Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt |
|||
Rheinpfalz Online | |||
29.06.2002 | |||
Die
Angst des Dichters vorm Elfmeter - RHEINPFALZ-Redakteur und Autor schreiben
gemeinsames Tagebuch vom Bachmann-Wettbewerb |
|||
Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt entscheidet manchmal über Autorenschicksale. Derzeit ist es wieder soweit. In drei Folgen schreibt Jörg Matheis, Schriftsteller aus der Pfalz, ein Klagenfurt-Tagebuch zusammen mit RHEINPFALZ-Redakteur Markus Clauer. Die Lust auf Literatur ist wieder da Außerdem Absonderungswünsche: Raus aus dem Betrieb, eine Klause suchen Schreiben. Wunderlich genug; andererseits - was sonst sollte Erholung, ja einen Glücksmoment versprechen, der das Warten auf den Sonntag relativiert? Im Kopf also immerhin das gewohnte Schneegestöber von Textideen und Sprachbildern, in dem ich mich heimisch fühlen kann. Die Zeitlänge fördert Gedankespiele: Wie wäre das - der Wettbewerb in Struktur einer Fußball-WM. Gruppenlesungen zunächst, jeder gegen jeden, Lesetaktiken, "Aufstellungen" erproben, Punkte sammeln und dann im Achtelfinale auf der eingespielten Variante aufbauen. Jetzt plötzlich das Spiel für die Galerie, das überraschende Moment, ein Lauf über drei Nebensätze und ein gelungener Abschluss in einer scharf angeschnittenen Pointe. K.O.-System, kämpfen, so bis ins Finale. Nichts dergleichen. Wenn überhaupt, taugt nur das Elfmeterschießen als Analogie. Einer nach dem anderen geben wir den einzigen Schuss ab. Doch das Tor steht noch nicht - die Bälle bleiben bis Sonntag in der Luft. Jörg Matheis Der Text als abgestellter Koffer Immer noch. Wieder. Wie man sich da hin setzen kann, ruhig gestellte Beute der Kameraaugen. Und ausgeliefert wie die Schildkröte, die auf dem Rücken liegt. Wie die soziale Haut sein muss, die einen nicht wirklich umhüllt. Wie Leder, nur noch viel undurchdringbarer. Die Gesten der Lesenden oft wie einstudiert. Maskeraden. Der Text ist ein Koffer, der abgestellt wird. Normalerweise. Jeder nimmt sich raus, was er will. Und geht. Unsichtbar. Hier steht der Koffer, um im Bild zu bleiben, zerbeult herum, zerrupft, wenn es gut geht - aufpoliert. Ein Stück Leben, an dem rumrezensiert worden ist. Wie man als Autor sich wohl seine Schutzräume bauen muss aus geliehenem Selbstbewusstsein und Autismus. Nina Jäckle aus Schwenningen am Neckar. Sie geht nur noch mit Sonnenbrille. Ihr Text vor aller Augen verkleinert zu Nichts. Sie wirkt wie gehäutet, freigelegt. In jedem Gesprächsfetzen ein Soundbit tief schmerzender Traurigkeit. Die Autoren, wie sie sich aus dem Weg gehen. Als seien sie hochinfektiös. Kopferrechner. Chancenauswerter. Heute morgen hat ein Preisträger gelesen. Peter Glaser fährt im Rollstuhl an das Lesepult. Sein Text ein Abgesang, irony is over. Aber lustig und welthaltig und melancholisch hinter vielen Pointen. Das Immergleiche schöner Sätze. Wie sie den Kopf kitzeln und den Neid stacheln. Einmal ein Zitat: "Das ist das Schöne an der Realität. Stell Dir vor, an einer Stelle wäre nichts. Du hättest sofort die Wohnung voller Philosophen." An den Tischen die sieben. Zur Kritik lizensierte Leser, wie Katja Langen-Müller die Juroren in Klagenfurt einmal beschrieben hat. Wie schlau. Wie sprachlos. Stellvertreter. Wie sie Koalitionen suchen. Wie sie posieren. Wie sie wissen, dass sie es sind, die nachher besprochen werden, hinter vorgehaltener Hand. Im Ausflugslokal Maria Loretto, wo nebenan Falco gewohnt hat. Wo Fantasierechnungen ausgestellt werden, die in diesen Krisenzeiten kein Verleger mehr für alle anderen zahlt. Und in der Arena der Feuilletons, wo am Montag jeder abweichen will vom schon Gesagten, was nach 26 Folgen Klagenfurt absurde Drehbücher von Artikeln hervorbringt. Vergangenes Jahr wurde ein Bericht aus der Perspektive des Mannes geschrieben, der die Tonregler bedient. Adressat sind die anderen - Schreiber. Nach zwei Tagen kann man bei jeder Wortmeldung einer Jurorin oder eines Jurors Skizzen des folgenden Inhalts entwerfen. Probeweise kreuzt man sich Wörter in dem Text an, der kurz vor der Lesung ausgeteilt wird, den die Juroren aber schon Monate vorher haben. Man will sehen, ob er tatsächlich gegen den Autor verwendet wird. Es funktioniert. Rankings werden erstellt. Formkurven. Die Beiträge der Schriftstellerin Birgit Vanderbeke in der Jury sind zunehmend absurd, gehaspelte Unausgegorenheit, unlösbare Gedankenknoten. Weh dem, der von ihr vorgeschlagen wurde. Und trotzdem. Immer noch. Wieder. Wie man sich da hinsetzen kann. Beute von Kameraaugen. Man stellt sich das mal vor. Aber nicht wirklich. Das Wagnis einer Prognose. Kurz nachdem dieser Text entstanden ist, hat
Annette Pehnt gelesen. Die neue Bachmann-Preisträgerin. Marcus Clauer
|
|||
|
|||
Kontakt Webmaster:
|