Das Ende Österreichs, das
westliche, liegt mitten im Wasser. Oder der Anfang, wie die
Vorarlberger gern sagen, aber das tut hier nichts zur Sache.
Zwischen den Wellen geht es leicht verloren. Bis heute habe
ich es nicht gefunden: Liegt es in den Schaumkronen, die sich
bisweilen unter der Mitte der Rheinbrücke kräuseln?
Oder ist es die Stelle, an der gerade ein Erpel den Schnabel
ins Wasser steckt? Kaum hatte ich mich entschieden und das
Dreiländereck fixiert, bewegte es sich auch schon flussabwärts.
Und weil es auch das Ende der Europäischen Union ist,
dieses Dreiländereck, derweil, bis nach Frankreich hinüber,
und deshalb viel Verantwortung darin liegt für ganz Europa,
darf das nicht sein. Nicht auszudenken, wenn es einfach den
Rhein hinunterschwämme, durch den Bodensee durch oder
gar bis Köln hinauf. Dann wäre heute drinnen, wer
morgen draußen ist und draußen, wer morgen drinnen
ist. Auf Grenzen will man sich verlassen können.
Dabei hat es die Grenze zu Liechtenstein
nicht leicht hier herunten. Die Schweizer Grenze hat immerhin
den Rhein, das verschafft Respekt. Aber die Liechtensteiner
Grenze verläuft zwischen dem Spitzwegerich im Bangser
Ried und dem Löwenzahn in Ruggel drüben. Damit man
weiß, dass der Spitzwegerich ein österreichischer
ist, der Löwenzahn dagegen ein liechtensteiner, haben
Leute Holzstecken ins Feld gesteckt. Rot-weiss-rote herüben
und blaurote gleich daneben, dort ist dann drüben.
Weiter oben, im Dorf, gibt es einen
Grenzübergang, damit die Menschen bequem ihre Nachbarn
auf der anderen Seite besuchen können und auch einkaufen
gleich hinter der Grenze. Auf der anderen Seite sind die Zigaretten
billiger und der Zucker. Als ich noch klein war, ist meine
Mutter mit dem Fahrrad hinübergefahren und hat eine ganze
Tasche voll gekauft zum Obst-Einkochen. Das war dann geschmuggelt.
Die Leute haben immer große Freude gehabt mit ihren
geschmuggelten Sachen und stolz waren sie auch, weil das Schmuggeln
so gefährlich war. Ich habe aber große Angst davor
gehabt, weil das Fahrrad so gewackelt hat mit der schweren
Tasche und mit mir hintendrauf. Einmal wären wir in einer
Kurve fast hingefallen.
Mit der EU ist die Grenze strenger
geworden. Gemerkt haben die Leute das an einer Schießerei.
Sie haben aber nicht einsehen wollen, dass Zöllner erschossen
werden, nur weil die Grenze so streng geworden ist. Das österreichische
Zollamt wurde dann kurzerhand über die Grenze hinüber
zu den Liechtensteinern verlegt. So können sie sich gegenseitig
beschützen, die Zöllner, die inländischen und
die ausländischen. Mit vereinten Kräften garantieren
sie jetzt unsere Sicherheit und bewachen die Grenze. Bis Mitternacht,
dann werden die Schranken herunter gelassen. Und weil es beim
Zollamt einen Bach gibt zwischen der Europäischen Union
und dem Fürstentum, bekäme man nasse Füße,
wenn man sich um die Schranken herumdrückte, heimlich
und bei Nacht und Nebel.
Aber im Ried unten, dort, wo Österreich
wirklich bald zu Ende geht, muss man schon aufpassen, dass
man nicht illegal aus der EU aus- und nach Liechtenstein einreist.
Weil die Zöllner nicht die ganze Zeit aufpassen können
auf die ganzen Grenzen dort unten, haben sie ein Schild aufgestellt
beim Feldweg, der nach Ruggel hinüber führt. Dass
man an dieser Stelle hinüber gehen darf und retour, sofern
man einen Ausweis bei sich trägt und keine Schmuggelware.
Damit man auch erkennt, dass das ein Grenzübergang ist,
steht eine schöne neue Tafel bei den rotblauroten Stangen
drüben, auf der Fürstentum Liechtenstein steht und
auf der alle Wanderwege eingezeichnet sind im Naturschutzgebiet.
Damit sich die Österreicher nicht genieren müssen,
wenn die Liechtensteiner herüberschauen, haben sie herüben
auch ein Schild aufgestellt. Kaiserthum Österreich steht
drauf. Ganz neu schaut es nicht aus, aber die Liechtensteiner
sind ja bekanntlich auch reicher als die Österreicher.
Weil die Liechtensteiner so reich
sind, ist es auch selten, dass sie illegal in die Europäische
Union einreisen. Sonst gäbe es schreckliche Flurschäden,
wenn angenommen tausend Liechtensteiner am Sonntagnachmittag
zwischen den Birken und den rotweißroten Stecken herüberspazieren
würden. Weil Kontrolle aber besser ist als Vertrauen,
und damit man sich hinterher keine Vorwürfe machen muss,
patrouillieren da Zöllner die Stecken entlang, manchmal
am Sonntagnachmittag und auch sonst. Und auch mit dem Fernglas
nehmen sie die Stecken ins Visier. So sagt man. Trotzdem,
erzählen Sie das jetzt aber wirklich Niemandem, einmal
habe ich es getan. Am einem Sonntagvormittag, als die Leute
in der Kirche waren. Hinter den Birken. Ganz geschwind habe
ich das linke Bein ins Liechtensteinische hinüber gestellt. |