Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt |
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Saarbruecker Zeitung | |||
30.06.2002 | |||
Warum nichts so viel sein kann | |||
Seine "mitgebrachte Fernbedienungsflatterigkeit" lässt der aus dem Hamburger Norden in den Kairoer Süden gekommene Erzähler in Peter Glasers "Geschichte von nichts" erst allmählich zurück. In Kairo begibt er sich auf die Spur seiner Tante, die er genauso wenig findet wie den Grund für das Ersterben seiner in Deutschland zurückgelassenen Beziehung mit Stella. Von ihrer Nähe bleibt nur noch ein Schatten. Aus Italien schreibt er ihr, berauscht von dem betäubenden Grün der Landschaft, einen Brief - es ist eine kurze Etüde voll schwebender Trauer: "Das ist ein Blumenstrauß, Stella. Das Grünzeug von mir, und die Farbe, das Schöne, bist Du." Eine Schönheit indes, die sich im Herbst dieser Beziehung unmerklich dunkel einfärbt. Es wird nichts erklärt in Glasers Text. Und doch alles gesagt. Die Leere ist fühlbar, ohne dass Worte über sie verloren würden. Glasers "Erzählung von nichts", zu Recht gestern mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, zeugt von einer Sprachkraft und atmosphärischen Präzision, die herausstach aus den bei den 26. Tagen der deutschsprachigen Literatur gelesenen Texten. Prämiert wurde in Klagenfurt "der welthaltigste aller Texte", wie Juror Thomas Widmer treffend formulierte. Als der 35-jährige Glaser im Rollstuhl sitzend dann den Scheck über 21800 Euro und die Blumen entgegennahm, spürte man seine Befangenheit. So viel Öffentlichkeit, das wollte er nicht. Noch dazu an seinem Geburtstag. Sympathisch. Von Peter Glaser, so viel scheint sicher, wird noch zu lesen sein. Den neben Glasers Text vielleicht kunstvollsten Text dieses Jahrgangs - am Ende dann mit dem 3-sat-Preis prämiert - las Raphael Urweider, der bis dato vor allem als Lyriker von sich reden machte. Unter dem Titel "Steine" gelang Urweider eine eindrückliche, hochmusikalische Sprach-Meditation - zusammengehalten von dem bildhaft sich immer weiter auffächernden Oberthema "Versteinerung". Wozu für Urweiders protokollierendes Erzähler-Ich auch der eigene Hirnstein, ein Tumor, gehört - eine metaphorische Engführung, die die einzige Schwäche des Textes markierte. Den Preis der Jury erhielt - nachdem sie zuvor erst in der Stichwahl um den Bachmann-Preis von Glaser geschlagen wurde - Anette Pehnt für ihren Romanauszug "Insel vierundreißig", eine genau beobachtete, souverän erzählte Geschichte von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. Ein Text, der ähnlich wie Mirko Bonnés "Auszeit" - mit dem von den deutschsprachigen Verlagen gestifteten Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet - auf ungekünstelte Weise Schattenbilder hinter der Oberfläche sucht. Die Frage aber, was den ganz spezifischen Reiz dieses dreitägigen Klagenfurter Wettlesens ausmacht, muss man vielleicht so beantworten: Was dort Jahr für Jahr vor laufenden Kameras praktiziert wird, führt - ungeachtet der Unschärfe und Dürftigkeit mancher Urteile einzelner Juroren - den idealtypischen Fall der Rezeption von Literatur vor: Ein profunder Kreis von Lesern (in diesem Fall bestehend aus Autoren, Kritikern und Literaturwissenschaftlern) tauscht Lesarten von Texten aus, deutet und wertet aus. Suchbewegungen sind das, beharrliche Umkreisungen von Textzentren. Im Grunde müsste man der Literatur (zumal der zeitgenössischen) mehr solcher literarischen Rezeptionszirkel wünschen, wie sie so mancher Lesekreis unter deutschen Dächern ja im Privaten längst institutionalisiert hat. |
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