Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und mit freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Christina Griebel

Christina Griebel aus Deutschland las den Text "Der Schlafanzug"

"Von Fremdenführerei belästigt"

Ursula März:" Die Geschichte hat mich bei ersten Mal lesen mehr beeindruckt, als jetzt. Was die Geschichte interessant macht, ist, dass sie die Innenseite von etwas erzählt, was nicht gezeigt wird. Die wirkliche Geschichte mit der Frau und dem Mann kann man nur ahnen, man sieht die äußeren Abläufe nicht. Die entscheidende Stelle ist, der Vorwurf, Du hast keinen Überblick. Das ist die Vorlage des Textes. Er geht wie zwischen zwei Häuserreihen durch, der christliche Symbolismus ist die Geschichte der Sünderin Maria Magdalena. Ich fühle mich von der Fremdenführerei des Textes etwas belästigt."

Ilma Rakusa warf ein: "Ich glaube, dass es eher die andere Maria ist."

Ursula März ergänzte, beide Marias kommen vor. "Die eine Maria ist dabei, als sie an das Grab kommen, wo das Laken von Jesus noch da ist, das scheint der Schlafanzug zu sein."

"Jesus ist aus dem Pyjama gefahren"

Iris Radisch mischte sich ein, Jesus ist aus dem Schlafanzug gefahren und in den Himmel aufgestiegen. "Mich hat der Text ratlos gemacht, teilweise verärgert. Ich habe ihn nicht gerne gelesen. Er braucht Interpretation, Bibelfestigkeit, man muss sich ein bisschen auskennen im katholischen Klimbim." Radisch meinte, es sei nicht die Innenwelt einer Geschichte, sondern ein ausgelegtes Symbolnetz von gegensätzlichen Welten. "Es ist ein symbolisches Gebastel ohne Leseerlebnis."

"Schlampe ist Törin"

Daniela Strigl: Die Konstellation habe ihr gut gefallen, die Geschichte eines religiösen Wahnsinns finde sie mutig. Es gehe wieder einmal um die Seele. Die katholische Komponente passe da dazu. Die Maria, deren Stimme die Protagonistin höre und sehe. Das ist in allen Details glaubwürdig. Was mich stört, ist dieser Mann. Er ist gar so schwarz, er ist ein echter Teufel. Die Schlampe ist zugleich die Törin und verteidigt dieses Ekel auch noch.

"Es geht nicht um eine Allegorese"

Burkhard Spinnen:" Ich glaube nicht, dass es um eine Allegorese geht. Es sage jemand, er erinnere sich an früher, das sei eindeutig. Es geht nicht um gelehrte Anmerkungen, auch wenn viele kleine Jungen als erste schöne Frau eine Marienstatuen in einer Kirche gesehen haben." Der Mann störe ihn auch. Aber er möchte darauf hinweisen, dass der Mann ein Hersteller von Bildern ist. Er hat an die Frau die Materialisation von Ich-Bildern herangetragen. Es wurde eine Grenze überschritten. Die Figur setzt sich mit einem Image auseinander, nicht mit ihrem Spiegelbild.

Einwurf von Radisch: Er wird als Jesus stilisiert, was Besseres könne einem Mann nicht passieren (Gelächter).

"Typische Wettbewerbsliteratur"

Thomas Steinfeld meinte, für ihn sei dieser Text typisch für viele Bewerbertexte vor dem Bewerb. Er sei einer der allerbesten, handwerklich einigermaßen gut, aber alle diese Texte haben ein gemeinsames Problem: Es sind Fälle von Wettbewerbsliteratur. Sie werden mit dem Auge auf solche Veranstaltungen hin geschaffen. So knapp der Text sei, so sehr lange er ins große Register. Einerseits mit mythischen Anspielungen und andererseits mit dem immer wieder wiederholten Antupfen ans Obszöne wie Unterwäsche, Prügel, Sadomaso. Was hätte aus dem Text werden können, wenn man die obere Schichte einfach weggenommen hätte.

Burkhard Spinnen hatte einen Einwand zu Wettbewerbstexten. "Ich hatte mal eine Geschichte geschrieben und zwei Jahre später hier vorgelesen, da habe es dasselbe geheißen."

Verteidigung von Norbert Miller

Norbert Miller konnte die Kritik nicht nachvollziehen. Er wolle nicht als Verteidiger der Lady in distress auftreten, sondern er habe es beim Lesen nicht so empfunden. Vielleicht hänge das mit dem "katholischen Klimbim" zusammen. Selbst bei normaler Bildung sei es doch nicht so problematisch, wenn bei einem Text ein Mädchen in einen Höllenpfuhl gestoßen werde, dass die Muster im Hintergrund auftauchen.

Das sei doch nicht der Punkt, von dem aus man sagen könne, hier spiegle sich das Große im Kleinen und weil das Kleine nicht ausreiche, laste man dies dem Text an. Er finde den Text konsequent und gut auf drei Ebenen - eine Geschichte um ein Requisit herum gebaut, eine Geschichte im Hintergrund. Es ist nicht Maria Magdalena, die nur noch das Kleid findet und damit herumsitzt." Es ist in sich konsequent geschrieben - die heftigen Einwände sind mir fremd."

"Hatte ein Leseerlebnis"

Josef Haslinger: "Ich hatte ein Leseerlebnis", er sei dem Text gerne gefolgt. Für ihn sei das kein religiöser Wahnsinn, denn dann sei auch seine Mutter wahnsinnig, die sich mit ihren Heiligen unterhalte. Wir sollten nicht so diskutieren, als könnten wir uns die Figuren oder Texte aussuchen. So Teufel wollen wir nicht haben, wir wollen andere Frauen etc. Wir müssen uns einfach auf den Text einlassen, so wie er da steht und uns darauf einlassen. Die Ich-Erzählerin in ihrer Naivität kann ich durchaus Ernst nehmen, weil sie auf eine Weise gestaltet ist, die ich dem Text abnehme. Es ist die Geschichte einer Abhängigkeit.

Ursula März: Die christliche Mythologie spielt bis heute in die Literatur. Das Problem hier ist das Wie. Es gibt eine Überdeutlichkeit, weil die Autorin den Subtext der Figur über den Leser hinweg vermittelt. Es gibt Seiten, da gibt es mehrer Hinweise auf Sub-Text.

Ilma Rakusa: Es gebe einen Widerspruch - sie sehe nicht nur die Naivität. Sie wünschte sich einen viel wahnsinnigeren Text. Der Text weiß zuviel und gibt zuviel preis. Der Wahnsinn bezieht sich auf das Wie, auf die Sprache. Sie ist viel zu wenig wahnsinnig, viel zu brav.

Burkhard Spinnen: Das sei das Standardargument, gegen das er seit 20 Jahren anlaufe. Niemand könne sagen, wie der Wahnsinn aussehe, den er haben wolle. Man müsse sich mit dem Wahnsinn begnügen, wie ihn die Literatur vorsetze. Der Kunstgriff des Textes sei, dass er das, was vom Material her Subtext sei, nach außen stülpe. Der Subtext ist die Liebesgeschichte. Das sei die Form von Wahnsinn, die mittig laufe.

"Falsche Fremdwörter verwendet"

Daniela Strigl: Die Protagonistin verwendet viele Fremdwörter, aber falsch. Es ist ihr einiges über den Kopf gewachsen. Mit dem Hinweis auf religiösen Wahnsinn wollte sie keine Figur diskreditieren, die bete. Diese Maria sei ein Dämon, sie sage der Figur, was sie zu tun habe und ist das Sprachrohr dieses Mannes. Sie sei keine Hilfe oder Fürsprache. Sie treibe diese Gläubige ins Eck.

Friederike Kretzen an Spinnen - er habe Wahnsinn definiert, ebenso wie die anderen. Sie könne sich nicht vorstellen, warum der Text geschrieben wurde. Der Schmerz in diesem Text wurde nie riskiert, die Form wurde nie durchbrochen.

Norbert Miller: "Der Text kann nicht aus sich heraus, er muss in der Hauptfigur bleiben. Wenn ich Leutnant Gustl schreibe, muss ich Leutnant Gustl bleiben."

"Text ist keine Literatur"

Iris Radisch bemerkte, dieser Text sei keine Literatur. "ES ist Literatur-Literatur, die in jedem Satz unbedingt Literatur sein will. Das verhindert, dass es wirklich Literatur werden kann. Die Figur ist keine Figur."

"Bibliotheken ausmisten"

Burkhard Spinnen bot ihr eine Spaziergang durch die Bibliotheken der Weltliteratur an. "Da könnten wir ganz schön Platz schaffen."

Josef Haslinger meinte, Leutnant Gustl sei wohl nicht der richtige Bezugspunkt für diesen Text. Er sei formal gut gearbeitet. Wenn es so sei, wenn sich die Erzählerstimme bei Frau Radisch nicht einnisten könne, das sei ein Problem. Andererseits halte der Texte eine klare Stimme bei. Die Figur greife in ihrer Verzweiflung zur religiösen Hilfe der Kindheit wie nach einem Strohhalm. Der Text ist abgründig.

"Länger wäre besser"

Steinfeld: Ich glaube, dieser Text hätte einige Probleme weniger, wenn wir 45 Minuten Lesezeit und zehn Seiten mehr hätten. Dann wäre es nötig gewesen, die Innensicht in eine tragende Geschichte zu übertragen. Man lernt ein inneres Ambiente kennen, doch es öffnet sich nicht richtig. Wenn man es breiter macht, hätte man eine Struktur einbinden müssen.

Fotos: Johannes Puch, ORF

Redaktion: Petra Haas


Suche in der gesamten Bachmannpreis-Site
ORF ON Kärnten  
powered by FreeFind


Kontakt:
ORF Kärnten Ingeborg-Bachmann-Preis
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29528 (Binia Salbrechter)
e-mail: bachmann.preis@orf.at

Webmaster:
ORF ON Redaktion Kärnten
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29191, 29192
e-mail: kaernten.online@orf.at


© 01.07.2003
ORF ON Kärnten Aktuell Telekom Austria