Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Kleine Zeitung
30.06. 2002
"Es war merkwürdig, Autor sein zu wollen"

Was bedeutet der Gewinn des Bachmann-Preises für Sie?
PETER GLASER: Eine starke Motivation als Autor weiterzumachen und eine finanzielle Absicherung im Hintergrund für die künftige Arbeit.
Wie haben Sie die vier Tage hier in Klagenfurt erlebt?
GLASER: Es war ein großes Gemeinschaftserlebnis. Ein Saal voller Menschen, die alle über Literatur reden. Und zwar über dieselbe Literatur, denn alle kennen die gleichen Texte. Außerdem gab es eine große Solidarität unter den Autoren.

Sie haben es also genossen?
GLASER: Ja, denn eigentlich ist die Literatur eine umständliche Art, miteinander zu reden. Da schreibt einer, dann wird irgendwann veröffentlicht, dann reagiert Monate später das Feuilleton. Hier ist das anders: Hier wird nicht in Räume hineingeschwiegen und ich schweige nicht zurück. Hier geht alles direkt.

Manchem vielleicht sogar zu direkt. Wie fanden Sie die Jury?
GLASER: Unterschiedlich. Aber das war zu erwarten. Es ist hier wie in einem Spielcasino, man wartet, ob Fortuna Glück oder Unglück ausschüttet. Manche Urteile waren sehr ungerecht. Zum Beispiel, dass Raphael Urweiler nicht "sortenrein" schreibt. Ich sortiere höchstens meinen Müll. Manche Ansätze sind sehr germanistisch, vor allem eben dann, wenn gefordert wird, dass man für bestimmte Schubladen schreibt und was nicht hineinpasst, passt nicht hierher. Natürlich weiß man auch, dass auch die Juroren nicht ohne Profilierungswunsch nach Klagenfurt kommen. Verrisse haben außerdem einen hohen Unterhaltungswert. Manchmal bekommen die Jurydiskussionen dadurch den Unterhaltungswert eines Boxkampfes.

Obwohl das alles nichts Neues ist, gehen immer wieder Autoren das Risiko eines öffentlichen Verrisses ein. Was hat Sie hierher gelockt?
GLASER: Denis Scheck hat mich mit bewundernswerter Regelmäßigkeit eingeladen. Schon im letzten Jahr wollte er, dass ich lese. Aber ich hatte nichts Passendes fertig und habe abgelehnt. Dabei weiß ich natürlich, dass Autoren ihre Großmutter verkaufen würden, um hier zu lesen (er stockt, lächelt). Andere würden allerdings ihre Großmutter verkaufen, um hier nicht lesen zu müssen.

Also warum?
GLASER: Ich habe in letzter Zeit viel für das Feuilleton geschrieben, habe auch viel über Computer gearbeitet und die ganze Zeit gedacht: Aber eigentlich bin ich Schriftsteller. Ich bin hier, um dieses "eigentlich" wieder loszuwerden. Es ist ein Schritt zurück in den Literaturbetrieb.

Woran arbeiten Sie gerade?
GLASER: Schon seit zehn Jahren an einem Roman. Klagenfurt ist für mich ein Anreiz, wieder verstärkt weiterzumachen und mein Verlag (Kiepenheuer & Witsch) wird auch dankbar sein. Es geht darin um Wiedervereinigungen. Unter anderem darum, dass die Nase der Sphinx wieder in deren Gesicht zurückkehrt. Ich möchte sozusagen das Antlitz des Geheimnisses - denn dafür steht die Sphinx ja - wieder herstellen.

Ägypten scheint Sie zu interessie

ren. Ihre "Geschichte von Nichts" startet in Kairo und es kommen unter anderem die Pyramiden vor.
GLASER: Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Ägyptologie beschäftigt. Und man kann sogar einen ironischen Schlenker zur deutschen Wiedervereinigung machen. In Berlin gab es ein ägyptisches Museum mit Figuren von Nofretete und ihrem Ehemann Echnaton. Nach der Teilung blieb Nofretete im Westen, Echnaton kam in den Osten. Nun, nach der deutschen Wiedervereinigung, sind auch sie wieder vereint.

Bis wann soll der Roman in den Handel kommen?
GLASER: In etwa zwei Jahren möchte ich fertig sein. Ich habe in den letzten zehn Jahren so viele Informationen zusammengetragen, ich muss jetzt aufpassen, dass es nicht ein Bildungsroman wird.

Was stört Sie am Bildungsroman?
GLASER: Eigentlich nichts. Ich möchte nur nicht langweilige Literatur machen.

Sie sind gebürtiger Grazer, kommen damit aus einer der Literaturhauptstädte Österreichs. Warum sind Sie nach Berlin gegangen?
GLASER: Graz ist so klein, dass nur jede zweite Schriftstellergeneration dort leben kann. Das Forum Stadtpark ist der Adlerhorst der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Aber ich hatte keine Perspektive, in Graz mit Schreiben meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bin immer wieder am Arbeitsamt gelandet und habe Jobs in Druckereien oder als Lagerarbeiter annehmen müssen. 1979 bin ich dann also nach Deutschland gegangen und da hat sofort alles funktioniert.

Woran liegt das?
GLASER: Es gibt viel mehr Zeitungen und Verlage, viel mehr Möglichkeiten, Literatur unterzubringen. Und die neudeutsche Welle, das war faszinierend. Damals wollte jeder Popstar werden und es war merkwürdig, Schriftsteller sein zu wollen. Vielleicht auch deshalb, weil damals die Musiker die besseren Lyriker waren. Ich wollte aber trotzdem auf jeden Fall schreiben. Und plötzlich konnte ich in Deutschland damit auch Geld verdienen.

VON MARIANNE FISCHER

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