Von
literarischen und anderen Reisen
Beim grossen Finale vom Sonntagnachmittag mit
Martin Mosebach, Gert Jonke und Ruth Schweikert war eines klar: Auch das
7. Literaturfestival Leukerbad war ein grossartiger Erfolg.
Die drei Tage intensiver Auseinandersetzung
mit Texten, die zahlreichen Gespräche mit Autorinnen und Autoren,
das erholsame Bad - dies alles machte zwar ganz schön müde.
Doch die Mischung von Literatur und Entspannung wirkte gleichzeitig so
anregend, dass alle mit dem Initiator und Leiter des Festivals Ricco Bilger
einig waren: Nächstes Jahr kommen wir wieder.
Man muss sich das vorstellen: Da kamen am Samstagabend rund 200 Personen
ins still gelegte Bad St. Laurent, bereits um halb acht waren beinahe
alle Plätze belegt, obwohl der literarische Abend erst um acht begann;
kurz nach Mitternacht - zehn Autorinnen und Autoren waren aufgetreten
- waren immer noch alle da, als Sven Regener zu seiner Lesung aus dem
Roman «Herr Lehmann» ansetzte, nicht mehr ganz so deutlich
artikulierend zwar, aber was solls, schliesslich sagt die Mutter ihrem
Sohn schon am Telefon, er solle doch deutlicher sprechen. Ein furioses
Ende setzte Gert Jonke mit seinem Text «Abschied», mit dem
er sich bedankte «bei Ihnen allen zusammen, mit denen ich so lange
zusammengewesen bin».
Das grosse Glück
Das Literaturfestival Leukerbad ist mittlerweile kein Geheimtipp mehr,
und die Literaturbegeisterten wissen längst, dass es am ersten Juli-Wochenende
auf über 1400 Metern über Meer einiges zu entdecken gibt. Eine
solche Entdeckung war Michael Roes, gleich dreimal vertreten als Lyriker,
Filmregisseur und Autor des Schelmenstücks «Madschnun al-Malik»,
das in einer wunderbaren Lesung von Nikola Weisse, Bettina Dieterle und
Klaus Henner Russius vorgestellt wurde. Nicht neu, aber trotzdem angenehm
ist, wenn der Alleinunterhalter Alain de Botton das Mikrofon ergreift
und die Philosophie in Geschichten verpackt, wenn er uns erzählt,
dass wir doch beim Reisen alle nur das grosse Glück suchen und immer
wieder enttäuscht werden, weil wir uns selbst nicht zu Hause lassen
können. Wir hörten ihm gerne zu, und das Glück bestand
für einmal darin, nicht allein zu sein mit der Sehnsucht nach dem
grossen Glück.
Auch die Schottin A. L. Kennedy fühlte sich sichtlich wohl in Leukerbad.
Ihr zurückhaltender Humor, der sich auch in den eigentlich trostlosen
Geschichten zeigt, brachte die Zuhörerinnen und Zuhörer immer
wieder zum Lachen.
Schön in Leukerbad ist, wie sich Kolleginnen und Kollegen für
die Werke der anderen interessieren. Die lange Anreise verhindert, dass
sie nach ihrer Lesung gleich wieder davonspringen. Sie besuchen ihre Lesungen
gegenseitig, diskutieren untereinander und mit dem Publikum - nicht etwa
in den meist unbefriedigenden Fragerunden nach den Lesungen (die gibt
es in Leukerbad nämlich nicht), sondern bei einem Glas Wein oder
auch im Bad. Und in den literarischen Hors d??uvres: In Gesprächen
unter kundiger Leitung reden Autoren und Autorinnen über ihr Metier.
Hier stellte zum Beispiel Hartmut Köhler seine deutsche Übersetzung
(es ist die erste) des 1000-seitigen, hochmoralischen Scherzbuches «Kritikon»
des spanischen Klosterbruders Baltasar Gracián aus dem 17. Jahrhundert
vor.
Imhasly, Wehrli, Steiger
Die zahlreichen Schweizer Autorinnen und Autoren, die in Leukerbad lasen,
zeigten einmal mehr, wie vielfältig hier das literarische Schaffen
ist: Erstmals am Literaturfestival zu hören war der Walliser Pierre
Imhasly, der seinen einfühlsamen Essay über «Leni. Nomadin»
vortrug. Peter K. Wehrli stellte den «Katalog von Allem» vor,
eine Sammlung von 1111 Bildern aus Sprache, die zu schreiben er anfing
auf einer Eisenbahnfahrt von Zürich nach Beirut, da er den Fotoapparat
zu Hause vergessen hatte. Bruno Steiger las aus einem neuen Roman, dessen
Protagonist, ein Bargitarrist, dieses eine Stück «Hotel B»
nicht mehr spielen darf, was für ihn existenzgefährdend wird.
Wer wenig später den wirklichen Barpianisten spielen hörte,
war peinlich berührt, denn so fröhlich-lustig liess sich dies
nach der Lesung endgültig nicht mehr sehen.
Notwendiger Luxus
Nicht unerwähnt bleiben darf Andreas Münzner, der am Sonntagmorgen
in die «Höhe der Alpen» entführte - und das im Römisch-Irischen
Bad. Die gelesene Passage, die den Blick freilegte auf die erstickende
Enge in der Kleinfamilie, machte neugierig auf diesen Erstling. Gerne
weitergelesen hätte man auch, nachdem Ruth Schweikert das erste Kapitel
aus ihrem im Herbst erscheinenden Roman «Ohio» vorgetragen
hatte, in dem sich Adrian, der männliche Protagonist, in Südafrika
befand, seine Gedanken aber immer wieder zurückschweiften in die
Kindheit, die geprägt war von der behinderten Schwester.
Literatur sei ein notwendiger Luxus, meinte Christian Döring, Lektor
des DuMont-Verlags, in seiner Laudatio für Lavinia Greenlaw und Michael
Hofmann, die mit dem Spycher Literaturpreis Leuk 2002 ausgezeichnet wurden
und in den nächsten fünf Jahren jeweils mehrere Wochen im Wallis
verbringen werden. Hier werden sie den letztjährigen Preisträgern
Thomas Hettche und Durs Grünbein begegnen. Jedes Jahr kommen zwei
neue Autorinnen und/oder Autoren dazu, zehn sollen es ab 2005 sein. Literatur
wird entstehen, «von der die Süchtigen nie genug haben»,
wie auch das diesjährige Literaturfestival in Leukerbad mit dem sperrigen
Titel «würfelwort komma dampf» in aller Eindrücklichkeit
zeigte.
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