Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Der Standard
März 2002
Robert Schindels Roman "Gebürtig" als Film bei der "Diagonale"

Vom Zwang, nach Auschwitz zu dichten

Michael Cerha
Es heißt, er habe schon als Kind Gedichte geschrieben. Gedichte veröffentlicht hat Robert Schindel allerdings erst, als er bereits 42 Jahre alt geworden war. Er hat sich als Bibliothekar versucht, als Journalist und sogar als Gruppentherapeut, ehe er dann doch Schriftsteller wurde. Und sicherlich sagt dieser Werdegang zumindest zweierlei aus: Erstens muss man generell vorher Lebenserfahrung sammeln, um nachher als Schriftsteller daraus schöpfen zu können.

Zweitens hat sich Schindel das, was letztlich sein einziges literarisches Thema werden sollte, mit Leib und Seele erarbeiten müssen: das Leben als Jude in einem Land, das beharrlich verdrängt, dass jede Gegenwart eine Prämisse hat und die Gegenwart dieses Landes eine ganz spezielle.

Ohneland hieß der erste, 1986 erschienene Gedichtband Robert Schindels. Ihm folgten bis heute vier weitere, mit Buchdeckeln erhärtete Versuche, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben. Oft sind diese lang, nicht immer einfach zu lesen und zu verstehen. Wortschöpfungen mischen sich in die Erkundungen des eigenen Bewusstseins. Auch dem 1992 erschienenen Roman Gebürtig hat die Kritik nachgesagt, dass er sprachlich den Lyriker nicht ganz zu verbergen vermag.

Das vielfach verwobene Fabulierwerk thematisiert die Last der Geschichte auf dem Leben derer, deren Väter und Mütter entweder Täter oder Opfer waren. Mit beiden Seiten setzt Schindel sich gleich einfühlsam auseinander. Als seine eigene Lieblingsfigur nennt er "eindeutig den Konrad Sachs, ein Opfer der Tätergeneration, unschuldig den Tätern zugeordnet" und fügt hinzu: "Zur Opfergeneration zu gehören ist unangenehmer, aber einfacher."

Robert Schindel hat die Gegenwartsliteratur um eine wichtige Perspektive erweitert. Das konnte so nur ein Kind jüdisch-kommunistischer Eltern, die sich 1944 als getarnte Widerstandskämpfer aus Frankreich nach Oberösterreich einschleusen ließen, wo am 4. April 1944 in Bad Hall Robert Schindel geboren wurde. Die Eltern verfingen sich bald darauf im Netz der Gestapo, der Vater wurde in Dachau hingerichtet, die Mutter überlebte und fand im August 1945 den Sohn wieder: Er war, als Robert Sodl umbenannt und zum angeblichen Kind französischer Zwangsarbeiter erklärt, in einem Wiener Waisenhaus von den Schwestern als U-Boot verwahrt worden.

In den letzten Jahren ist Schindel seinerseits in eine schützende Rolle gegenüber den jungen Autoren gewachsen. Ruhig, kompetent agiert er als Jury-Sprecher beim Wettlesen um den Klagenfurter Bachmann-Preis. Am Zigarettenkonsum kann man ablesen, dass ihn das alles nicht unbewegt lässt. Insbesondere die politische Entwicklung in seinem Ohneland.

 

 


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