Diskussion nach Lesung von Katrin
de Vries. Die deutsche Autorin wurde vorgeschlagen von Thomas
Steinfeld und las den Text "Die Lust am Walde" (Auszug
aus einem langen Prosatext)
"Ich bin absolut ratlos"
Josef Haslinger: "Ich kann
nur konstatieren, dass ich ratlos bin, absolut ratlos. Ich
weiß nicht, wer hier spricht. Es ist ein alter, märchenhafter
Ton, es ist kein Erzähler im Sinne des Märchens,
sondern der Literatur. Aber er kümmert sich nicht um
die Literatur. Alle Satzzeichen werden verweigert, mit Ausnahme
des Punkts.
Die Dialoge sind so, als wären
es nicht direkte Personenreden, die man sich realistisch vorstellen
kann, sondern als wären es Dialoge, die ihre dramatische
Funktion überlaufen. Zitierte Reden, Figuren, die irgendwas
zitieren, aber ich weiß nicht, was. Es kommen Assoziationen
auf, wie zu Herr der Ringe, Starwars, mythologische Assoziationen.
"Übersetzung aus einer unbekannten
Kultur"
Burkhard
Spinnen: "Eines meiner Ratlosigkeitssignale wurde so
gewertet, als würde ich mich melden. Ich habe gedacht,
das könnte eine Übersetzung aus einer Literatur
sein, dessen Kultur ich absolut nicht kenne. Wie aus Zentralafrika,
jemand hat das übersetzt in einem Ton, der wie ein Märchen
klingt. Aber hinter jedem Satz ist ein kultureller Kontext,
der in der Übersetzung verloren gegangen ist.
Das macht einen gewissen Reiz aus.
Dann kommen Verweise auf Jetzt und Hier - Notrufsäulen,
Auto etc. und die Stammzellen, die im Zigarettendöschen
sind. Da kriegt man ein wüstes Assortement von Stilen
und kulturellen Versatzstücken. Mit dem Text komme ich
mir vor wie Freitag, der auf die Insel kommt und die Literatur
wird dort erfunden."
Steinfeld: "Bin verwirrt"
Thomas Steinfeld: "Ich bin
verwirrt, weil so getan wird, als sei die einzige Erzählbedingung
die Realisitische. Natürlich gibt es solche Geschichten
unter Tradition. Diese Geschichte würde uns nicht komisch
vorkommen, wenn wir sie mit dem späten Becket vergleichen
könnten. "
"Kein Vergleich mit Herr der Ringe"
Norbert Miller: "Ich habe auch
Assoziationen, bin auch ratlos. Ich habe den Verdacht, dass
es die Ziege am besten hat." Eine Assoziation habe er
nicht, nämlich die zu Herr der Ringe oder Starwars. Herr
der Ringe sei eine ausgetüftelte, erfundene und genau
ausgearbeitete und in sich kohärent gearbeitete Mythologie.
Ich assoziiere auch nicht zu Becket, den der ungeheuer verschlossene
Becket, wenn er myhtologische Anspielungen gemacht hätte,
würde man kaum assoziativ verwenden könnte. "Mir
scheint das an andere Richtungen anzuschließen, z.B.
was vor 100 Jahren das Märchen war."
"Man ist im Wald"
Iris
Radisch: "Man ist im Wald, behauptet der Text, zu ein
Geheimnis, das auf einer Lichtung enthüllt wird. Es wird
etwas imitiert, ich frage mich was. Es ist eine Kunstsprache,
romantische Motive, aber vor allem auch etwas Altertümelndes,
Altherrenhaftes. Ich frage mich, in welcher Absicht. Es ist
eine aufgeräumte Erzählwelt, wie in einer ordentlichen
altertümlichen Literatur, die die Moderne nicht kennt.
Das kommt mir alles sehr kostbar vor, aber ich habe Zweifel."
Ilma
Rakusa: "Wir haben den Fernsehfilm gesehen, aber
auch ohne fehlen mir die ergänzenden Bilder. Es ist manchmal
fast wie Regieanweisungen. Es ist ein Märchen, ein Theaterstück,
eine Parabel, aber auch ein Bilderbuch ohne Bilder. Es ruft
nach Bildern."
Thomas
Steinfeld konterte, es gehe in Ordnung, eine Geschichte
ohne Realismus und Psycholgoie zu schreiben. Natürlich
werden Assoziationen von Theater geweckt werden.
"Ich kapituliere"
Daniela Strigel: "Ich muss
zugeben, dass ich auf die FAZ nicht gekommen wäre, aber
ich kann die Konsequenz nachvollziehen. Es hat auch etwas
Rätselhaftes. Ich wundere mich, dass im hohen Norden
von Erdäpfeln die Rede ist. Es ist bedeutungsschwanger,
ohne das werten zu wollen. Beachten muss man auch, dass es
ein Auszug aus einem langen Prosatext ist. "
Ursula
März: "Ich kapituliere vor dem Text, es geht
mir schlechter, als den Ratlosen. Wenn es einen Aufsatzband
dazu gibt, wird diese Prosa interessant."
Burkhard
Spinnen tröstet: "Ratlosigkeit ist ja nichts
Schlechtes."
Ursula
März: Ein Text, zu dem man viel denken muss, aber
die literarische Luft wird dünn. "Vielleicht liegt
es an mir, dass ich schon im Zwischenlager schlapp mache."
Burkhard
Spinnen an Thomas Steinfeld: "Ich vermisse nicht
so viele Realismus, er erscheint mir nicht so surreal. Es
ist ein "Familientreffen", das kann ich in die Alltagserfahrung
einbauen. Es ist der Versuch, die Sprache in einer Art Nullraum
anzusiedeln, der in keine Richtung historisch oder rhetorisch
ausschlägt."
Radisch konterte sofort, die Sprache
sei immer etwas über dem Erdboden, immer ein bisschen
schöner.
"Bin auch ratlos"
Josef
Haslinger sah durchaus Realismus und Psychologie im Text,
z.B. im Monolg des Pförtners. "Was nicht mehr da
ist, ist das Spiel mit der Psychologie des Lesers. Man hat
aber Figuren, die verwechselbar sind, sie sind nicht fassbar
als Individuen. Die Frage stellt sich, warum werden sie dann
aber als Individualfiguren ausgestattet? Ich weiß nicht,
was der Motor dieses Textes ist. Ich verweigere nicht die
Moderne und bin trotzdem ratlos."
"Text will verschlossen bleiben"
Iris Radisch: Vielleicht sei das
Kästchenmotiv doch wichtiger. Vielleicht sei der ganze
Text eine Art Kästchen, versucht sie sich in einer Erklärung.
"Der Text will luftdicht verschlossen bleiben."
Daniela Strigl: Vielleicht sollte
man die Ironie nicht unter den Tisch fallen lassen. Der Mann
macht den Koffer viel zu spät auf. Der Vater hat erwartet,
dass der Sohn das spätestens einen Tag nach dem Tod öffnet.
Er hat es aber das ganze Leben mit sich herumgetragen. "Das
schwere nichts lastet auf diesem Text."
"Zwischen Brüder Grimm und
Bullerbü"
Norbert Miller: "Die Beschreibung
einer Ethnographie braucht einen entsprechenden Stil. Die
Schwierigkeit hier liegt darin, dass der Stil, der gewählt
ist, der überhobene, Volksmärchenstil ist. Zwischen
Brüder Grimm und Kinder von Bullerbü ist dafür
nicht geeignet. Immer vorausgesetzt, das war überhaupt
beabsichtigt. Vielleicht öffnet sich das auch im weiteren
Verlauf der Geschichte." |