Auf die Frage nach einem Lebenssatz antwortete der
1957 in Graz geborenen Schriftsteller Peter Glaser im Zuge eines Online-Interviews
mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche: "Man muss als Mann den Ernst
wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte." Ein Ernst, der
analog zum philosophischen Nihilismus nicht zwangsläufig in einer
Depression enden muss, selbst wenn der äußere Anschein das
Glück mit einer widerspenstig anmutenden Schicht Melanchloie verdeckt.
Umgelegt auf den Text, der Peter Glaser im Rahmen der 26. Tage der deutschsprachigen
Literatur den mit 21.800 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis einbrachte,
wird das eingangs erwähnte Motto transparent. Denn Glasers "Geschichte
von Nichts" ist ein Text, in dem das so genannte Nichts kein Symbol
für düstere Endzeitfantasien ist, sondern wo - wie Jurorin Konstanze
Fliedl es ausdrückte - "das Nichts das Glück ist"
und einer panoptikumsartigen Logik folgt. In diesem Sinne entwirft Glaser
über die Stimme des Ich-Erzählers eine Reise durch Ägypten,
Griechenland und Italien, wo er den Tod des Onkels sowie die Suche nach
seiner Tante Nelly in abrupt springenden Bildern aufleuchten lässt.
Dass sich die siebenköpfige Jury Sonntagvormittag auf den seit 1980
in Deutschland lebenden Autor einigte, zählt zu den wenigen Lichtblicken
des diesjährigen Wettbewerbs. Ansonsten sank das Stimmungsbarometer
eher in jene grauschattierte Zone der Langeweile, aus der herauszufinden,
nur wenigen Autoren vorbehalten war.
Neben Peter Glaser spielte speziell der Schweizer Autor Raphael Urweider
mit seinem Text "Steine" dem Publikum einen von höchster
Musikalität begleiteten Tonfall ins Ohr.
Sinnliche Sprach-Momente
Sprache, die ein sinnliches Erleben von Inhalt und Form evozierte und
nach dem Prinzip "einer Fuge" (Robert Schindel) funktioniert.
Angesichts der Vielzahl an konventionell bis mittelmäßigen
Textpräsentationen, eine Wohltat, die Urweider allerdings nicht nur
den 3sat-Preis (Dotation: 7.500 Euro) einbrachte, sondern auch jede Menge
Kritik. So sah sich Birgit Vanderbeke beispielsweise von Urweiders Textdichte
"bedrängt" und es wurde einmal mehr (mit wenigen Ausnahmen)
in den Kritikerkanon eingestimmt, wonach "Lyrisierung von Prosa"
- überspitzt formuliert - in Klagenfurt nichts zu suchen habe.
Einzig Jury-Vorstand Robert Schindel blieb strikt bei seiner Auffassung,
dass Poesie und Prosa kein unnahbares Gegensatz-Paar sind, was sich in
weiterer Instanz auch in der Meinung des Publikums spiegelte. Denn der
erstmals verliehene Kelag-Publikumspreis (Dotation: 5.000 Euro) ging an
Christoph W. Bauer (1968 in Kolbnitz/Kärnten geboren, lebt in Innsbruck),
dessen Erzählung "Auf. Stummen" sich ähnlichen, wunderbar
durchrhythmisierten Stilmitteln bedient.
"Klassisch gut" befand die Jury den Erzählton von Anette
Pehnt ("Insel Vierunddreißig") und Mirko Bonné
("Auszeit"), was mit dem Preis der Jury (Dotation: 10.000 Euro),
bzw. dem Ernst-Willner-Preis (Dotation: 8.500 Euro) belohnt wurde.
Soviel zu den PreisträgerInnen und - in diesem Fall - leider auch
erwähnenswerten Texten. Denn mit Ausnahme von Erfriede Kern ("Tabula
rasa") dominierte ansonsten ein Mittelmaß an Fantasie- und
Schreibdichte den Bewerb, der selten wie je zuvor Autorinnen und Autoren
ein Podium verschaffte, die sich ohnedies schon fest in der Verlagsbranche
verankert wissen (siehe Interview mit Konstanze Fliedl).
Neue Ausgangssituation
Während ursprünglich Verlagsleiter, Lektoren und Agenten nach
Klagenfurt fuhren, um etwaige literarische Newcomer ausfindig zu machen,
hat es nun den Anschein, als nütze man das mediale Interesse, um
auf jene Autoren aufmerksam zu machen, deren Manuskript demnächst
im jeweiligen Verlag erscheint. Mag sein, dass eben dieser berechnende
Faktor dem heurigen Klagenfurter "Wettlesen" seinen Reiz stahl
und anstelle von Überraschungen vorwiegend "brave" Texte
zu Gehör brachte, die weder unter die Haut noch in jenes Fach des
Gehirns gingen, das für den Bereich Erinnerung verantwortlich zeichnet.
Seitens der Jury bleibt zu erwähnen, dass mit Pia Reinacher eine
kompetente Nachfolgerin für Elisabeth Bronfen gefunden wurde, wobei
die Kunst des uneitlen Arguments einmal mehr das Spezialressort von Konstanze
Fliedl darstellte. Etwas enttäuschend hingegen Denis Scheck, der
- im Vergleich zu den letzten Jahren - jene Art von Polemik bevorzugte,
die auch Thomas Widmer und Birgit Vanderbeke "originell" finden.
Fazit: Tage der deutschsprachigen Literatur, die mit Peter Glaser einen
würdigen Sieger stellten, aber hinsichtlich der Textauswahl wieder
Wege anpeilen sollten, die zurück in ein spannenderes literarisches
Leben führen könnten.
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