Oswald Egger wurde
von Ilma Rakusa eingeladen und las den Text "Prosa, Proserpina,
Prosa"
Iris
Radisch: Ich möchte zu Beginn fragen, wir haben
zweieinhalb Tage Prosatext oder poetische Prosa gehört.
Ist das nicht ein Gedicht? Können wir dann Äpfel
mit Birnen vergleichen?
"Herr Egger stellt diesen Anspruch"
Norbert Miller: Mit der Überschrift
stellt Herr Egger diesen Anspruch. Dem müssen wir uns
stellen und uns auf einen Text, der mit großen Applomb
und Aufwand an Spracherfindung, Assoziationen versucht, die
Geschichte der Proserpina zu erzählen. Wir sollten die
alten Gattungsunterschiede nicht so streng einhalten. Wir
müssen Äpfel mit Birnen vergleichen. Es fordert
unsere Leidenschaft, Texte aufzulösen, heraus. Wir werden
stranden, da bin ich sicher.
"Da wurde ein Fehdehandschuh geworfen"
Daniela Strigl: Der Text scheint
mir ein Fehdehandschuh zu sein, der uns vor die Füße
geworfen wird. Noch hat niemand so richtig reagiert. Dieser
Text verträgt anders als viele keine Druckfehler, hat
auch vermutlich keine. Das Changieren der Bedeutungen ist
ein Nachschöpfen der Welt durch die Sprache. Die Mannigfaltigkeit
der Natur wird in der unendlichen mannigfaltigen Sprache nachgebildet.
Das Ich scheint nicht nur lyrisch zu sein, sondern wird auch
manchmal aktiv. Mein Einwand gegen diese Art von Weltfeier
durch Sprache ist, dass ich mich Frage, ob nicht diese Art
der Herangehensweise zu einer poetischen Selbstbefriedigung
werden kann. Durch die Länge könnte es Sterilität
für den Leser bekommen.
"Selbstfeier der Sprache"
Norbert
Miller: "Das ist richtig. An diesem Text ist Selbstfeier
der Sprache als Selbstfeier einer imaginären Naturschöpfung
ein Element. Das wird vor den mythologischen Hintergrund vorgetrieben.
Das Malheur scheint mir zu sein, dass hier die diskursive,
feierliche Sprache einen Zusammenhang stiftet, in den diese
quirrlende Welt der Sprachweiterentwicklung eingefangen ist.
Mittendrin tauchen Sätze der feierlichen Dichtung auf.
Das irritiert mich mehr als die grandiose Erfindungskraft."
"Dieser Ton, der mit dem Ton
des Vortrags zusammenhängt, hat den feierlichen Ton des
20. Jahrhunderts. Diesen Texten mit dem dahinter stehenden
Hölderlinton misstraue ich. Es gibt auch widerständige
Elemente im Text, das sind die Fremdwörter. Dieser Text
wird erstarrt in Ehrfurcht vor manchen Wörtern, das beunruhigt
mich ein bisschen. Wir kennen das von Ulysses und seinen Sprachspielen.
Wo sie ein spielerisches Element behalten, gefallen sie mir
sehr gut. Angst habe ich dort, wo ins Spiel ein Moment der
ernsthaften Anschaulichkeit kommt."
"Neuschöpfungswahn"
Burkhard Spinnen: "Ein Beitrag
zur Interpretation. Ich habe an den Phantasus von Arno Holz
gedacht, mit seinem Neuschöpfungswahn. Schöpfungsgeschichte,
in der die Dinge beim Namen genannt werden, ist uns verloren
gegangen. Wir sagen nur noch Gras, nennen die Halme nicht
mehr beim individuellen Namen. Aus der Bewegung zurück
zum Namen der Dinge ist der eine Aspekt. Es gibt aber auch
einen Ausflug in die New Economy auf Seite fünf. Mich
interessiert, wie man die da hineinholen kann, da ist viel
Denkstoff drin. "
Ilma
Rakusa: Die Neuschöpfung einer Parallelwelt ist
das Thema. Der erste Text, der durch Sprache eine Paralleluniversum
herstellt, das hatten wir noch nicht. Ich glaube nicht, dass
es Sinn macht, auf einzelne Wörter loszugehen.
"Litanei des vergeblichen Abstrampelns"
Thomas Steinfeld: Ich glaube, das
Entscheidende ist gesagt worden. Selbstfeier durch Sprache
und Weltfeier durch Sprache - beides fällt als gigantische
Inszenierung von Vergeblichkeit zusammen. Daher kommt das
Litaneihafte im Text. Es ist eine Litanei des vergeblichen
Abstrampelns. Die Vergeblichkeit stört mit sehr am Text,
er ist sehr kokett.
Iris
Radisch: Was passiert, wenn man den semantischen Kontakt
zur Welt so aufhebt, wie dieser Text. Was ist dann der Motor,
der diesen Text antreibt? Spinnen sagte, der Motor ist ein
Spiel. Ein spielerischer Umgang mit Wortmaterial. Ich glaube
nicht an das Hymnisch-Feierliche, nicht an das Spielerische,
ich glaube an das Mechanische. Das ist für mich der Motor
hier. Das Material wird immer neu kombiniert, in Hoffnung
auf einen neuen Sinn. Die Frage an den Text ist, ist der Motor
nicht auch sehr beliebig?
"Kein Anfang und kein Ende"
Friederike Kretzen: Er bringt Beliebiges
zustande, und das ist auch Teil des Textes. Er ist ein bestimmter
Zustand in der Sprache - davon geht er kein bisschen weg.
Die Formeln, wie wir über Texte sprechen, haben damit
zu tun, dass wir sie anfangen und enden lassen. Darüber
schreibt der Text aber hinaus. Es gibt keinen Anfang und kein
Ende, sondern Anfänge und Enden, die wechseln und spielen.
Norbert
Miller: Meine Kritik liegt weniger an den Sprachspielen,
auch nicht am utopischen Charakter, aber daran, dass man hier
keinen freien utopischen Zustand der Gegensprache anstrebt,
sondern dass es sich einen weiterzwirnenden Faden hat. Der
Text suggeriert das, führt aber ins Unterholz. Die halbe
Auflösbarkeit in Verbindung mit dem hierarchischen Ton
ist das Problem.
Josef
Haslinger: "Ich habe an den Monolog von Novalis
gedacht: 'gerade das eigentümliche der Sprache, dass
sie nur von sich selbst spricht, weiß keiner'.
Redaktion: Petra Haas
Fotos: Johannes Puch, ORF |