Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Der Standard
28.06.2002
Die Welt - Ein kleiner Garten
Wollte man die Klagenfurter Lesungen akzeptieren als gültigen Spiegel des gegenwärtigen Zustands der deutschsprachigen Literatur, wäre das Ergebnis nach Anhörung der Hälfte der Texte beklemmend: Die überwiegende Zahl der eingeladenen Autorinnen und Autoren stellte sich mit Erzählungen vor von geradezu niederschmetternder sprachlicher und gedanklicher Konventionalität.

Kaum ein Funke Lust am formalen Experiment wollte aufblitzen in Texten, die bevorzugt empfindsame Icherzähler zur Beobachtung des kleinen Gartens Welt schickten, in dem sie sprachlich gärtnerten. Beklemmend ist diese Literatur jedoch nicht allein aufgrund ihrer handwerklichen Simplizität. Es ist vielmehr das fehlende Interesse, vielleicht auch fehlender Mut am gedanklichen Experiment, die vollkommene Abwesenheit eines lustvollen literarischen Widerspruchs zu den Anmutungen der Gegenwart, die diese Texte so erschreckend machen.

Zaghaft und verzagt zieht sich die Literatur aus der Gegenwart und immer wieder den Enttäuschungen vergänglicher Liebe in die privaten vier Wände der Kindheit, der Familie zurück, um in deren Schilderung aber keine neue Sichtweise zu entwickeln, sondern mit literarisch und cineastisch vorgeformtem Blick zu beschreiben und auf hinlänglich bekannte Klischees zurückzugreifen. Die undurchdringliche Komplexität der täglich erlebten Welt in ihren vielfach verschlungenen Machtgeflechten wird gestraft durch literarische Nichtexistenz, durch den Rückzug auf einfachste Formen, Sätze und Einsichten.


Lustlose Juroren

Selten waren sich auch die Mitglieder der Jury - die Autoren Birgit Vanderbeke, Robert Schindel und Burkhard Spinnen, die Journalisten Pia Reinacher, Denis Scheck und Thomas Widmer, die Germanistin Konstanze Fliedl - so einig in der Ablehnung der Texte. Ein Umstand, der verwundert angesichts der simplen Tatsache, dass sie es schließlich waren, und nur sie, denen die Auswahl der Autoren oblag. Zunehmend lustlos scheint sich die illustre Versammlung der lästigen Aufgabe zu unterziehen.

In diesem Jahr wurde bei der Auswahl zudem einem neuen Nationalismus Rechnung getragen: Österreichische Juroren luden vornehmlich österreichische Autoren ein, detto die anderen. Das mag hingehen, tritt man mit dem Anspruch an, unbekannte Talente jeden Landes entdecken zu wollen. Allein: nach Entdeckerlust sieht die Auswahl der österreichischen Jury heuer mitnichten aus. Vielmehr verrät es eine gute Portion Trägheit und Desinteresse, nahezu ausschließlich Autorinnen und Autoren nach Klagenfurt zu laden, deren Bücher seit zehn Jahren verlegt und rezensiert werden, die seit zehn Jahren "entdeckt" werden konnten.

Warum, fragt man sich verwundert, haben dieselben Jurymitglieder sie bisher nie gebeten? Bei allem Respekt vor Helga Glantschnig, Elfriede Kern, Peter Glaser, Heinz D. Heisl: Überraschende Nachwuchstalente sind sie kaum.

Auch die Schweizer und die Deutschen traten in diesem Jahr an, ihr nationales Kontingent mit älteren Autoren aufzufüllen - wobei es gerade die jungen Autoren sind, die Erwartungen aufkommen lassen: etwa der Stuttgarter Norbert Zähringer, der bereits mit seinem Roman So von sich reden machte, oder der Schweizer Raphael Urweider, dessen Lyrikband Lichter in Menlo Park vor zwei Jahren bei DuMont erschien. Beider Lesungen stehen noch aus.


Schwache Texte

Nach absolvierten zehn Texten aber ist das Ergebnis desolat. Keiner der bisher vorgetragenen Texte käme für einen Preis infrage. Weder Auf.Stummen des jungen Lienzer Lyrikers Christoph W. Bauer - dem mit Jahrgang 1968 einzigen unter 40-Jährigen unter den österreichischen Autoren -, der Szenen einer entfremdeten Ehe inadäquat romantisiert, noch des gebürtigen Grazers Peter Glaser freundlich erzählte, melancholische Liebesgeschichte zwischen den Kontinenten, Geschichte von Nichts.

Allein des in Hamburg lebenden Mirko Bonné Erzählung Auszeit ließ aufhorchen. Bonné, dessen Romane Der junge Fordt und Ein langsamer Sturz wie Urweiders Lyrik bei DuMont herausgekommen sind, entwarf in klarer Prosa die Geschichte eines inhaltslosen Lebens, das im Text allein durch die Krankheit der Zwillingsschwester gespiegelt in Erscheinung tritt. Deren mit sechsjährigem Abstand sich wiederholende wochenlange Ohnmachtsschübe stellen für den Protagonisten in der Intensität der Betreuung, des erzwungenen familiären Miteinanders Glück dar.

Gerade in der klaustrophoben Situation enthält Bonnés Text die von Hugo Loetscher in seiner Eröffnungsrede geforderte Welthaltigkeit. Insgesamt aber muss man die Frage stellen, ob eine Veranstaltung mit Juroren, deren Neigung, neue Stimmen aufzuspüren, derart gering ist, nicht dringend der Reform bedürfte.

In diesem Jahr ist nur eine kleine Neuerung geschaffen: ein Publikumspreis. Am Samstag können all jene, die das Wettlesen im Fernsehen verfolgten, in der Zeit von 14.00 bis 20.00 Uhr ihr Votum via Internet abgeben.

 


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