Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

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01.07.2002

Bachmann-Preisträger Glaser: Die zerstückelte Welt zusammensetzen
Peter Glaser vertraut auf die Macht der Sprache: «Literatur bietet die Möglichkeit, die Welt, die wir nur mehr fragmentarisch und zerstückelt wahrnehmen, versuchsweise wieder zusammen zu setzen». Mit seiner «Geschichte von Nichts» hat der in Berlin lebende österreichische Autor und Journalist die Jury beim diesjährigen Wettlesen um den Bachmann-Preis überzeugt.

Auch darin zeigt er die Welt als ein Puzzle aus verschiedenen Realitäten, in dem die Menschen oft genug orientierungslos bleiben, sich wenig zu sagen haben und das Wenige in Phrasen und Witzen verpacken.

Literatur muss das pure Leben spiegeln, sagt Glaser, der seinen Sieg in Klagenfurt an seinem 45. Geburtstag feiern kann. Sein eigenes Leben ist geprägt von Ortswechseln, persönlichen Verlusten - und von einer großen Leidenschaft für die Literatur. Schon als Schüler habe ihn die literarische Avantgarde seiner Heimatstadt Graz fasziniert, sagt der Preisträger. Doch im österreichischen Literaturbetrieb fand Glaser keinen Platz. Der «Großstadtromantiker», wie er sich selbst bezeichnet, ging nach Hamburg, jobbte als Packer und Setzer, bevor er sich als Schriftsteller und Journalist, vor allem zu Internet-Themen, etablierte.

Dass er sich in der Welt nur mit Schmerzen bewegen kann und wegen einer Rheuma-Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen ist, macht der 45-jährige nicht offensichtlich zum Thema. Seine Texte und Romane sind auf unterschwellige Weise durchdrungen von großem Wissen um die möglichen Abgründe im Leben. Glaser läßt seine Lebenserfahrung nicht in direktem, pathetischem Ton einfließen in sein Werk. Von einer distanzierten Position aus legt er, was er weiß von der Welt und vom Menschen, der Struktur seiner Arbeit zu Grunde.

Da klingt bisweilen Sarkasmus an, doch vor allem eine kenntnis- und erlebnisreiche Innensicht jener Phänomene, die mit den abstrakten Begriffen «Cyber world» oder «Globalisierung» die Gegenwart beschreiben. Als junger Schriftsteller begeisterte er sich für alles, was mit Computer zu tun hatte und gehörte er im Hamburg der 80er Jahre zu jenen Autoren, die mit Computer-Experimenten den Literaturbetrieb aufmischten. Einmal, in Kassel, setzte er bei einer Lesung dem Publikum einen Computer vor und glänzte selbst durch Abwesenheit. Die Bedienungsanleitung kam vom Tonband, die Zuhörer waren begeistert.

Der Chaos Computer Club war seine Heimat. Dann aber unterlief dem Journalisten Glaser ein Fehler, der zum «persönlichen Super-Gau» wurde. Als geistiger Vater der Computerzeitung «Konrad» veröffentlichte er - aus «Schludrigkeit», wie er sagt - Namen aus der Hacker-Szene und verletzte damit den Ehrencodex der Cyber-Gemeinde. Als Pionier der Netzkultur lernte er im Cyberspace auch die Frau kennen, die er Monate später heiratete. Nach acht Jahren wurde die Ehe geschieden.

Seine exemplarische Biografie als Akteur und Beobachter der digitalen Welt, spiegelt die globale Aufbruchstimmung und Cyber- Euphorie der 90er Jahre ebenso wie die folgende Enttäuschung, die er genau, aber ohne Zynismus schildert. Seit seinem Debüt 1983 mit dem Roman «Der große Hirnriss» hat er sich auch mit Kurzgeschichten wie «Schönheit in Waffen» und Essays einen Namen gemacht.

 


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