Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Der Tagesspiegel
25.06.2002
Norbert Zähringer reist nach Klagenfurt - als aussichtsreicher Kandidat für den Ingeborg-Bachmann

Eins müsse klar sein, sagt Norbert Zähringer schon am Telefon: Kein Wort über K. Und noch eines: Kein Wort über den Text, aus dem er in K. lesen werde. Und natürlich, er möchte es nur der Vollständigkeit halber erwähnen, auch kein Wort über die anderen, die in K. lesen werden. So will es das Reglement von K.. Wer wollte sich schon im Vorfeld um Kopf – und Preis – reden? Norbert Zähringer nicht. Er klingt nicht fröhlich, als er die Bedingungen unseres Gesprächs diktiert. Aber manchmal muss die Neigung zum Geschichtenerzählen eben zurückstehen.

K. steht für eine kleine österreichische Stadt, in der sich ab morgen der deutschsprachige Literaturbetrieb zu seinem schönsten Betriebsausflug versammelt. Klagenfurt wird zum sechsundzwanzigsten Mal Schauplatz eines Schaulesens um den Ingeborg Bachmann-Preis, der längst von einer Reihe weiterer Preise flankiert wird. Zwei Berliner sind dieses Mal unter den sechzehn Autoren: Nina Jäckle und Norbert Zähringer. Soviel zu K.

Und nun zu Zähringer: Lange Nase, hohe Stirn, gern genüsslich grinsend mit nach unten gezogenen Mundwinkeln, hessisch eingefärbter Tonfall. Sichtbares Vergnügen am Sprechen, gebremst lediglich durch, nennen wir es: Vorsicht. Nicht unähnlich dem jungen Michael Krüger. „Der Schriftsteller und Verleger des Hanser Verlages? Na, solange es nicht Mike Krüger ist."

Zähringer wurde 1967 geboren, wuchs in Wiesbaden auf, lebt seit 1991 in Berlin, erst Neukölln, seit 1992 im Prenzlauer Berg, „als es dort noch mehr Parkplätze als Kneipen gab". Dieser für einen jungen Autor geradezu archetypische Lebenslauf, komplettiert durch die Autorenwerkstatt 1997 zusammen mit Georg Klein und Judith Hermann, wird schließlich durch so etwas wie einen „Berlin-Roman" gekrönt. „Das ist kein Roman, sondern eine Erzählung ", lacht Zähringer, „eine Reaktion auf den Hype um den Berlin-Roman!" Berlin selbst komme darin „relativ zurückhaltend" vor, findet er. Im letzten Jahr wurde der Text bei Alexander Fest veröffentlicht. Sein Titel ist rekordverdächtig kurz und benennt prägnant ein Lebensgefühl: „So". Wie: So ist das also. Oder: So und nicht anders.

Oder es ist doch anders: eben so nämlich - festgefahren aber in jedem Fall. Eine trotzige Wehrlosigkeit steckt in dem Titel, ein mutloses Aufbegehren unter Angestellten und Ex-Angestellten, das Zähringer mit immerhin 20 Figuren auf nicht weniger als 400 Seiten wie ein Ballett voller absurdem Witz und tschechowscher Fröhlichkeit dirigiert.

Jeder Aufbruch, zuweilen mit einem energischen „Ich geh' mal Zigaretten holen" begonnen, ist auch ein Abbruch. Cordt Gummer, eine der beiden Hauptpersonen, wird gegen seinen Willen zum Filialleiter befördert und findet sich in einem Container auf einer Industriebrache im Osten Berlins wieder. Weil die Kunden ausbleiben, erfindet er welche und deren Verwandtschaft gleich mit. Einmal bekommt er unfreundlichen Besuch und drückt den Alarmknopf. Die einzige Reaktion ist ein Schreiben von der Zentrale, die anfragt, ob das denn nötig gewesen sei. Da hat Gummer, verlassen von seiner Frau, schon sein Bett im Container aufgeschlagen und ist merklich verwahrlost.

Nur Norbert Zähringers Freunde wussten, dass er vor dem Studium in Berlin eine Banklehre absolviert hat. Sein Debüt sollte nicht als autobiographisches missverstanden werden. Und ein Berlin-Roman sei „So" auch nicht. „In Berlin reibt sich vieles, die Stadt ist aufgeladen mit Geschichte und dadurch mit Geschichten", sagt Zähringer. „Mir hat die Stadt gut getan. Aber auch in einem süddeutschen Bahnwärterhäuschen wären mir viele Geschichten eingefallen. Ich probiere sie einfach aus, so, wie ein Maler mit Farben experimentiert."

Zähringer erfindet erst einmal, recherchiert wird hinterher. Der erste Roman sei ein „unschuldig" geschriebenes Buch. Er hätte Techniken, Motive, Perspektiven ausprobieren können, denn es gab nur den Text als Maßstab - „eine ideale Situation". Beim zweiten Buch hingegen, an dem er gerade schreibt, hat er diese Freiheit nicht mehr.

Was ist eine ideale Situation: das unbeschriebene Blatt? Zähringers Lust an Geschichten geht einher mit der Last an ihnen, sobald sie öffentlich werden. Der private Zähringer findet keineswegs nur Gefallen an der Rolle des öffentlichen Schriftstellers. Mehrere Male ist der letztere, kontrolliertere dem ersteren, fabulierenden schon ins Wort gefallen: „Das streichen Sie jetzt", „nein, das geht nicht", „ich nehme es Ihnen übel, wenn Sie das schreiben", dazu ein warmherziges Lächeln mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Ach, Leinwände haben's nicht leicht. Aber wer übermalt, muss malen. Damit etwas nicht mehr sichtbar ist, muss etwas anderes dort stehen. Nur zu, Zähringer, erzählen Sie weiter.

Denn ohne Erzählen kann der Autor nicht leben. Schließlich ist die Gegenwart zum Fürchten und Verzweifeln unübersichtlich, und die Vergangenheit, gerade die deutsche, komplizierter als gedacht. „Daher kommt das Bedürfnis nach einfachen Statements, nach dem Schwarzweißdenken. Erzählend aber lässt sich viel erklären. Eine Geschichte behauptet einen Zusammenhang, den es so nicht gibt. In Wirklichkeit gibt es ja keinen Anfang und kein Ende." Erzählen erzeugt Sinn, ohne Täuschung zu sein. Und hinterher fügt sich alles zu des Autors und des Lesers Befriedigung. „Ganz ähnlich", fügt Zähringer hinzu, „bin ich Schritt für Schritt, unmerklich, Schriftsteller geworden."

„So" erzählt von diesem Gefühl allgemeiner Bedrohung, versetzt es jedoch mit Lächerlichkeit und Tempo. Von den zahlreichen deutschsprachigen Debüts der letzten Jahre unterscheidet den Roman zudem, dass er ein großes Personal hat, sich im Jahr 2020 ebenso herumtreibt wie in der Nazi-Zeit und deshalb ziemlich umfangreich ist. „Ich mag dicke Bücher", gesteht Zähringer. Auch Thomas Manns „Zauberberg"? „Nööö." Und Proust? „Ist mir oft empfohlen worden." Aber Don de Lillos „Unterwelt"? „1000 Seiten, sehr schönes Buch". Aus diesem stamme etwa die Idee mit den Peso-Münzen, die zu Beginn von „So" durch Hände und Automaten wandern. Nur ein Vorbild fehlt Zähringer: „Es ist eher ein fortgesetzter, freundlicher Diebstahl."

Das streichen wir jetzt aber nicht.

Von Jörg Plath


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