Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt



Südkurier Konstanz
15 Jänner 2002

Betriebsausflug der Literatur

Ausstellung zu 25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis

War es ehrliche Wut oder bloßes Kalkül? Wohl von beidem etwas. Rainald Goetz schrie, tobte, schimpfte wie das leibhaftige Rumpelstilzchen und schnitt sich zudem mit einer Rasierklinge eine Wunde in die Stirn, dass das Blut nur so über sein Gesicht floss und auf sein Manuskript tropfte.

Das war 1984 und das sicherlich spektakulärste Ereignis in der Geschichte der "Tage der deutschsprachigen Literatur", die jeden Sommer in Klagenfurt stattfinden und besser bekannt sind unter dem Namen "Ingeborg-Bachmann-Preis" (obwohl der Preis nur einer unter mehreren ist). Ein Indiz dafür ist auch, dass Goetz als einziger Autor gleich mit vier Fotos (sein blutverschmiertes Gesicht in vier Variationen) vertreten ist bei der Ausstellung "Klagenfurt und kein Ende. Der Ingeborg-Bachmann-Preis - Bilde aus 25 Jahren", die nun im Wiener Literaturhaus zu sehen ist. Die Aufnahmen stammen von der Münchner Fotografin Isolde Ohlbaum, die wohl deshalb bei den Künstlern so beliebt ist, weil sie in ihren Porträts nicht den Effekt sucht, sondern den natürlichen Ausdruck.

Wir wissen nicht, ob der Auftritt von Goetz den Verantwortlichen des Suhrkamp-Verlags imponiert hat, in jedem Fall hat er sie nicht verschreckt: Der Autor bekam von dem angesehenen Haus einen Vertrag. Der Wettbewerb half Goetz, sich als "junger, zorniger Mann" zu etablieren, und von diesem Ruf profitiert er auch heute noch.

Klagenfurt fördert Karrieren, kann sie aber auch blockieren ja kann ganze Lebensentwürfe zunichte machen. Insofern war dieser Wettbewerb immer umstritten. Erfolg und Niederlage, Glück und Tränen liegen bei ihm ganz eng zusammen, dessen Modus seit den Anfängen bis heute gleich geblieben ist: Ein Autor liest einen unveröffentlichten Text vor, über den eine Jury sogleich befindet.

Auf einem Foto sehen wir, wie die Jurymitglieder Andreas Isenschmid und Volker Hage ihre offensichtlich schwer gewordenen Köpfe mit der Hand stützen. Die Verächter des Wettbewerbs übersehen gern, dass die Kritiker nicht weniger als die Autoren unter Druck stehen: Sie müssen ad hoc ein Urteil fällen, und dabei können sie glänzen oder sich unsäglich blamieren, und das seit 1989 in aller Öffentlichkeit, den seit diesem Jahr überträgt der Fernsehsender 3sat den Bewerb live. Schön für den Zuschauer, wenn die Juroren unterschiedlicher Meinung sind oder gar in Streit geraten, denn gerade daraus bezieht die Veranstaltung ihren Reiz. Und nichts langweiliger (und tödlicher für den Betrieb), als wenn, wie sich ein Trend abzeichnet, alle nett und friedlich zueinander sind.

Klagenfurt bringt Kritiker und Autoren zusammen, die sonst jeder an seinem Schreibtisch, isoliert voneinander ihre Arbeit tun. Die Urteile mögen im Einzelfall ungerecht sein oder schmerzlich, sie sind aber immer offen, im wahrsten Sinn von Angesicht zu Angesicht.

"Für fünf Tage ist Klagenfurt die offizielle Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur", so urteilte einmal Marcel Reich-Ranicki, der selbst viele Jahre lang Juryvorsitzender war. Ein anderes geflügeltes Wort spricht vom "schönsten Betriebsausflug der Literatur". hier in Kärntens beschaulicher Landeshauptstadt, am äußersten Rand des deutschen Sprachraums gelegen, lässt es sich nämlich für Lektoren, Autoren und Kritiker nett zusammenkommen, viel netter als beispielsweise im hektischen Getriebe der Frankfurter Buchmesse. Der Klagenfurter Bürgermeister lädt regelmäßig alle Teilnehmer zu einer abendlichen Schiffsfahrt über den Wörthersee ein. Und es hat auch Tradition, dass Autoren und Kritiker in einem Fußballmatch gegeneinander antreten. Auf einem Foto sehen wir die Autoren einträchtig zu einem Mannschaftsfoto aufgestellt, alle in Trikots und kurzen Hosen.

Wenzel Müller

- Bis 15. Februar "Klagenfurt und kein Ende", Ausstellung im Literaturhaus, Seidengasse 13, 1070 Wien, Tel. 0043/1/52620440


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