Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt |
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Die Zeit | |||
28/2002 | |||
Poeseln |
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Was ist Literatur? Literatur ist zum Beispiel, wenn sich die Straßenbahn anhört "wie ein Rasenmäher, den jemand durch Eisendrehspäne schiebt", oder wenn "die Schatten der Hitze, die aus den Lüftungsschlitzen des Toasters steigt, wie winziger Autoverkehr eilig über die Tischplatte fließen" oder wenn Henri eine Frisur hat, "die aussieht wie eine aus Kirschholz geschnitzte brennende Benzinpfütze". Das sind ein paar Beispiele nur von der ersten Seite der Geschichte vom Nichts, mit der Peter Glaser eben den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, eine ziemlich schmissige, aber recht nachlässig (unter Anwendung vieler falscher Konjunktive) zusammenfantasierte Erzählung, an der ebendies auffällt: dass sie unter "Literatur" offenbar die sprachliche Möblierung alltäglicher Vorgänge versteht. Der diesjährige Klagenfurter Literaturwettbewerb litt vor allem unter diesem Missverständnis. Nicht wenige der zumeist sehr mittelmäßigen Autoren liefen in die Falle der metaphorischen Instrumentierung, der ästhetischen Aufladung und Bebilderung, als wäre das entscheidende Merkmal von Literatur eine "gehobene Rede", die unsere Alltagssprache um jeden Preis poetisierend überbieten müsste. Robert Musil nannte das "poeseln". Dann wird es nicht einfach dunkel, sondern "Alexandra beobachtete, wie die Dämmerung in den Tag sickerte" (Jörg Matheis), oder "Dämmerung troff mir in die Stirn" (Christoph W. Bauer). Leider kannten auch die meisten Juroren den Unterschied zwischen Kunsthandwerk und Literatur offenbar nicht. Allzu oft ließen sie sich einfangen von einer ambitionierten Metaphorik, die gar nichts zeigte außer das krampfhafte Bemühen von Autoren, die es gern zum Dichter gebracht hätten. Ein Glück nur, dass Annette Pehnt mit ihrer Erzählung Insel Vierunddreißig wenigstens den zweiten Preis erhielt, der bezaubernd schillernden Geschichte einer Heranwachsenden, die einen Sehnsuchtsort, die imaginierte Insel Vierunddreißig, findet und so den Eltern entkommt. Hier endlich war eine Sprache, die sich nicht eitel, wichtigtuerisch vor das Erzählte drängte, sondern dem Körper des Textes angemessen war und ihn zum Leuchten brachte.* Das wäre doch wohl Literatur zu nennen: dass die Sprache mit dem Ziel des Erzählten identisch wird. Was oftmals heißt, dass die Suche nach dem treffenden Wort am Ende dort wieder landet, wo sie ihren Ausgang nahm, und dann kann es einfach dunkel werden. Es wäre auch die Aufgabe der Klagenfurter Jury gewesen, Literaturkritik zu üben und auf solche literarischen Gesetze deutlicher hinzuweisen. Nicht selten aber, und das spricht lediglich für ihre humane Gesinnung, betätigte sie sich als Sanitäter, der literarische Unglücksfälle versorgt. Dass dies so oft angebracht schien, wird zunehmend zu einem Problem des Klagenfurter Wettbewerbs: Es mangelt dort an guten Autoren. Gibt es nicht genügend? Wahrscheinlicher ist, dass sich einige Juroren nicht genügend Mühe gegeben haben, sie zu finden. Möglich auch, dass manche Juroren eigentlich gar nicht wissen, was Literatur ist. |
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