Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Salzburger Nachrichten
28.06.2002
Die Macht der Druiden

Einmal im Jahr, in der letzten Juniwoche, treffen sich die Druiden der Literaturkritik in der Nähe eines großen Sees in Klagenfurt. Dort werden die Standards für die Diskussion über Bücher und Autoren für das nächste Jahr festgelegt. Steht der Inhalt hoch im Kurs, wird das Lob des Erzählens ausgerufen? Welcher Stellenwert kommt eigentlich der Sprache zu?

Das Problem der Tage der deutschsprachigen Literatur besteht darin, dass heimlich und bisweilen ganz offen dar-über verhandelt wird, wie Literatur auszusehen hat, was geht und was unangemessen ist. In flotten Urteilen über Literatur steht nicht nur das ästhetische Programm eines Autors auf dem Prüfstand. Das Erstaunen ist groß, wenn jemand mit einem Text aus der Reihe tanzt. Für abweichendes Verhalten droht die Bestrafung. Die Lust, aus dem Rahmen zu fallen, treibt Autoren genau so an wie Juroren. Die größeren Chancen rechnen sich Juroren aus, die auffallen, die nicht in die Tiefe gehen, aber die Selbstdarstellung gelernt haben. Die grö-ßeren Chancen hat Literatur, die Erwartungen nicht fahrlässig umstößt. Denn Juroren neigen zu dogmatischen Urteilen.

Birgit Vanderbeke weiß stets ganz genau, was Literatur darf, was sie unbedingt einlösen muss und was sie auf keinen Fall darf. Sie gießt Geschmacksurteile in die Form von Lehrsätzen. "Prosa verlangt eine andere Sprachqualität", sagte sie, als sie mit einem Text des Tirolers Christoph W. Bauer konfrontiert wurde. Sie mag lyrische Prosa nicht, und deshalb passt Bauer nicht in ihr Konzept.

"So", meint ein anderer angesichts eines Textes des in Berlin lebenden Österreichers Peter Glaser, "so kann man über den 11. September schreiben". Warum weiß er das so genau, und warum schließt er damit andere Möglichkeiten kategorisch aus? Nach dem Ende der Literaturtage könnte man sich ein Bündel kompakter Sätze mit nach Hause nehmen, 52 Sätze, für jede Woche des Jahres einen, damit kommt man als Literaturkritiker ganz gut durchs Jahr.

ANTON THUSWALDNER


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