vereinslokal vom Literaturkurs".
Dass heuer auch Agenten und Lektoren dabei sind, ist neu. Auf der winzigen Tanzfläche hüpfen alle im blauen Neonlicht. - Wie heißen Sie? - Friederike. - Waren Sie beim Literaturkurs? - Ja. - Ich
bin Agent. Ich gebe Ihnen meine Karte. Halten Sie Kontakt. - Haben Sie meinen Text gelesen? - Nein.
Schlusslicht - Ist es wirklich so schwer, einen guten Text zu schreiben? - Porombka: Ja, es ist schwierig, sehr schwierig. - Dabei hätte der ein oder andere vom Literaturkurs auch beim Bachmann Wettbewerb lesen können. - Den ein oder anderen hat man auch ein Jahr später dort
wiedergetroffen. - Schindel: Heuer ist das mehr inhaltliche Diskussion als sprachliche Untersuchung.
- Dieses Jahr: Krankenhäuser und Steine. - Jurorin Konstanze Fliedl: Das Jahr des Verwandtensterbens in Klagenfurt. - Alles sehr brav und gutbürgerlich. - Ein schwaches Jahr! - Wann fliegen Sie? - Wir sehen
uns noch das WM-Endspiel an. - Schicken Sie mir Ihre Texte? - Alles Gute! - Bürger: Es ist und bleibt der schönste Betriebsausflug der deutschsprachigen Literatur. - Deshalb kommen nächstes Jahr auch alle wieder.

FRIEDERIKE VON KOENIGSWALD


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