Christof Hamann
wurde von Norbert Miller eingeladen und las den Romanauszug
"Fester" über eine Reise eines Werbetexters
nach Polen.
"Figuren bleiben blass"
Josef Haslinger: "Kurzes Statement
- ich sehe in dieser Geschichte, die ein Auszug eines ersten
Kapitels eines Romans sein soll, ein Anliegen, aber keine
Figur. Leider sind die Figuren völlig blass und austauschbar
geblieben. Austauschbar nicht, weil sie mit einem Programm
verbunden sind, aber sie stehen nur für ihr Programm."
"Gebäck ist ein Vorwand, über
Krakau zu schreiben"
Ilma Rakusa: "Ich habe auch
Mühe mit dem Text. Das Gebäck kommt mir vor, als
wäre das ein Vorwand, etwas über Krakau zu schreiben.
Aber es ist so ein touristischer Blick, das hat mich sehr
gestört, alle Klischees von Krakau sind aufgeführt.
Das scheint schnell aus einem Reiseführer recherchiert.
War der Verfasser in Polen? Und als er den polnischen Dichter
falsch gelesen hat, fragte ich mich nach der Kundigkeit des
Autors."
"Verteidige den Text mit Freude"
Iris
Radisch: Mit großer Freude kann ich einen Text verteidigen.
Ich finde das Funktionieren des Textes gut. Wir haben zwei
Pole: Hollywood und Auschwitz, in der Mitte ein Keks. Der
Keks soll werbetextlich betreut werden. Der Beauftragte der
Werbung soll diesen Kulturraum bereisen und nach Signalen
suchen, die sich für die Werbung verwenden lassen. Er
stellt fest, dass die Leute keine Knöpfe an den Hosen
haben, dass der Symbolwert für die Keks-Broschüre
nicht da ist. Es ist bedrückend, dass man erfährt,
dass es von diesem Polen keine Bilder mehr gibt.
"Stellenweise unfertig"
Thomas
Steinfeld: "Dieser Text scheint einfach stellenweise
unfertig. Sprachlich unfertig, teilweise in schlechtem Deutsch.
Es sind so viele kleine Macken drin, wie die falsche Einzahl
von Graffiti. Der entscheidende Einwand ist ein betriebswirtschaftlicher.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es keine Chance gibt,
osteuropäisches Gebäck mit einer Werbebroschüre
zu verkaufen. Stellen sie sich vor, man würde Marillenknödel
in Köln mit einer Broschüre über Klagenfurt
in Köln verkaufen."
Iris Radisch warf ein, die Sprache
entlarve die Figuren als doof. Die Unwissenheit, wie Graffiti
in der Einzahl heiße, sei kein Wunder, wenn man das
Leben mit Betriebsberatern verbringe.
"Frau Radisch bleibt ein Wunder"
Burkhard Spinnen: "Diese Frau
Radisch ist und bleibt für mich ein kleines Wunder. Diese
Begeisterungsfähigkeit bedarf geradezu der Analyse. Sie
haben etwas Wunderbares getan, haben alles Wunderbare an diesem
Text gehört und ein Treatment daraus gemacht.
Aber ich muss mich auf die Seite
der Kritiker schlagen - dies sieht auf weiter Stelle so aus,
ab ob es das Material dafür stelle. Am Anfang hat der
Text einen bestimmten Ton. Aber wenn ich mit einer Art Schelmroman
beginne, Fester könnte ein Schelm sein, dann muss der
Tonfall mitschwingen. Ich habe das über Seiten nicht
mehr gemerkt. Die Szenen mit der Führung hat etwas Bieder/Trauriges."
"Enthusiasmus beinahe ansteckend"
Daniela Strigl: "Der Enthusiasmus
ist beinahe ansteckend. Ich habe mir notiert - Figur blass,
Satire. Das kommt uns öfter unter, dass der Held einer
Satire blässlich scheint. Weil er immer die Fläche
ist, auf dem etwas eingraviert ist, aber kein Mensch aus Fleisch
und Blut. Mit den Mehlspeisen ist es so eine Geschichte. Ich
habe zunächst auch die Rosinenstuten für Tiere gehalten
(Gelächter). Die Geschichte scheint bis zur Mitte sehr
geschlossen. Der gnadenlos touristische Blick wird auf die
Stadt gerichtet. Aber beim Stadtrundgang war mir das satirische
Schlaglicht zu hell."
Friederike
Kretzen: "Das Thema des Kapitalismus so zusammenzuführen
- das sind schwere, komplexe Themen. Alexander Kluge sagte,
'angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Welt
befindet, kann man nur ragieren, indem man den Schwierigkeitsgrad
der Kunst erhöht'. Das vermisse ich da."
"Vertracktes Thema"
Norbert Miller: "Ein Text,
der so an ein vertracktes Thema herangeht ist kritikanfällig.
Schön ist es, sich mit Burkhard Spinnen einen Roman auszudenken,
in dem die Fantastik des Schelmenromans auf einen Gegenstand
angewandt wird, der eine Art Till Eulenspiegel sein könnte.
Den Kapitalismus ins Groteske zu ziehen ist eine große
Herausforderung. Es ist erstaunlich konsequent durchgehalten,
in einem Tonfall, der sich mittelbar beobachtet. Er fällt
nie aus dieser Redeweise heraus, läuft im Schwung durch.
Nur, wenn man sich über die Banalität ärgert,
taucht etwas im Hintergrund auf."
Iris
Radisch: "Ich finde an diesem Text ganz interessant,
dass er die Chance gibt, auch grundlegende Probleme zu erörtern.
Beim Gang in den Kapitalismus kommt man darin um. Ein Held,
der darin umkommt, ist aber literarisch nicht besonders interessant.
Es gibt nur wenig Autoren, die sich mit Wirtschaft beschäftigen."
Thomas
Steinfeld: "Wenn Herr Miller Recht hätte,
dass man hier ein 1:1-Bild einer törichten Gegenwart
vorfindet, hätte das Literarische an diesem Text darin
bestehen müssen, dass man einen grollenden Unterstrom
an Gewalt einzieht. Es ist aber nicht so."
Friederike
Kretzen: "Wie man mit dem Kapitalismus in der
Literatur umgehen könnte. Da möchte ich nochmals
mit dem Schwierigkeitsgrad anfangen. Dass man die Beschreibung
der Wirklichkeit an anderen Stellen sucht."
Ilma
Rakusa:" Ich reite auf dem Polenthema herum. Ja,
Satire, das hört man am Anfang. Aber dann wird die Beschreibung
um das Cafe Ariel, die Amerikaner, die nach Krakau pilgern,
so banal."
Redaktion: Petra Haas
Fotos: Johannes Puch, ORF |