Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt |
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Aargauer Zeitung | |||
01.07.2002 | |||
Ein
Triumph der Welthaltigkeit |
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Seit der Erfindung der Kulturindus-trie im Allgemeinen und des Literaturbetriebs im speziellen ist die Selbsthinterfragung eines ihrer respektive seiner wesentlichsten Charaktermerkmale. Im Gegensatz zum Weltfussballturnier und anderen sportlichen Ausmarchungen, wo mit dem Anpfiff des ersten Spiels jeweils alle Forderungen nach Strukturreformen und personellen Neuerungen schlagartig zu verstummen pflegen, sind literarische Wettkämpfe wie Buchmessen (wo es um um die Marktanteile geht), Nobelpreisvergaben (um die Ehre) oder eben Bachmannpreise (um die Karriere) immer auch Foren kritischer Nabelschau. Diese Erwartung erfüllten die ges-tern mit der Siegerkür zu
Ende gegangenen «26. Tagen der deutschsprachigen Literatur»
spielend. Inbrünstig dis-kutiert wurde etwa die in der Tat höchst
fragwürdige Zauberformel, nach der die siebenköpfige Jury drei
deutsche, zwei österreichische und zwei Schweizer Mitglieder haben
muss. Dieser, das unterschiedliche intellektuelle Potenzial der einzelnen
Länder sträflich ignorierende Verteilschlüssel gilt, seit
das grenzübergreifende 3sat das Klagenfurter Treffen live überträgt
und den ehemals brancheninternen Talentschuppen so zum telegenen Kampflesen
umfunktioniert hat. Ironisches Gefühlskino mit zeitgeschichtlichen Einsprengseln Womit der Wiener Schriftsteller gleichsam die Losung für die diesjährige,
nicht gerade im Zeichen grosser Debattierlust stehenden Austragung vorgegeben
hatte. Nach einem Tag grantigem und vergeblichem Herumstochern in erkalteten
Buchstabensuppen, wo einzig Mirko Bonné die Kampfrichterherzen
zu erwärmen mochte (und dafür immerhin den Ernst-Willner-Trostpreis
garnierte), wurde die Jury am Freitagmorgen dann endlich erstmals fündig.
Und die Erleichterung über die obsessive Humoreske des österreichischen
Stadtneurotikers Peter Glaser war so gross, dass dem 45-Jährigen
für seine (sprachlich jedoch auch nicht mehr als wohltemperierte)
«Geschichte von Nichts» prompt der mit gut 30 000 Franken
dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis zuerkannt wurde. Urweider als einziger Schweizer prämiert Dass diese gelegentlich etwas arg explizite Welthaltigkeit letztlich den Ausschlag im 4:3-Stichentscheid gegen den insgesamt überzeugenderen Beitrag von Anette Pehnt, 35, gegeben hat, darf indessen bezweifelt werden. Schliesslich lässt sich Pehnts «Insel Vierunddreissig» überschriebenes Drama eines hochbegabten Kinds durchaus als bissige Fussnote zur Pisa-Diskussion lesen. Wie dem auch sei: Unumstritten war auch im Fachpublikum, dass die fabulierlustige Freiburgerin und der grotes-ke Grazer heuer in Klagenfurt eine Klasse für sich bildeten, zu der allenfalls noch das wunderbar rotzige Jungtalent Melanie Arms den Anschluss halten konnte. Von den fünf angetretenen Schweizern (wirklich ausnahmslos Männer) schaffte es einzig der Berner Raphael Urweider aufs viel begehrte Medaillentreppchen. Seine von einem Todkranken handelnde und wie ein Requiem durchkomponierte Prosaskizze «Steine» überzeugte durch ihre Musikalität, Bilderkraft und - Sprachleidenschaft. Ein wohltuend horizontweitender, besinnlich wirkender Ausgleich in einem geradezu realitätsversessenen Wettbewerb. Die Preisträgter: Peter Glaser (A): Ingeborg-Bachmann-Preis 2002. Anette Pehnt (D): Preis der Jury. Mirko Bonné (D): Ernst-Willner-Preis. Raphael Urweider (CH): 3Sat-Preis. Christoph W. Bauer (A): Kelag Publikumspreis. |
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