Zoë Jenny sei eine tolle Autorin, heisst es. Belegen lässt sich
das auch mit dem dritten Roman nicht. Dafür verdient sie gut
VON REGULA FREULER
Das konnte nicht lange gut gehen. Eine Hand voll junger, fotogener Menschen
schreibt je ein erfolgreiches Buch, et voilà, fertig ist die neue
Schriftstellergeneration. Die Wirklichkeit hat sich dann ein bisschen
schwieriger gestaltet. Für viele Autoren gabs Vorschusslorbeeren,
für einige sogar viel Geld, doch die geschürten Erwartungen
konnten die wenigsten erfüllen. Shootingstar erster Stunde und bestes
Beispiel für eine sich ausbreitende Katerstimmung ist die 28-jährige
Baslerin Zoë Jenny, die nun ihren dritten Roman geschrieben hat.
Und "Ein schnelles Leben" beendet, was vor fünf Jahren
mit dem "Blütenstaubzimmer" begonnen hat: die Geschichte
einer Überschätzung.
Scheu sitzt sie am Tisch wie eine Schülerin, die gerade ihre Hausaufgaben
abgegeben hat. So darf man sich auch Ayse vorstellen, die jugendliche
Protagonistin in "Ein schnelles Leben", wenn sie dem angebeteten
Deutschlehrer heimlich geschriebene Geschichtchen anvertraut. Wie schon
in Jennys ersten beiden Romanen geht es auch diesmal um den schmerzvollen
Prozess des Erwachsenwerdens eines Mädchens. Überhaupt fragt
man sich, ob es denn irgendetwas im neuen Buch gibt - Figuren, Verlauf
der Geschichte, Schlüsselstellen -, das man nicht schon aus Jennys
bisherigem Mikrokosmos kennt. Man sucht lange, und man sucht vergeblich.
Zoë Jenny staunt und findet, ihre Bücher seien unvergleichbar
Wieder ist da ein Mädchen, das sich in den Pausen gerne auf der
Schultoilette versteckt; wieder eine desinteressierte Mutter; wieder ein
irgendwie (emotional, mental oder physisch) abwesender Vater. Auch nicht
neu sind: eine mütterliche Ersatzfigur; ein Teenagerpärchen,
das in den Süden fliehen will; inzestuöse Anspielungen; Deflorierung
inklusive Blutfleck ... Wieso ein Neuaufguss, will man von Zoë Jenny
gerne wissen, die schon beim zweiten Roman kritisiert wurde, bloss eine
schale Kopie des erfolgreichen Debüts abgeliefert zu haben.
Zoë Jenny staunt. Sie findet, ihre Bücher seien ganz verschieden,
unvergleichbar. Meint sie das ernst? Durchaus. Ebenso ernst beantwortet
sie Interviewfragen mit Platitüden, deren Abdruck sie später
verweigert. Nicht nur bei Jennys Romanfiguren wünscht man sich mehr
Substanz, man wünscht sie sich auch bei der Autorin.
Aber vielleicht ist das nur ein Missverständnis; so wie die Vermutung,
das neue Cover bilde Zoë Jenny ab, die den Kritikern und Neidern
(die sie überall vermutet) den Rücken zuwendet: Ihr könnt
mich alle mal. Doch nein, es ist jemand anders, korrigiert die Autorin,
und es gehe eher um den Blick aufs weite Meer. Jetzt an Rosamunde Pilcher
zu denken ist kein Missverständnis mehr, sondern schlichtweg unvermeidlich.
Dasselbe bei der Story, die man aus Familienvorabendserien kennt: Ayse,
vom Bruder eifersüchtig bewachte Tochter türkischer Einwanderer,
verknallt sich vom Fenster der Schultoilette aus in den deutschen Jungen
Christian. Doch zu dessen Freunden zählen eine Reihe jugendlicher
Neonazis. In einer Art Bandenkrieg schiesst Christian Ayses Bruder nieder,
worauf die Pausenhof-Klofenster-Turteltauben in den Süden fliehen.
Dort lässt Zoë Jenny das Berliner Romeo-und-Julia-Pärchen
von stürmischen Winden verwehen beziehungsweise in den Wasserfluten
ertrinken. TV-Stoff der tragischen Variante.
Die flache Figurenzeichnung, die Soap-Opera-taugliche Konstruktion und
zu allem Unglück eine Schreibe, die abgegriffen ist bis zur letzten
Zeile, machen die Lektüre zu einer ärgerlichen Angelegenheit.
Von der ansatzweise vorhandenen charismatischen Innenperspektive und dem
geheimnisvoll verdichteten Erzählstil des "Blütenstaubzimmers"
ist keine Polle übrig geblieben. Statt dessen züchtet Jenny
über ihre drei Romane hinweg, was in ihrer Prosa von Beginn an angelegt
war und wofür auch die zentralen Motive (ein Zimmer voller Blütenstaub;
ein Muschelhorn als Sprachersatz) überdeutlich stehen: süsslich-sentimentale
Stilblüten und altkluge Lebensweisheiten.
In der Euphorie über ein neues deutsches Erzählen überlasen
viele im "Blütenstaubzimmer" die poetisch bemühten
Phrasen. Da gab es etwa Trauerweiden, auf deren Ästen "die Last
aller Tränen dieser Welt liegt". Im "Ruf des Muschelhorns"
(2000) wiederum befürchtet die Grossmutter, der Wind könne "den
Rauch im Zimmer mitsamt ihrer Seele mitnehmen und beides für immer
forttragen". Zahllos dann die klebrigen Metaphern und Vergleiche
im neuen Roman: "Es gibt eine Art von Liebe, die ist wie ein Nachtfalter,
der sich ins Licht stürzt und verbrennt." Oder, schlimmer noch:
"Sie hatte gelebt wie die Königin der Nacht, die ihre Blüte
öffnet, um ihren Duft zu verströmen in einer einzigen Stunde."
Eine halbe Million Mark Vorschuss soll der Aufbau Verlag vor drei Jahren
für das noch ungeschriebene Manuskript auf Jennys Konto überwiesen
haben. Solche Vorschüsse sind bei Autoren besonders populär,
denn sie sind nicht rückzahlbare Garantiehonorare. Sie hängen
vom jeweiligen Marktwert ab. Der wiederum ist das Ergebnis einer Mischrechnung
aus bisherigem Verkaufserfolg, Vermarktungspotenzial und Einschätzung
des Publikumsgeschmacks.
Seit kurzem ziehen selbst Teenager wie Benjamin Lebert, der 1999 als 17-Jähriger
mit dem Internatsroman "Crazy" einen Bestseller gelandet hat,
beträchtliche Summen für ungeschriebene Bücher an Land.
Seit den Verlagen die Lust vergangen ist, für mittelmässige
US-Romane Hunderttausende zu bezahlen und Literaturagenten den deutschsprachigen
Nachwuchs systematisch vermarkten, sind die Preise für hiesige Literaturware
spürbar gestiegen. In Einzelfällen stiess das Angebot auf eine
tatsächliche Nachfrage bei den Lesern und erzielte gigantische Auflagen.
Die Autoren konnten profitieren, die Verlage zahlen drauf
Jennys "Blütenstaubzimmer" (1997) verkaufte sich 255 000-mal,
von Judith Hermanns "Sommerhaus, später" (1998) gingen
bisher 250 000 Exemplare über die Ladentische, Leberts "Crazy"
fand 560 000 und Florian Illies'' essayistisches Sachbuch "Generation
Golf" (2000) gar 600 000 Käufer. Die Presse schrieb die Autorinnen
zu "Fräuleinwundern" hoch oder meinte, in der Enkelgeneration
endlich würdige Nachfolger von Günter Grass, Heinrich Böll
und Ingeborg Bachmann gefunden zu haben. Doch wo die Jagd nach dem neuesten
Wunderkind immer schrillere Ausmasse annimmt, wird es für die unter
Produktionszwang stehenden Autoren schwieriger, das - tatsächliche
oder nur unterstellte - Niveau zu halten. Schnell geraten sie wieder in
Vergessenheit.
Robert Schneider ("Schlafes Bruder") etwa ist heute bloss noch
eine Episode. Dabei war er einer der ersten Gegenwartsautoren, der einen
Vorschuss von einer Million Mark verlangte - und erhielt. Einige Autoren
konnten von der neuen Aufbruchstimmung profitierten, die Verlagshäuser
hingegen eher selten. Der Berlin Verlag beispielsweise, der Susanne Riedel
für ihren zweiten Roman ("Die Endlichkeit des Lichts")
100 000 Mark vorab bezahlt und bis jetzt rund 20 000 Exemplare verkaufte.
Nicht schlecht, doch kein spektakuläres Geschäft. Mediale Aufmerksamkeit
allein garantiert keinen Absatz, wie auch der Aufbau Verlag bei Tanja
Dückers feststellen musste. Trotz heftiger Medienpräsenz fand
ihr Debütroman ("Spielzone") lediglich 3000 Käufer;
7000 waren es bei dem Erzählungsband "Café Brazil".
Nicht erst seit der aktuellen Buchmarktkrise mit ihrem dramatischen Umsatzrückgang
hat sich in der Branche Ernüchterung breit gemacht. Die Verlage werden
zurückbuchstabieren müssen, Zoë Jenny & Co. ebenso.
Zoë Jennys Marktwert dürfte definitiv in den Keller sinken
Das Phänomen Jenny zeigt, dass literarische Aspekte schon mal eine
untergeordnete Rolle spielen - wichtiger war die neue Lust am Zocken.
Die Berliner Agentur Eggers & Landwehr (die sich vor drei Jahren vergeblich
um Jenny als Klientin bemühte) taxierte Jennys Marktwert damals auf
500 000 Mark. Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz mochte sich dem anschliessen,
zückte sein Checkheft und konnte die Autorin so von der Frankfurter
Verlagsanstalt abwerben. Kaufmännisch ist das nicht verständlich.
Schliesslich musste Frau Jenny Verkaufseinbussen von 80 Prozent zwischen
dem ersten (255 000 verkaufte Exemplare, 26 Auslandslizenzen) und dem
zweiten Buch (50 000 Exemplare, 8 Lizenzen) hinnehmen. Es ist äusserst
unwahrscheinlich, dass der Verlag seine Ausgaben wieder einspielen wird.
Und so dürfte Zoë Jennys Marktwert definitiv in den Keller sinken.
Wie viele ihrer Schriftstellerkollegen schaffte sie es nicht, dem Hype
um ihre Person auch eine literarische Entwicklung folgen zu lassen. Ambitionen
hat sie. Und die machen vielleicht einen Büchersommer. Für eine
schriftstellerische Zukunft reichen sie nicht.
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