Margit Breuss - Österreich, am Ende

Das Ende Österreichs, das westliche, liegt mitten im Wasser. Oder der Anfang, wie die Vorarlberger gern sagen, aber das tut hier nichts zur Sache. Zwischen den Wellen geht es leicht verloren. Bis heute habe ich es nicht gefunden: Liegt es in den Schaumkronen, die sich bisweilen unter der Mitte der Rheinbrücke kräuseln? Oder ist es die Stelle, an der gerade ein Erpel den Schnabel ins Wasser steckt? Kaum hatte ich mich entschieden und das Dreiländereck fixiert, bewegte es sich auch schon flussabwärts. Und weil es auch das Ende der Europäischen Union ist, dieses Dreiländereck, derweil, bis nach Frankreich hinüber, und deshalb viel Verantwortung darin liegt für ganz Europa, darf das nicht sein. Nicht auszudenken, wenn es einfach den Rhein hinunterschwämme, durch den Bodensee durch oder gar bis Köln hinauf. Dann wäre heute drinnen, wer morgen draußen ist und draußen, wer morgen drinnen ist. Auf Grenzen will man sich verlassen können.

Dabei hat es die Grenze zu Liechtenstein nicht leicht hier herunten. Die Schweizer Grenze hat immerhin den Rhein, das verschafft Respekt. Aber die Liechtensteiner Grenze verläuft zwischen dem Spitzwegerich im Bangser Ried und dem Löwenzahn in Ruggel drüben. Damit man weiß, dass der Spitzwegerich ein österreichischer ist, der Löwenzahn dagegen ein liechtensteiner, haben Leute Holzstecken ins Feld gesteckt. Rot-weiss-rote herüben und blaurote gleich daneben, dort ist dann drüben.

Weiter oben, im Dorf, gibt es einen Grenzübergang, damit die Menschen bequem ihre Nachbarn auf der anderen Seite besuchen können und auch einkaufen gleich hinter der Grenze. Auf der anderen Seite sind die Zigaretten billiger und der Zucker. Als ich noch klein war, ist meine Mutter mit dem Fahrrad hinübergefahren und hat eine ganze Tasche voll gekauft zum Obst-Einkochen. Das war dann geschmuggelt. Die Leute haben immer große Freude gehabt mit ihren geschmuggelten Sachen und stolz waren sie auch, weil das Schmuggeln so gefährlich war. Ich habe aber große Angst davor gehabt, weil das Fahrrad so gewackelt hat mit der schweren Tasche und mit mir hintendrauf. Einmal wären wir in einer Kurve fast hingefallen.

Mit der EU ist die Grenze strenger geworden. Gemerkt haben die Leute das an einer Schießerei. Sie haben aber nicht einsehen wollen, dass Zöllner erschossen werden, nur weil die Grenze so streng geworden ist. Das österreichische Zollamt wurde dann kurzerhand über die Grenze hinüber zu den Liechtensteinern verlegt. So können sie sich gegenseitig beschützen, die Zöllner, die inländischen und die ausländischen. Mit vereinten Kräften garantieren sie jetzt unsere Sicherheit und bewachen die Grenze. Bis Mitternacht, dann werden die Schranken herunter gelassen. Und weil es beim Zollamt einen Bach gibt zwischen der Europäischen Union und dem Fürstentum, bekäme man nasse Füße, wenn man sich um die Schranken herumdrückte, heimlich und bei Nacht und Nebel.

Aber im Ried unten, dort, wo Österreich wirklich bald zu Ende geht, muss man schon aufpassen, dass man nicht illegal aus der EU aus- und nach Liechtenstein einreist. Weil die Zöllner nicht die ganze Zeit aufpassen können auf die ganzen Grenzen dort unten, haben sie ein Schild aufgestellt beim Feldweg, der nach Ruggel hinüber führt. Dass man an dieser Stelle hinüber gehen darf und retour, sofern man einen Ausweis bei sich trägt und keine Schmuggelware. Damit man auch erkennt, dass das ein Grenzübergang ist, steht eine schöne neue Tafel bei den rotblauroten Stangen drüben, auf der Fürstentum Liechtenstein steht und auf der alle Wanderwege eingezeichnet sind im Naturschutzgebiet. Damit sich die Österreicher nicht genieren müssen, wenn die Liechtensteiner herüberschauen, haben sie herüben auch ein Schild aufgestellt. Kaiserthum Österreich steht drauf. Ganz neu schaut es nicht aus, aber die Liechtensteiner sind ja bekanntlich auch reicher als die Österreicher.

Weil die Liechtensteiner so reich sind, ist es auch selten, dass sie illegal in die Europäische Union einreisen. Sonst gäbe es schreckliche Flurschäden, wenn angenommen tausend Liechtensteiner am Sonntagnachmittag zwischen den Birken und den rotweißroten Stecken herüberspazieren würden. Weil Kontrolle aber besser ist als Vertrauen, und damit man sich hinterher keine Vorwürfe machen muss, patrouillieren da Zöllner die Stecken entlang, manchmal am Sonntagnachmittag und auch sonst. Und auch mit dem Fernglas nehmen sie die Stecken ins Visier. So sagt man. Trotzdem, erzählen Sie das jetzt aber wirklich Niemandem, einmal habe ich es getan. Am einem Sonntagvormittag, als die Leute in der Kirche waren. Hinter den Birken. Ganz geschwind habe ich das linke Bein ins Liechtensteinische hinüber gestellt.


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