Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und mit freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Olga Flor

Diskussion nach der Lesung von Olga Flor, sie wurde von Daniela Strigl eingeladen. Flor las den Text "Wiederkehr" über eine Tochter, die Geborgenheit im ehemaligen Elternhaus sucht und Chaos findet.

"Muster von Ordnung und Nicht-Ordnung"

Norbert Miller: "Das ist eine sehr streng in sich geschlossene, jedes Detail abschattierende Erzählung, für die sich der pychologische Ausgangspunkt langsam darstellt, bis sich ein Muster von Ordnung und Nicht-Ordnung bildet. Es ist das Spielen, das die sprechende Person macht. Die Vorstellung des Satzes "Vollende Tatsachen sind die besten Argumente" macht eine doch sehr dichte Form des Beschreibens aus. Es wird vermieden, was sonst so leicht auftaucht, die Repitition des Gesagten. "

"Systematisch und doch beeindruckend"

Ursula März: "Mich beeindruckt an diesem Text eine Sache: Er ist sehr systematisch und dennoch beeindruckend. Er verfolgt eine utopische Vorstellung der platonischen Einheitsbildung.

Der Neuanfang geht weit hinter die Geburt zurück, weit vor die Chromosomenteilung. Der Vater macht die Tür auf und hat die Schürze um, man hat es mit Vater-Mutter zu tun. Das Schiff, das ablegt, kann eine Arche sein, ein Rettungsschiff, aber auch das Floß, das zum Tod hinführt. Trotzdem ist der Text einfach als Geschichte sehr ergreifend. Man kann die Theorie weglegen und es bleibt eine berührende Geschichte."

"Möchte eine doppelte Warnung ausbringen"

Thomas Steinfeld: Ich möchte eine doppelte Warnung ausbringen, nach dem dritten Tag. Einmal Warnung vor dem "Ich", das eine komplizierte literarische Instanz ist. Das erste, was einem einfällt, ist auch das Schwierigste. Warnung vor dem Wahn - es ist der dritte Text, der vom langsamen Übergleiten in den Wahn handelt. Ich glaube nicht, dass sich die Literatur in einer solchen Nähe zur Psychiatrie befindet. Der Grund dafür könnte sein, der Wille zur Poesie bringt vorher ein poetisches Ich hervor. Daraus entsteht eine Art von Literatur, die sich umschaut, was man an der Welt an poetischen Momenten entnehmen kann. Es entsteht daraus keine Poesie. Wenn man das merkt und unsicher wird, versucht man, den grelleren Effekt, mit dem sich das poetisch aufladen lässt, zu finden. Der Wahn fällt als erstes ein.

"Wahn ist kein literarisches Argument"

Ilma Rakusa dazu: "Ich finde, Wahn oder nicht Wahn, das ist ja kein literarisches Argument. In der Weltliteratur gibt es viel Wahn und Wahnsinn, das ist kein Kriterium, das sich ästhetisch diskutieren ließe. Ich finde die Texte noch harmlos gegen die Wirklichkeit. Der Text hat eine feine Wahrnehmung, fast nouveau roman-artig. Dass man bei Lesen etwas empfindet, berührend, das ist er auch. Er ist sparsam, was die Psychologie betrifft. Er arbeitet mit Parataxe, extrem kurzen Sätzen, das will er auch."

Friederike Kretzen: "Hier weiß ich nicht, ob es um den Vater geht - was mir unklar ist, ist es eine Opfergeschichte, eine Darbringung des Opfers? Es gibt Sätze, die so weit gezogen sind, wo ich aber nicht weiß, was sie bedeuten - Beispiel: "Mit Willigkeit entlohnen wir das bessere Material…."

Zwischenruf Ursula März: "Es sieht so aus, als sei das Opfer die Tochter. Aber eigentlich ist das Opfer das Kind, eine reale Geschichte. Die Gegenrechnung zur Utopie der Einheitsbildung wird aufgemacht."

Norbert Miller: "Könnten wir nicht doch auch etwas vorsichtig sein mit der Auflösung dieses Textes in eine Geschichte. Ich glaube nicht, dass sie berührend ist, oder ob uns die Frage der Opferung in den Text hineinführt. Der Text ist doch aufregend, weil die Ausgangsgeschichte sich ständig in dem Motiven verändert. Das Muster der Geschichte macht doch die Geschichte."

"Hier ist kein Wahn, sondern eine Putzfrau am Werk"

Iris Radisch: "Ich sehe hier keinen Wahn am Werk, sondern vor allem eine Putzfrau am Werk. Ich sehe keinen Todesnachen, sondern ein Sofa, das auf Putzwasser schwimmt. Ich sehe einen Text, der zeigt, dass hinter vielen kleinen Katastrophen immer eine große steckt. Das Putzfrauenereignis beschreibt klar, dass eine Ordnung zerstört wird, in die sich die Erzählerin flüchtet. Der Text hat mich nicht so beeindruckt, die Beunruhigung wird zwar durchgeführt, aber nur im Programm. Es ist ein Programmtext für mich. Die Sprache ist steril, da ist die Putzfrau gründlich drüber gegangen. Die Beunruhigung des Hauses findet sich nicht in der Sprache. Nirgends werde ich selber unruhig,"

"Ich sehe darin eine Geschichte, tut mir leid"

Haslinger: "So leid es mir tut, aber ich sehe darin eine Geschichte. Ich habe die Geschichte einer Alkoholikerin gehört. Es ist eine Frau, die Alkoholikerin ist, die ein Kind abgetrieben hat, die das frühere Leben mit Alkoholismus und einer Schwangerschaft zusammenhing, hinter sich lassen will. Sie kommt zu ihrem Vater zurück, in Wirklichkeit zu einer viel älteren Ordnung. Dort trifft sie anstatt auf die Kindheit und auf eine neue Symbiose mit dem Schutz eines Vaters auf eine Störung durch dir Putzfrau. Die kann mit ihrem Schlüssel auf das Rückzugsterrain eindringen.
Der Vater weiß nicht, dass die Tochter Alkoholikerin ist. Sie reden aneinander vorbei. Der Text lebt vom Wunsch der Tochter, einen neuen Halt zu finden und von der Angst, diesen nicht zu finden. Das Floß treibt sie immer wieder fort. Es ist eine Art Dilirium tremens. Mich hat der Text beeindruckt, in der Frage, wie Ich und Welt zusammenkommen. Ich-Erzählungen haben eine große Schwierigkeit, weil das Ich dazu neigt, eine Gesprächigkeit zu entwickeln. Zweitens besteht die Gefahr, dass das Ich nur noch anderes beschreibt und dahinter blass bleibt. Dieser Text macht das nicht. Es enthüllt sich mit dem Haus, dem Vater, der Familiengeschichte die tragische Geschichte eines Ichs."

"Die ewige Geschichte des verlorenen Sohnes"

Burkhard Spinnen: "Ich habe auch eine Geschichte gelesen. Aber damit hab ich Probleme, ich kenne sie schon: Es ist die Geschichte des verlorenen Sohnes, der hier eine Tochter ist. Wir schaffen es nicht, den Uterus, das Elternhaus zu verlassen. Es ist hoch spannend, immer wieder, das Thema ist niemals erledigt. Hier ist ein zeitgenössischer Versuch gemacht worden. Was dann aber herauskommt, ist weniger, als das, was ich am Anfang hoffen durfte. Das hängt mit einer strukturellen Sache zusammen. Der Text beginnt mit einer Art Schachspiel mit wenigen Figuren. Das macht der Text die Hälfte lang, dann wird es immer Ich-bezogener. Die Figur igelt sich ein, beginnt mit einer Verbalisierung dessen. Zum Schluss wird ein Möbelstück zerhackt, aber die Endspielsituation wird nicht an dem Ort gelöst, wo der Text anfing."

"Bin offenbar leichter zu beunruhigen"

Daniela Strigl: "Ich bin offenbar wesentlich leichter zu beunruhigen, als Iris Radisch. Gerade das Ende beunruhigt mich, das sich freiwillige Sich-Aufgeben. Eine dramatische Entwicklung hätte mich irritiert. Ich glaube schon, dass es um die Ordnung der Dinge geht, aber auch um die Ordnung der Generationen. Es geht um eine Reproduktionsverweigerung, die Generationenkette wird unterbrochen, da überzeugt mich der Text. Der Baum wird gekappt. Das Haus ist ein Schiff, ist ein Motiv in der österreichischen Literatur. Das Boot des Lebens wird genau durchgespielt. Der Hang zum Rückzug ohne Dramatik, das sanfte Sich-aufgeben, das alle Brücken Abbrechen scheint so ein Thema zu sein, das in der Gesellschaft in der Luft liegt."

Thomas Steinfeld: "Im ersten Stock schwappt ein Eimer Wasser über, ein Stock darunter bricht ein Ozean auf. Vielleicht ist das bei Ihnen zuhause so, bei mir ist das nicht so."

Einwurf Daniela Strigl: "Es ist keine Zauberlehrlingsgeschichte, sondern die Wahnvorstellungen eines Trinkers."

Thomas Steinfeld: "Ich kann das Ich nicht sehen, eine Reihe von Sätzen ist so uninteressant, dass ich damit nichts zu tun haben will." Er wolle nicht lesen "ich starre an die Wand", sondern er wolle wissen, was dabei gesehen werde.

Radisch meinte, die Blässe des Textes liege daran, dass die Figur nicht selbst vom Wahn überfallen sei, sondern den Wahn an Dinge abgebe, wie das Putzwasser.

Ursula März an Steinfeld: "Gestern haben Sie uns den Kopf gewaschen, als Sie sagten, wir vergessen auf die literarische Moderne."

Radisch meinte, man sollte ein Seminar über die Moderne halten.

Daniela Strigl:" Ein Wort zur verlorenen Tochter - die Erzählung von Bachmann 'drei Wege zu See' schimmert hier durch."

Ilma Rakusa: "Der Text, die Sprache will doch minimalistisch sein" Es geht mehr um Wahnehmung als um Psychologie, ich würde das Wort Wahn nicht brauchen. Es ist eine fortschreitende Auflösung. Auch der Schluss ist beunruhigend.

Josef Haslinger fragte sich, was Iris Radisch mit Programmtext gemeint haben könnte.

Redaktion: Petra Haas
Fotos: Johannes Puch, ORF


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