Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Der Tagesspiegel
01.07.2002
Die Wortrinnsale vom Wörthersee

In Zeiten politischer Depression lohnt es sich, den Blick nach Österreich zu richten. Schon Wiener Verhältnisse genügen, um auf die demokratischen Tugenden der Berliner Republik ein fröhliches Lied zu singen. Was gibt da erst Kärnten her: eine deutsche Marseilleise im Angesicht von Möllemann oder eine Internationale im Angesicht von Stoiber. Es ist jedenfalls einigermaßen schwer, sich die Codices der austriakischen Arrangementgesellschaft hierzulande vorzustellen. Es trug sich beispielsweise zu, dass Landeshauptmann Jörg Haider dem amerikanischen Volk nach den Anschlägen vom 11. September die Verbundenheit der Kärntner in den Trümmern des World Trade Center mitteilen wollte. Die Bitte an den Wiener ORF, ein Kamerateam zu stellen, wurde abgelehnt: Das sei Sache des Landesstudios. Klagenfurt wiederum sah sich nicht in der Lage, das Ganze ohne die Zentrale zu arrangieren. Woraufhin Haiders Partei, die FPÖ, anbot, selbst Videomaterial mitzubringen. Und so geschah es: Haider ging, als wär’s ein Stück Journalismus, von seinen eigenen Leuten interviewt, auf Sendung, und keiner der Verantwortlichen hatte damit ein Problem.

Was das mit Literatur zu tun hat? Nicht nur, dass sich kaum jemand mehr daran zu erinnern scheint, wie nach Haiders großösterreichem Wahlsieg jeder prominente Kulturmensch den Kärntner Dämon exorzieren wollte. Es entstand die Frage, ob der Klagenfurter Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis noch den Namen der Schriftstellerin tragen dürfe. Und was passierte bei den „26. Tagen der deutschsprachigen Literatur 2002“? Sie wurden, mit einem Diener vor dem Genie der Bachmann, von Willy Mitsche eröffnet, einem Mann, der keine Vorbehalte gegen Haiders Do-it-yourself-Berichterstattung hatte und jüngst zum Landesdirektor des ORF befördert wurde. Der Zusammenhang ist vielleich nicht kausal, aber doch deutlich atmosphärisch.

Wer das als die übliche Korruption betrachtet, sollte sich wenigstens einen Moment darüber wundern, dass die siebenköpfige Jury, sonst für kein politisches Bekenntnis zu haben, tags darauf das Erzählprojekt des 53-jährigen Basler Autoren und „WoZ“-Redakteurs Roger Monnerat pries, der die Geschichte der Linken und seiner Generation zu rekapitulieren versucht: „Wie recht wir 1968 hatten.Wir bekämpften einen Kapitalismus, den es in dieser Form erst heute, dreißig Jahre später gibt.“

Schon gut: Man beißt nicht die Hand, deren Brot man isst. Doch weil mit dem Schriftsteller Robert Schindel, dem Jury-Vorsitzenden, ein ehemaliger Maoist auf der Bühne des ORF-Landestheaters Kärnten saß, und mit der Germanistin Konstanze Fliedl eine Linksliberale, würde man in der Sympathie der beiden Österreicher für den Schweizer am liebsten eine Ersatzhandlung für eine Protestnote gegen die Haiderei erkennen, die eben nicht dämonisch, sondern konkret ist.

Die wahren Gründe dürften banaler sein. Es war die schlichte Dankbarkeit, dass hier einmal jemand nicht in der Asche von Liebes- und Familienbeziehungen herumstocherte oder rohes Fleisch vom Metzgerhaken holte, um seine schwer erarbeitete Einsicht in das Physische der menschlichen Existenz zu illustrieren. Nichts taugt zum Ausdruck, was ihn garantiert, zitierte der Juror Burkhard Spinnen, der Star der Runde, den Kritiker Lessing. Das sollte man sich merken.

Bei der Ausnahme Monnerat blieb es. Nicht, dass man sonst noch etwas an ihm hätte rühmen können, aber es fand sich eben bis zum Ende der 16 Lesungen kaum jemand, der sich wie er so offensiv ins Jenseits persönlicher Welten begeben hätte.

Allein der 28-jährige Berner Lyriker Raphael Urweider wagte mit seinem eindrucksvoll komponierten Prosastück „Steine“ (3SAT-Preis) den Weg in die entgegengesetzte Richtung. „Steine“, ein Prosagedicht in mehreren Motivschleifen, beschwört in einer klaren, analytischen Sprache die Regression eines von einer Tumorerkrankung bedrohten Bewusstseins ins Steinerne, das Versinken in Erdschichten, den Übergang in ein anderes als das menschliche Maß.

Schon Peter Glasers zwischen Ägypten, Italien, Deutschland und Griechenland angesiedelte „Geschichte von Nichts“ (Ingeborg-Bachmann-Preis), die der Schweizer Juror Thomas Widmer als das „welthaltigste“ Stück des Wettbewerbs bezeichnet hatte, illustrierte eher ein Verlorenheitsempfinden, als dass ihr rasender Kosmopolitismus etwas von dem in den Griff bekommen hätte, was stofflich in sie einfloss - bis hin zum amerikanischen doomsday 911. Es war allerdings die einzige, die unzweifelhaft in diesen Jahren entstanden war. Eine Liebes-SMS mit zwei Leerzeichen, die von einer SMS mit dreien beantwortet wird: Das sind Einfälle, für die man den in Berlin lebenden Grazer mögen muss. Alles andere hätte auch vor zwanzig Jahren geschrieben werden können, und das weitaus meiste war erbärmlich, etüdenhaft, bedeutungssüchtig.

Der Tod, meinen viele, steht ihren Texten gut. Das geschwätzige Dröhnen, das der Tiroler Heinz D. Heisl intonierte, auch er ein 50-Jähriger in diesem Nachwuchswettbewerb, und der makrameegehäkelte Selbstmordversuch, den Helga Glantschnig unternahm, waren Tiefpunkte eines Angebots, das weder vor einem literarhistorischen Urteil bestehen kann noch vor einem Interesse, das auf die Binnenverständigung von Teenagern, Müttern oder Liebeskranken setzt.

Jeder „Miss Germany“-Wettbewerb erfordert mehr Grazie und Souveränität. Jeder Olympia-Anwärter bringt mehr Ehrgeiz und Leistungswillen mit. Jede Endausscheidung von „Jugend musiziert“ versammelt ein höheres Maß an technischem Können und künstlerischer Durchdringung, an Spielwitz und Ernst gegenüber dem eigenen Material. Es war das alte Halloween am Wörthersee, das mal bessere, mal schlechtere Jahre kennt, und 2002 war ein schlechtes Jahr. Die Branchengäste liebten die entspannte Atmosphäre am Wörthersee dennoch und wie eh und je. Aber die Fernsehzuschauer müssen gelitten haben wie die Schweine.

Man kann aus dem Klagenfurter Elend auch nur bedingt auf den Zustand der deutschsprachigen Literatur im allgemeinen schließen. Aber es sagt etwas über das Verhältnis von Entdeckerfreude und Nominierungsträgheit aus, wenn Peter Glaser, mir dem man spätestens seit seiner Storysammlung „Schönheit in Waffen“ (1987) rechnen muss, 15 verdammte Jahre braucht, um ins ach so seriöse Fach zu wechseln. Und etwas stimmt nicht, wenn Glasers schöner Text nun zusammen mit dem von Mirko Bonnè (Ernst-Willner-Preis) und Annette Pehnt (Preis der Jury) den Jahresgipfel der deutschsprachigen Literatur markiert. „Insel zweiunddreißig“ erzählt in einer raffiniert einfachen Sprache vom Kindertraum eines abenteuerlichen Leben. Es würde sich lohnen, endlich ein Moratorium einzurichten, den Wettbewerb für drei Jahre auszusetzen und das eingesparte Geld notleidenden Lyrikern oder dem Aufbau einer Schule für österreichische Zivilcourage zu spenden.

Derweil ging in der Stadt der Streit um die Zweisprachigkeit der deutsch-slowenischen Ortsschilder weiter, von denen Haider nichts mehr wissen will. Den Hinweis des Verfassungsrichters Ludwig Adamovic auf deren Rechtmäßigkeit beantwortete er mit der Frage, ob der Herr mit dem slawischen Namen überhaupt eine gültige Aufenthaltserlaubnis habe. So geht es zu. Der Kärntner Studentenverband verkaufte T-Shirts mit der Aufschrift „Kärnten / Koroska“, um für eine Tradition zu kämpfen, bei der bis zum Ersten Weltkrieg sogar die slowenische Bevölkerung überwog. Deshalb Vorschlag zur Güte: Könnte der Betrieb nicht nächstes Jahr ins 90 Kilometer entfernten Ljubljana umziehen? Dort gibt es auch, den Juroren sei’s versprochen, ganz hervorragende Dichter.

Von Gregor Dotzauer


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