Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und mit freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Sünje Lewejohann

Sünje Lewejohann, Deutschland, las den Text "Im Farnschatten".

Sie wurde von Josef Haslinger eingeladen und sorgte als erste für eine Polarisierung zwischen Publikum und Jury einerseits und Juryvorsitzender Iris Radisch andererseits. Iris Radisch rügte Josef Haslinger dafür, einen solchen Text ausgewählt zu haben. Sie sei nicht ratlos, sondern böse, sagte Radisch. Das Publikum wertete die Verteidigungen einzelner Jurymitglieder mit spontanem Applaus.

"Ich wäre lieber Literatur für große Jungs"

Ursula März: "Alle Jugendlichen spielen das Spiel, wärst du lieber ein Mann oder eine Frau? Ich stelle mir die Frage, wenn ich Literatur wäre, wäre ich lieber Literatur für große Jungs oder für große Mädchen? Ich glaube, ich wäre lieber Literatur für große Jungs und wäre lieber einer Schneelandschaft, ohne die Begriffe zu verstehen - aber es würde irgendetwas geschehen (Bezug auf den Text von Henning Ahrens). Die Sprache der großen Mädchen ist die betulichen Parataxe, die das Material streckt und streckt und streckt mit bedeutungsvollen Pausen."

"Text beginnt auf Katastrophen-Skala bei neun"

Thomas Steinfeld: Auf der nach oben offenen Skala der literarischen Erregung beginnt dieser Text bei neun, wenn sich bei zwölf der Boden öffnet. Es ist ein Maximum an Katastrophen - diese erdbebendichten Katastrophen auf so wenig Platz ist fast unübertreffbar. Das Problem ist aber die Person der das passiert, nur erkennbar als "ich".

Radisch: "Ich bin böse, das geht nicht"

Radisch: "Ich gehe lieber mit dem Commander auf Kriegsspiel, als dass ich mich in diese leegeräumte poeselnde Welt begebe. Ich muss dem Juror sagen, das geht nicht", rügte Radisch in Richtung Josef Haslinger. "Es macht einen nicht ratlos - ich bin böse. Das sind Porzellantassensätzchen, in die man viele Punkte knallt. Der Text ist abehackt und lakonisch, die Lakonie kaschiert eine große Sprachlosigkeit. Er ist abgeschmackt. Die Luftigkeit ist pures Design. Ich weiß nicht, in welcher Welt wir leben, daher bin ich reumütig wegen dem, was ich gestern gegen Science Fiction gesagt habe."

Haslinger in der Defensive

Josef Haslinger: "Ich bin überrascht über die Reaktion, das habe ich nicht erwartet. Ich habe die Autorin eingeladen, weil mir ihr Text zugesagt hat, sehr zugesagt hat und bis heute zusagt. Sie sagen, pures Design, abgeschmackte Poesie. Wenn das Ihre Erfahrung ist, kann ich dem nicht widersprechen. Ich habe aber eine andere Erfahrung - ich sehe hier einen klaren Ton einer Autorin. Ich bin als Leser dankbar, wenn ich einen Autor finde, der einen eigenen Ton hat. Sie müssen sehen, diese Autorin ist 20 Jahre alt und hat einen eigenen Ton".

Einwurf der Autorin "ich bin 30". Haslinger weiter: "Man kann nun diesen Ton analysieren in Rhythmus und Melodie. Die Melodie hat Element der Wiederholung, etwas refrainartiges. Die Absätze sind designt. Aber für mich vermittelt sich das Design nicht, ich bin in der Lage, dem Text zu folgen. Mag sein, dass ich für den Text eine Schwäche habe, denn es geht um ein Zwillingsdrama und ich bin Vater von Zwillingen." "Ich lasse mir diesen Text nicht nehmen", schloss Haslinger.

"Kretzen erntete Applaus für Verteidigung"

Friederike Kretzen: "Ich finde die Entgegensetzung von, lieber Science Fiction als das, ist für mich ein Armutsbekenntnis." Applaus des Publikums. "Es gibt ein Problem im Text, im zu groß aufgehängten Todesthema und die Glasknochen - das ist zu groß. Ich sehe eine Kultur in einem Dorf, man ist in etwas, wird bedrängt, kann sich nicht distanzieren. Ich weiß nicht, ob Tod oder Glasknochen nötig wären. Sie würde es noch mal versuchen, aber ohne die großen Themen.

Ilma Rakusa: Das ist auch mein Einwand. Ich habe jahrelang im Literaturkurs unterrichtet, da gab es die Probleme, der Stoff war zu dramatisch gewählt. Frage an die Autorin: Muss das sein? Sie traue der Autorin zu, dass sie eine Sprache habe. Sie traue es ihr zu. Es gehe in eine Richtung des allzu Dramatischen und versteigt sich in etwas. Das liegt nicht in der Sprache, sondern am Thema. Es entsteht eine Welt, die zu wenig fassbar wird.

"Warum sollte das nicht gehen?"

Daniela Strigl: "Ich kann nicht einsehen, warum das nicht gehen sollte? Es geht soviel, warum das nicht? Ich finde auch, dass es eine Sprache mit Charakter ist. Aber weil sie sich so exponiert, ist sie manchmal zu aufgeladen. Aber ich weiß nicht, was diese Geschichte täte, wenn man ihr das Thema wegnimmt. Hier geht es darum, dass ein Zwilling am anderen gesundet, durch den Tod des anderen. Wie man das ohne Tod und Krankheit erzählen soll, weiß ich nicht. Mein Lösungsversuch wäre, dass die Erzählerin gesundet, wenn die Schwester stirbt. Ich finde das nicht abgeschmackt, sondern teilweise sehr gelungen. Die Dorfthematik ist hier gut beschrieben.

"Es ist eine Etüde"

Burkhard Spinnen hatte einen Einwand zu Frau Strigl: "Sie sagen, es geht so viel. Ich sage dazu, es geht leider sehr wenig. Darum muss man sich kümmern. Seit meine Söhne Klavier spielen, weiß ich, was Etüden sind. Sie sind nötig, haben aber ihre Probleme. Der Text erinnert mich an eine Etüde, eine Übung. Der Text wird nicht schlimmer, als er anfängt, das ist schon sehr viel. Die Etüde ist nicht schlecht gelungen, aber die Frage ist, wie verhält sich die Etüde zur Symphonie?"

Strigl merkte als Literatur-Kritikerin an, "gewissen Texte sollte man nicht von vorneherein die Kritikwürdigkeit absprechen."

"Etüde kann bedeutendes Kunstgebilde sein"

Norbert Miller: "Ich habe gegen die Charakterisierung als Etüde nichts. Das ist ein streng in sich, einem Muster nachgehender Text, der die Motive eng aufeinander bezieht, sie spiegelt, umdreht und wiederholt. Das ist alles sehr virtuos. Herr Spinnen verbindet damit die Klavierübung für Anfänger. Die Etüde kann für sich ein bedeutendes Kunstgebilde sein, das den Charakter der Etüde durchaus beibehält. Ich meine schon, dass der Text die Einwände der Überinstrumentierung mit Motiven verdient hat. Aber er löst das Vorgesetzte auf oft überraschende Weise. Ich könnte Fleck entbehren, wenn wir schon diskutieren, was wir nicht mögen."

"Ich meine, etwas ist zuviel daran", sagte Ilma Rakusa. "Als Ganzes hat es mich aber beeindruckt."

Redaktion: Petra Haas
Fotos: Johannes Puch, ORF


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