Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

T-Online
30.06.2002

"Geschichte über das Nichts" überzeugte die Jury

Erstmals seit 1995 hat sich im Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis wieder ein Autor aus Österreich durchgesetzt. Spannend wurde die Preisvergabe durch die gleichmäßige Verteilung der Sympathien der Jury: Erst nach zwei Stichwahlen standen die Sieger fest. Der in Graz geborene Schriftsteller Peter Glaser setzte sich gegen die als Favoritin gehandelte deutsche Autorin Anette Pehnt durch. Pehnt erhielt den Preis der Jury, der Ernst-Willner-Preis der Verlage ging an Mirko Bonné.
Jury stellte sich bisweilen selbst in Frage
Damit wurden jene Teilnehmer ausgezeichnet, deren Texte in der Jury spontan auf großes Lob gestoßen waren. Die Lesungen hatten in diesem Jahr wenig Kontroversen und kaum literarische Grundsatzdebatten ausgelöst. Oft herrschte unter den Juroren Ratlosigkeit und Unverständnis über die ausgewählten Texte, was einmal mehr die Auswahlkriterien und die Jury selbst in die Kritik rückte. Preisträger Glaser hatte die sieben Juroren mit seiner "Geschichte über das Nichts" fast ausnahmslos überzeugt.

Liebesgeschichte, die den "Abschied von den 90er Jahren" thematisiert
Glaser verknüpft in den beiden Teilen "Süden" und "Norden" eine Liebesbegegnung mit einer Reise, die den Ich-Erzähler über den Mittelmeerraum nach Norddeutschland führt. Die Jury sah in dem Text eine "Geschichte über die Leerzeichen der Liebe", verbunden mit einer "Parodie auf Globales" und einen "Abschied von den 90er Jahren". Begeistert zeigte sich die Jury von der Sprache und der panoptischen Struktur der Erzählung, die das heutige Bewusstsein in seiner Zersplitterung abbilde, politische Aktualität auf angemessene Weise einfüge und in "sensationelle Bilder" fasse.

Romananfang lässt die Jury auf mehr hoffen
Den Preis der Jury erhielt Anette Pehnt für den Beginn ihres Romans "Ich muss los" unter dem Titel "Insel Vierunddreißig". Die Autorin erzähle "mit großer Klugheit und Klarheit" die Geschichte des Erwachsenwerdens und einer Obsession, urteilte die Jury. Ihr gelinge eine Verbindung von "sprachlicher Schlichtheit mit großem Humor": Der Romanbeginn sei "ein Versprechen".

Zwei preiswürdige Krankheitsgeschichten
An Mirko Bonnés Text "Auszeit", der den Ernst-Willner-Preis der Verlage erhielt, gefiel die "raffinierte Konstruktion". Die in lakonischer Sprache gehaltene doppelbödige Familiengeschichte um die Krankheit einer Schwester werde "raffiniert über die Bande" spielend entwickelt. Sie verberge unter der harmlos scheinenden Oberfläche tiefe Traurigkeit und eine große Bedrohung. Mit Raphael Urweiders Text "Steine", der nach Stichwahl mit dem 3Sat-Preis ausgezeichnet wurde, würdigte die Jury eine Geschichte, die in metaphorisch-lyrischer Sprache ebenfalls die Bedrohung einer Krankheit aufgreift.

 


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