Pressetexte zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

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30.06.2002
26. Ingeborg-Bachmann-Preis geht an Österreicher Peter Glaser

Der Preis in Gedenken an die in Klagenfurt geborene Dichterin Ingeborg Bachmann ist mit 21 800 Euro dotiert und gilt als eine wichtigste Auszeichnungen für literarische Erstveröffentlichungen im deutschsprachigen Raum.

Der 26. Ingeborg-Bachmann-Preis geht an den österreichischen Autor Peter Glaser. Diese Entscheidung hat die siebenköpfige Jury nach einer Stichwahl bekannt gegeben. Der 1957 in Graz geborene Autor begeisterte mit dem Text «Geschichte von Nichts».

Bei den 26. Tagen der deutschsprachigen Literatur hatten drei Tage lang 16 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unveröffentlichte Texte vorgestellt.

Bei den 26. Tagen der deutschsprachigen Literatur sind im folgende Preise vergeben worden.

Ingeborg-Bachmann-Preis der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt (21 800 Euro): Peter Glaser, geboren 1957 in Graz, lebt in Berlin, für die «Geschichte von Nichts».

Preis der Jury (10 000 Euro): Anette Pehnt, geboren 1967 in Köln, lebt in Freiburg/Breisgau, für den Romanbeginn «Insel Vierunddreißig».

Ernst-Willner-Preis der Verlage (8 500 Euro): Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt in Dassendorf, für die Erzählung «Auszeit».

3Sat-Preis (7 500 Euro): Raphael Urweider, geboren 1974 in Biel, lebt in Bern, für die Erzählung «Steine».

Kelag-Publikumspreis (5 000 Euro): Christoph W. Bauer, geboren 1968 in Kolbnitz/Kärnten, lebt in Innsbruck, für den Textauszug «Auf.Stummen».

Bachmann-Preisträger Glaser: Die zerstückelte Welt zusammensetzen

Peter Glaser vertraut auf die Macht der Sprache: «Literatur bietet die Möglichkeit, die Welt, die wir nur mehr fragmentarisch und zerstückelt wahrnehmen, versuchsweise wieder zusammen zu setzen». Mit seiner «Geschichte von Nichts» hat der in Berlin lebende österreichische Autor und Journlaist die Jury beim diesjährigen Wettlesen um den Bachmann-Preis überzeugt.

Auch darin zeigt er die Welt als ein Puzzle aus verschiedenen Realitäten, in dem die Menschen oft genug orientierungslos bleiben, sich wenig zu sagen haben und das Wenige in Phrasen und Witzen verpacken.

Literatur muss das pure Leben spiegeln, sagt Glaser, der seinen Sieg in Klagenfurt an seinem 45. Geburtstag feiern kann. Sein eigenes Leben ist geprägt von Ortswechseln, persönlichen Verlusten - und von einer grossen Leidenschaft für die Literatur. Schon als Schüler habe ihn die literarische Avantgarde seiner Heimatstadt Graz fasziniert, sagt der Preisträger. Doch im österreichischen Literaturbetrieb fand Glaser keinen Platz. Der «Grossstadtromantiker», wie er sich selbst bezeichnet, ging nach Hamburg, jobbte als Packer und Setzer, bevor er sich als Schriftsteller und Journalist, vor allem zu Internet-Themen, etablierte.

Dass er sich in der Welt nur mit Schmerzen bewegen kann und wegen einer Rheuma-Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen ist, macht der 45-jährige nicht offensichtlich zum Thema. Seine Texte und Romane sind auf unterschwellige Weise durchdrungen von grossem Wissen um die möglichen Abgründe im Leben. Glaser lässt seine Lebenserfahrung nicht in direktem, pathetischem Ton einfliessen in sein Werk. Von einer distanzierten Position aus legt er, was er weiss von der Welt und vom Menschen, der Struktur seiner Arbeit zu Grunde.

Da klingt bisweilen Sarkasmus an, doch vor allem eine kenntnis- und erlebnisreiche Innensicht jener Phänomene, die mit den abstrakten Begriffen «Cyber world» oder «Globalisierung» die Gegenwart beschreiben. Als junger Schriftsteller begeisterte er sich für alles, was mit Computer zu tun hatte und gehörte er im Hamburg der 80er Jahre zu jenen Autoren, die mit Computer-Experimenten den Literaturbetrieb aufmischten. Einmal, in Kassel, setzte er bei einer Lesung dem Publikum einen Computer vor und glänzte selbst durch Abwesenheit. Die Bedienungsanleitung kam vom Tonband, die Zuhörer waren begeistert.

Der Chaos Computer Club war seine Heimat. Dann aber unterlief dem Journalisten Glaser ein Fehler, der zum «persönlichen Super-Gau» wurde. Als geistiger Vater der Computerzeitung «Konrad» veröffentlichte er - aus «Schludrigkeit», wie er sagt - Namen aus der Hacker-Szene und verletzte damit den Ehrencodex der Cyber-Gemeinde. Als Pionier der Netzkultur lernte er im Cyberspace auch die Frau kennen, die er Monate später heiratete. Nach acht Jahren wurde die Ehe geschieden.

Seine exemplarische Biografie als Akteur und Beobachter der digitalen Welt, spiegelt die globale Aufbruchstimmung und Cyber- Euphorie der 90er Jahre ebenso wie die folgende Enttäuschung, die er genau, aber ohne Zynismus schildert. Seit seinem Debüt 1983 mit dem Roman «Der grosse Hirnriss» hat er sich auch mit Kurzgeschichten wie «Schönheit in Waffen» und Essays einen Namen gemacht.

Der Bieler Lyriker Raphael Urweider (28) erhielt für seine Arbeit «Steine» den vierten, den «3sat»-Preis.

Urweiders lyrische Prosa sei auf «sprachlich so hohem Niveau wie nur wenige dieses Jahr», lobte Juror Denis Scheck. Urweider studierte Germanistik und Philosophie. Er macht Theatermusik, tritt mit Rap- und HipHop-Projekten in Erscheinung und beteiligt sich gelegentlich an Slam Poetry Veranstaltungen. Die Kölnerin Anette Pehnt bekam für «Insel 34» den Preis der Jury, der Deutsche Mirko Bonné für «Auszeit» den Ernst-Willner-Preis. Den vom Publikum im Internet vergebenen Kelag-Preis erhielt Christoph W. Bauer aus Innsbruck.

 


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