Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Neue Luzerner Zeitung
09.07. 2002
Das 7. Literaturfestival Leukerbad
Von literarischen und anderen Reisen

Beim grossen Finale vom Sonntagnachmittag mit Martin Mosebach, Gert Jonke und Ruth Schweikert war eines klar: Auch das 7. Literaturfestival Leukerbad war ein grossartiger Erfolg.

Die drei Tage intensiver Auseinandersetzung mit Texten, die zahlreichen Gespräche mit Autorinnen und Autoren, das erholsame Bad - dies alles machte zwar ganz schön müde. Doch die Mischung von Literatur und Entspannung wirkte gleichzeitig so anregend, dass alle mit dem Initiator und Leiter des Festivals Ricco Bilger einig waren: Nächstes Jahr kommen wir wieder.
Man muss sich das vorstellen: Da kamen am Samstagabend rund 200 Personen ins still gelegte Bad St. Laurent, bereits um halb acht waren beinahe alle Plätze belegt, obwohl der literarische Abend erst um acht begann; kurz nach Mitternacht - zehn Autorinnen und Autoren waren aufgetreten - waren immer noch alle da, als Sven Regener zu seiner Lesung aus dem Roman «Herr Lehmann» ansetzte, nicht mehr ganz so deutlich artikulierend zwar, aber was solls, schliesslich sagt die Mutter ihrem Sohn schon am Telefon, er solle doch deutlicher sprechen. Ein furioses Ende setzte Gert Jonke mit seinem Text «Abschied», mit dem er sich bedankte «bei Ihnen allen zusammen, mit denen ich so lange zusammengewesen bin».

Das grosse Glück
Das Literaturfestival Leukerbad ist mittlerweile kein Geheimtipp mehr, und die Literaturbegeisterten wissen längst, dass es am ersten Juli-Wochenende auf über 1400 Metern über Meer einiges zu entdecken gibt. Eine solche Entdeckung war Michael Roes, gleich dreimal vertreten als Lyriker, Filmregisseur und Autor des Schelmenstücks «Madschnun al-Malik», das in einer wunderbaren Lesung von Nikola Weisse, Bettina Dieterle und Klaus Henner Russius vorgestellt wurde. Nicht neu, aber trotzdem angenehm ist, wenn der Alleinunterhalter Alain de Botton das Mikrofon ergreift und die Philosophie in Geschichten verpackt, wenn er uns erzählt, dass wir doch beim Reisen alle nur das grosse Glück suchen und immer wieder enttäuscht werden, weil wir uns selbst nicht zu Hause lassen können. Wir hörten ihm gerne zu, und das Glück bestand für einmal darin, nicht allein zu sein mit der Sehnsucht nach dem grossen Glück.
Auch die Schottin A. L. Kennedy fühlte sich sichtlich wohl in Leukerbad. Ihr zurückhaltender Humor, der sich auch in den eigentlich trostlosen Geschichten zeigt, brachte die Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder zum Lachen.
Schön in Leukerbad ist, wie sich Kolleginnen und Kollegen für die Werke der anderen interessieren. Die lange Anreise verhindert, dass sie nach ihrer Lesung gleich wieder davonspringen. Sie besuchen ihre Lesungen gegenseitig, diskutieren untereinander und mit dem Publikum - nicht etwa in den meist unbefriedigenden Fragerunden nach den Lesungen (die gibt es in Leukerbad nämlich nicht), sondern bei einem Glas Wein oder auch im Bad. Und in den literarischen Hors d??uvres: In Gesprächen unter kundiger Leitung reden Autoren und Autorinnen über ihr Metier. Hier stellte zum Beispiel Hartmut Köhler seine deutsche Übersetzung (es ist die erste) des 1000-seitigen, hochmoralischen Scherzbuches «Kritikon» des spanischen Klosterbruders Baltasar Gracián aus dem 17. Jahrhundert vor.


Imhasly, Wehrli, Steiger
Die zahlreichen Schweizer Autorinnen und Autoren, die in Leukerbad lasen, zeigten einmal mehr, wie vielfältig hier das literarische Schaffen ist: Erstmals am Literaturfestival zu hören war der Walliser Pierre Imhasly, der seinen einfühlsamen Essay über «Leni. Nomadin» vortrug. Peter K. Wehrli stellte den «Katalog von Allem» vor, eine Sammlung von 1111 Bildern aus Sprache, die zu schreiben er anfing auf einer Eisenbahnfahrt von Zürich nach Beirut, da er den Fotoapparat zu Hause vergessen hatte. Bruno Steiger las aus einem neuen Roman, dessen Protagonist, ein Bargitarrist, dieses eine Stück «Hotel B» nicht mehr spielen darf, was für ihn existenzgefährdend wird. Wer wenig später den wirklichen Barpianisten spielen hörte, war peinlich berührt, denn so fröhlich-lustig liess sich dies nach der Lesung endgültig nicht mehr sehen.


Notwendiger Luxus
Nicht unerwähnt bleiben darf Andreas Münzner, der am Sonntagmorgen in die «Höhe der Alpen» entführte - und das im Römisch-Irischen Bad. Die gelesene Passage, die den Blick freilegte auf die erstickende Enge in der Kleinfamilie, machte neugierig auf diesen Erstling. Gerne weitergelesen hätte man auch, nachdem Ruth Schweikert das erste Kapitel aus ihrem im Herbst erscheinenden Roman «Ohio» vorgetragen hatte, in dem sich Adrian, der männliche Protagonist, in Südafrika befand, seine Gedanken aber immer wieder zurückschweiften in die Kindheit, die geprägt war von der behinderten Schwester.
Literatur sei ein notwendiger Luxus, meinte Christian Döring, Lektor des DuMont-Verlags, in seiner Laudatio für Lavinia Greenlaw und Michael Hofmann, die mit dem Spycher Literaturpreis Leuk 2002 ausgezeichnet wurden und in den nächsten fünf Jahren jeweils mehrere Wochen im Wallis verbringen werden. Hier werden sie den letztjährigen Preisträgern Thomas Hettche und Durs Grünbein begegnen. Jedes Jahr kommen zwei neue Autorinnen und/oder Autoren dazu, zehn sollen es ab 2005 sein. Literatur wird entstehen, «von der die Süchtigen nie genug haben», wie auch das diesjährige Literaturfestival in Leukerbad mit dem sperrigen Titel «würfelwort komma dampf» in aller Eindrücklichkeit zeigte.

VON LILIANE STUDER


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